Obama: Wahlsieg dank Big Data und Analytics
Präsident Barack Obama hat die US-Wahlen knapp gewonnen. Doch der eigentliche Gewinner sind seine 150 IT-Strategen in Chicago, die schon frühzeitig mit massiven Einsätzen von Big Data und Predictive Analytics seine Wahlkampf-Aktionen bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet haben.
Am deutlichsten zeigt sich der Erfolg des massiven Einsatzes von Big Data und Predictive Analytics daran, dass Obama mit einem sehr knappen Stimmenvorsprung von nur zwei Prozent ein Verhältnis von 332 zu 206 bei den Wahlmännern erzielen konnte.
Zum Verständnis: Solche Unterschiede entstehen durch das amerikanische Wahlsystem, bei dem die Wahlmänner eines Bundesstaates alle für den einen oder für den anderen Kandidaten in die Abstimmung geschickt werden. Für welchen Bewerber die Wahlmänner eines Staates stimmen, hängt davon ab, welcher Präsidentenkandidat in ihrem Staat die Mehrheit bekommen hat. Das heißt, die Stimmen für den Gegenkandidat gehen in jedem Staat verloren. Im Extremfall kann es vorkommen, dass ein Kandidat zwar die meisten Stimmen bekommt – trotzdem aber nicht genügend Wahlmänner für eine Wiederwahl hat. Das war vor acht Jahren der Fall, als Al Gore gegen George W. Bush antrat. Gore hatte die meisten Stimmen, aber Bush die meisten Wahlmänner.
Dieser kleine Exkurs in das US-Wahlrecht ist wichtig, denn Obamas hochanalytischer Wahlkampf hatte diese Systemschwäche von Anfang im Auge, denn es war klar, dass die Wahl ein Kopf-an-Kopf Rennen werden würde. Mit anderen Worten: Obamas Wahlstrategen stellten sich schon frühzeitig darauf ein, dass Obama möglicherweise nicht die Mehrheit der Stimmen bekommt. Um trotzdem als Sieger aus der Wahl hervorzugehen, muss er die sogenannten “Battleground Staaten” für sich gewinnen. Das sind neun Bundes-Staaten bei denen es immer nur einen knappen Vorsprung für den einen oder anderen Kandidaten gibt, und in dessen Folge dann alle Wahlmänner dieses Staates einmal auf den Kanditen der Republikaner und ein anders mal auf den Kandidaten der Demokraten fallen. Diese “Swing States” sind Virginia, Florida, North Carolina, Ohio, New Hampshire, Colorado, Wisconsin, Iowa und Nevada. Genaugenommen entscheiden diese neuen Staaten mit ihren Wechselwählern über den gesamten Wahlausgang in den USA.
Das ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit fanden die meisten Wahlkampf-Aktionen und -Reden nahezu ausschließlich in diesen neun Staaten statt. Matt Reese, einst der erfolgreiche Wahlkampfmanager für John F. Kennedy sagte seinerzeit: “Ich wünschte, alle Unentschlossenen haben eine grüne Nase, dann könnten wir unsere Aktion effizienter und zielgerichteter durchführen.” Obamas Wahlstrategen haben dieses Problem jetzt gelöst – aber nicht mit grünen Nasen, sondern mit Hilfe von modernsten Business-Analytics. “Wir messen alles und wir überlassen nichts dem Zufall”, sagt Obamas Kampagnen-Manager Jim Messina über den Hintergrund des neuen Hightech-Einsatzes.
Dabei gingen sie folgendermaßen vor: Zunächst fand eine extreme Verfeinerung der relevanten geografischen Regionen statt. So wurde bei jedem Swing-State auf Wahlkreis-Ebene ermittelt, wie das Wechselwählerverhalten in der Vergangenheit war – beziehungsweise, ob es überhaupt eines in dem betrachteten Wahlkreis gibt, denn auch innerhalb eines Staates gibt es Bezirke die nahezu immer geschlossen für den Republikaner oder den Demokraten stimmen.
