Erschöpfungsgrundsatz und Gebrauchtsoftware
Die Frage, ob und in welchem Umfang IT-Anwender Nutzungsrechte an Gebrauchtsoftware weiterverkaufen, wird seit Jahren heftig diskutiert. Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen ist die Frage, ob und in welchem Umfang der “Erschöpfungsgrundsatz” greift. Doch was besagt der Erschöpfungsgrundsatz eigentlich?
Seit vielen Jahren diskutieren Softwarebranche und IT-Anwender, ob und in welchem Umfang IT-Anwender Nutzungsrechte an Gebrauchtsoftware weiterverkaufen dürfen. Zwischenzeitlich gibt es zahlreiche Gerichtsentscheidungen deutscher Gerichte zu diesem Thema, jedoch nicht alle einheitlich. Hinzu kommt, dass die Wirksamkeit von Weitergabeverboten in End-User-Lizenzverträgen innerhalb der EU nicht einheitlich von Juristen und Gerichten beurteilt wird. Und das, obwohl die Rechte an Software bereits seit 1991 durch eine von allen Mitgliedsländern umzusetzende Richtlinie “über den Rechtsschutz von Computerprogrammen” (letzte Fassung vom 23. April 2009, Richtlinie 2009/24/EG) einheitlich geregelt werden. Deshalb warten jetzt alle Betroffenen gespannt auf eine erste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hierzu. Der Bundesgerichtshof hat im Februar dieses Jahres ein Verfahren ausgesetzt und dem europäischen Gerichtshof bestimmte Vorfragen zur Entscheidung vorgelegt. Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen um den Handel mit Nutzungsrechten an Gebrauchtsoftware ist die Frage, ob und in welchem Umfang der “Erschöpfungsgrundsatz” greift. Doch was besagt der Erschöpfungsgrundsatz eigentlich? Der vorliegende Artikel erläutert den Erschöpfungsgrundsatz und seine Auswirkungen auf den Handel mit Gebrauchtsoftware.
Erwerb von Nutzungsrechten an Software
Um die Bedeutung des Erschöpfungsgrundsatzes zu verstehen, bedarf es einer kurzen Erläuterung, wie der Erwerb von Nutzungsrechten an Software funktioniert.
Computerprogramme gehören gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) zu den urheberrechtlich geschützten Werken, deren Nutzung nur gestattet ist, wenn man das Programm entweder komplett selbst entwickelt oder vom Rechtsinhaber die erforderlichen Nutzungsrechte erworben hat. Rechtsgrundlage hierfür ist § 69c UrhG, wonach der Rechtsinhaber das ausschließliche Recht hat, die zur Nutzung von Software erforderlichen Handlungen vorzunehmen oder zu gestatten.
Deshalb reicht der Besitz einer Programmkopie alleine noch nicht aus, um ein Computerprogramm einsetzen zu dürfen. Vielmehr muss man auch Inhaber der zum Einsatz erforderlichen Nutzungsrechte sein.
Der Begriff des “ausschließlichen Rechts” wird in § 31 Abs. 3 UrhG als das Recht des Rechtsinhabers definiert, das Werk (also das Computerprogramm) “unter Ausschluss aller Personen auf die ihm erlaubt Art zu nutzen und Nutzungsrechte einzuräumen.” Mit anderen Worten, hat man die Software nicht selbst entwickelt, dann kann man die zum Einsatz eines Computerprogramms erforderlichen Rechte nur vom Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte erwerben bzw. von jenen Rechtsinhabern, die ihr Recht vom Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte wirksam ableiten können. Beim Erwerb von Nutzungsrechten über mehrere Zwischenhändler muss es eine lückenlose Übertragungskette vom Inhaber der ausschließlichen Verwertungsrechte bis hin zum letzten Erwerber in der Kette geben. Andernfalls ist das betreffende Nutzungsrecht nicht wirksam erworben und die Nutzung illegal.
Wer Inhaber der ausschließlichen Verwertungsrechte an einer Software ist, richtet sich wiederum nach den Bestimmungen des Urheberrechts. Wenn Software im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses entwickelt wird, ist nach § 69b UrhG in aller Regel der jeweilige Arbeitgeber Rechtsinhaber aller ausschließlichen Verwertungsrechte an der von seinen Arbeitnehmern entwickelten Software.
Anders als beim Kauf von Sachen, können Nutzungsrechte nicht gutgläubig erworben werden. Deshalb kann der Käufer die erforderlichen Nutzungsrechte an der Softwarekopie auch dann nicht wirksam erwerben, wenn er auf die Berichtigung des Verkäufers mit guten Gründen vertraut, vielleicht sogar beide gutgläubig von der Berechtigung des Verkäufers ausgehen, obwohl die Berechtigung aus rechtlichen Gründen (z.B. unwirksamer Vertrag mit dem Softwarehersteller oder Großhändler) nicht besteht.
Welche Nutzungsrechte der Käufer einer Softwarekopie erwirbt, richtet sich nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Rechtsinhaber und Käufer. § 69c UrhG regelt in den Ziffern 1 bis 4 jene Handlungen, für die der Nutzer einer Software der Rechtseinräumung durch den Rechtsinhaber bedarf:
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“die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung, ganz oder teilweise, eines Computerprogramms mit jedem Mittel und in jeder Form. Soweit das Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Computerprogramms eine Vervielfältigung erfordert, bedürfen diese Handlungen der Zustimmung des Rechtsinhabers”,
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“die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen eines Computerprogramms sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse”,
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“jede Form der Verbreitung des Originals eines Computerprogramms oder von Vervielfältigungsstücken, einschließlich der Vermietung”, und
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“die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe eines Computerprogramms einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung in der Weise, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.”
Die Aufzählung ist nicht abschließend. In der Praxis können sich weitere, wirtschaftlich bedeutsame Nutzungsarten entwickeln, die im Streitfalle von der Rechtsprechung auf ihre urheberrechtliche Anerkennung als neue Nutzungsart überprüft werden. Ein öffentliches Register, in das neue Nutzungsarten eingetragen werden können, gibt es nicht.
Will der Käufer einer Software eine der in den § 69c UrhG beschriebenen Handlungen vornehmen, muss er vom berechtigten Rechtsinhaber das dazu erforderliche Recht gekauft haben.
Das Recht, die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke von der Zustimmung des Rechtsinhabers der ausschließlichen Verwertungsrechte abhängig zu machen, basiert auf dem Prinzip des Urheberrechts, dem Urheber die wirtschaftliche Verwertung seines Werkes vorzubehalten und ihn möglichst umfassend an den Früchten seines Werkes zu beteiligen. Dabei steht es dem Urheber frei, ob er die Verwertung selbst oder über Dritte vornimmt.
Das Urheberrecht gewährt dem Inhaber der ausschließlichen Verwertungsrechte auch die Befugnis, zu entscheiden, ob er Nutzungsrechte vollumfänglich oder nur in kleinen Portionen verkauft. Nach § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG ist der Rechtsinhaber berechtigt, Nutzungsrechte zeitlich, räumlich und inhaltlich beschränkt zu erteilen. Eine inhaltliche Beschränkung des Vervielfältigungsrechts ist z.B. die Verpflichtung, die Software nur auf Servern von Konzernunternehmen zu installieren und ablaufen zu lassen. Das Recht eines Lizenznehmers, die Software nur auf Servern in Deutschland einsetzen zu dürfen, ist eine räumliche Beschränkung des Vervielfältigungsrechts.
Schranken des Urheberrechts
Um sicherzustellen, dass Rechtsinhaber ihre wirtschaftlichen Verwertungsinteressen nicht überspannen und die Nutzungsrechte der Lizenznehmer zu weit aushöhlen können, sieht das Urheberrecht auch gewisse Ausnahmen von zustimmungspflichtigen Handlungen vor.
So darf z.B. gem. § 69d Abs. 2 und § 69g Abs. 2 UrhG das Recht des Lizenznehmers, eine Sicherungskopie zu erstellen, vertraglich nicht untersagt werden, wenn dies “für die Sicherung künftiger Benutzung erforderlich ist”.
Eine weitere Einschränkung der Verwertungsrechte des Rechtsinhabers ergibt sich aus § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG. Durch diese Regelung wird das Recht des Rechtsinhabers, jede Form der Verbreitung eines Computerprogramms von seiner Zustimmung abhängig zu machen, wie folgt eingeschränkt: “Wird ein Vervielfältigungsstück eines Computerprogramms mit Zustimmung des Rechtsinhabers im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht, so erschöpft sich das Verbreitungsrecht in Bezug auf dieses Vervielfältigungsstück mit Ausnahme des Vermietrechts”. Diese Regelung, wonach sich also unter bestimmten Voraussetzungen das Verbreitungsrecht des Rechtsinhabers erschöpft, bezeichnet man als “Erschöpfungsgrundsatz”. Es ist ein Basisprinzip des Urheberrechts, das nicht nur für Software, sondern für alle urheberrechtlich geschützten Werke gilt (vgl. § 17 Abs. 2 UrhG).
Inhalt und Voraussetzungen des Erschöpfungsgrundsatzes “Erschöpfung” im Sinne des Urheberrechts bedeutet, dass das betreffende Recht verbraucht ist und der Rechtsinhaber kein Recht mehr hat, die Ausübung des betreffenden Rechts zu untersagen.
Nach § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG erschöpft sich jedoch nur das “Verbreitungsrecht”. Das Verbreitungsrecht ist das Recht zu bestimmen, wer die Software nutzen darf, insbesondere an wen das Original oder ein Vervielfältigungsstück der Software weitergegeben werden darf. Alle anderen Rechte, einschließlich des Rechts, die Software zu vermieten, verbleiben beim Weiterverkauf beim Rechtsinhaber und erschöpfen sich nicht. Das erklärt auch, warum eine Volumenlizenz nach herrschender Meinung nicht ohne Zustimmung des Rechtsinhabers übertragen werden darf. Eine Volumenlizenz umfasst nämlich das Recht, im Rahmen des vereinbarten Volumens eine limitierte oder unlimitierte Anzahl Kopien der lizenzierten Software zu erstellen. Das Recht, Vervielfältigungen anzufertigen, erschöpft sich jedoch nicht, sodass dem Rechtsinhaber vorbehalten bleibt, zu bestimmen, ob eine Volumenlizenz übertragen werden darf oder nicht. Will der Lizenznehmer einer Volumenlizenz das Recht haben, die Lizenz zu übertragen, muss er sich dieses Recht vom Rechtsinhaber ausdrücklich vertraglich zusichern lassen. Ansonsten kann der Rechtsinhaber sowohl gegen den Lizenznehmer, wie auch gegen den Erwerber der Volumenlizenz auf Unterlassung und Schadensersatz vorgehen.
Gem. § 69c Nr. 3 Satz 2 erschöpft sich das Verbreitungsrecht nicht generell, sondern nur in Bezug auf jene Vervielfältigungsstücke, die
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mit Zustimmung des Rechtsinhabers
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im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
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im Wege der Veräußerung
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in Verkehr gebracht
worden sind.
Werden auf Grund einer Volumenlizenz, die nach ihrem Wortlaut nur für Konzernunternehmen bestimmt ist, Kopien der Software erstellt, um diese dann an ein konzernfremdes Unternehmen weiterzuverkaufen, stellt sich die Frage, ob diese Kopien “mit Zustimmung des Rechtsinhabers” in den Verkehr gebracht worden sind? Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main hat am 27.04.2011 entschiedenen (Az.: 2-06 O 428/10), dass in einem solchen Fall der Erschöpfungsgrundsatz nicht greift und die erstellten Kopien nicht weiterverkauft werden dürfen. Das Recht, Programmkopien zu erstellen, sei in einem solchen Fall auf Konzernunternehmen beschränkt. Wenn ein Mitarbeiter eines Unternehmens des Konzernverbunds eine Programmkopie erstellt, um diese an ein konzernfremdes Unternehmen zu verkaufen, verstoße dies gegen das durch die Volumenlizenz erteilte Vervielfältigungsrecht. Das Vervielfältigungsrecht sei durch den Verkauf der Volumenlizenz nicht erschöpft und müsse deshalb über die gesamte Vertragsdauer beachtet werden. Kopien, die unter Verletzung des Vervielfältigungsrechts erstellt werden, seien nicht mit Zustimmung des Rechtsinhabers in den Verkehr geraten und deshalb illegal.
Wie aber ist der Fall zu beurteilen, wenn die Kopie durch den Mitarbeiter des Konzernunternehmens zunächst zur Nutzung für die eigene Firma erstellt wurde? Nach Ablauf einer gewissen Nutzungsdauer (also nachträglich) stellt sich dann aber heraus, dass das Unternehmen weniger Kopien braucht und überlegt deshalb, die nicht mehr benötigten Kopien zu verkaufen.
Zwar ist in einer solchen Fallkonstellation die Kopie mit Zustimmung des Rechtsinhabers in Verkehr gebracht worden. Dennoch ist streitig, ob hier der Erschöpfungsgrundsatz tatsächlich greift und die betreffende Kopie wirksam weiterverkauft werden darf. Hintergrund des Streits ist die Frage, ob § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG nicht verlangt, dass die Software auf einem Datenträger (z.B. DVD) mit Zustimmung des Rechtsinhabers in Verkehr gebracht werden muss? Demnach würden Kopien der Software, die per Download vom Lizenznehmer selbst erstellt würden, keine “Vervielfältigungsstücke” im Sinne von § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG sein. Das würde aber zu dem für Laien schwer verständlichen Ergebnis führen, dass die Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes und damit das Recht zum Verkauf einer gebrauchten Softwarekopie davon abhängt, wie die Software geliefert wird, per Download oder physisch. Um hier auf europäischer Ebene Klarheit zu schaffen, hat der BGH genau diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Erschöpfungsgrundsatz ist die Frage, ob der Erschöpfungsgrundsatz in Lizenzbedingungen wirksam ausgeschlossen werden kann und Weitergabeverbote daher vom Lizenznehmer auch dann zu beachten sind, wenn die Software gekauft wurde? Nach deutschem Recht sind dann, wenn der Erschöpfungsgrundsatz tatsächlich greift, abweichende Vereinbarungen in Lizenzbedingungen (gleich ob AGB oder Vereinbarungen im Einzelfall) unwirksam und damit unbeachtlich. Das europäische Ausland sieht das jedoch zum Teil anders. Da alle EU-Länder ihr Urheberrecht im Einklang mit der Richtlinie “über den Rechtsschutz von Computerprogrammen” (letzte Fassung vom 23. April 2009, Richtlinie 2009/24/EG) gestalten und auslegen müssen, bleibt abzuwarten, was der Europäische Gerichtshof hierzu entscheidet.
Fazit
Bis der Europäische Gerichtshof entscheidet, kann man nur eines mit Gewissheit sagen: Es erschöpft sich stets nur das Verbreitungsrecht und das auch nur bezogen auf jene physischen Kopien der Software, die mit Zustimmung des Rechtsinhabers im Wege des Verkaufs in den Verkehr gekommen sind. Vertragliche Beschränkungen zur Vervielfältigung, Bearbeitung, Vermietung, öffentlichen Wiedergabe oder zum öffentlichen Zugänglichmachen (z.B. Zugriff von Dritten über Internet) erschöpfen sich nicht und müssen über die gesamte Nutzungsdauer beachtet werden. Die Konsequenzen daraus müssen in jedem Einzelfall genau geprüft werden.