In der nächsten Phase wurden Korrelationen zwischen Wahlverhalten und den soziodemografischen Daten eines Wahlkreises aufgespürt. Ziel war es, herauszufinden, wer – im soziodemografischen Sinne – die jeweiligen Wechselwähler sind. Parallel setze man normale Marktstudien an, mit denen man die Wichtigkeit und Sensibilität für bestimmte Themen und Argumente bei diesen Wechselwählern feststellen konnte. Mit einem eigenen Call-Center wurden hierzu über 54.000 Telefon-Interviews durchgeführt. Anschließend wurden die statistischen Profile der typischen Wechselwähler modelliert. Rund 100 Variable gingen in dieses Modell ein, um mit Hilfe von Predictive Analytics das vermutliche Wahlverhalten zu ermitteln. Diese Analysen wurden dann mit alternativen Aktionen und Argumenten simuliert, bis man die sinnvollste Strategie gefunden hatte.
Damit war das weitere Aktionsraster vorgegeben, denn es war jetzt klar, wen man, wann, wo und womit ansprechen muss, um ihn von Obamas Politik zu überzeugen. Bis hinunter auf die kleinsten Städte und Gemeinden wusste das Obama-Team ganz genau, welche Aktionen erfolgversprechend sind. Doch die Durchführung solcher Aktionen ist leichter gesagt als getan. Zum einen sind die neun Staaten über das ganze Land verteilt und zum anderen sind die meisten dieser Staaten sehr dünn besiedelt, sodass man mit einer einzelnen Aktion nur wenig Wähler erreicht.
Um eine großräumige Basis an Wahlkampfhelfern aufzubauen nutzte man vor allem Facebook und Twitter. Schon lange gab es dort genügend Fans, die man ansprechen konnte. So hatte Obama 16 Millionen Follower bei Twitter und bei Facebook waren es 27 Millionen. Parallel dazu installierte Obamas IT-Team eine eigene Social-Media-Plattform, über die die Wahlhelfer im ganzen Land aktiviert und gesteuert werden konnten. Hier wurde ihnen genauestens gesagt wann und wo sie eine Aktion durchführen sollen, wer als Gast kommt, welche Inhalte sie kommunizieren müssen und an welche Personengruppe sich diese Aktion primär richtet. Bis zum wortgenauen Musterdialog wurden die Aktivisten online mit Material versorgt.
Wer mehr leisten wollte, konnte sich zu entsprechenden Online-Kursen anmelden, in denen er genau das lernte, was das Wahlkampfteam für den jeweiligen Wahlkreis erarbeitet hatte. Also: Wen muss man ansprechen? Wo erreicht man diese Personen am besten? Welchen Möglichkeiten bieten sich für einen Dialog an? Wie kontrolliert man den Erfolg der Aktion? Wo kann ich Hilfe und Rat bekommen? Zentrales Element bei der Steuerung der Wahlhelfer war ein “Dashboard”, das sich ein Wahlkampfhelfer auf den PC installieren konnte. Aber darüber gab es nicht nur Einweg-Informationen von oben. Die User konnten sich darüber auch austauschen und über ihre Erfahrungen und Probleme berichten. Millionen solcher Dashboards wurden heruntergeladen und generierten Milliarden an Daten, die in fast-Realtime vom Wahlkampf-Team ausgewertet wurden. “Das ist Big Data in Aktion”, freute sich Obamas Chef-Analyst Rayid Ghani über diese Anwendung.
Mit weiteren IT-basierte Aktionen wurde diese Basis kontinuierlich erweitert. Beispielsweise gab es ein iPhone App, das auf einer Karte anzeigt, wo in der Umgebung Parteimitglieder wohnen, um diese bei anstehenden Wahlkampf-Events um Hilfe zu bitten.
Zu den freiwilligen Helfern gehörten aber auch viele Programmierer in San Francisco, die ohne zeitliche Vorgaben freiwillig Programme für den Wahlkampf erstellten. Hierfür stand in der Innenstadt ein Büro mit modernsten Computern zur Verfügung, an denen die Programmierer und unter Aufsicht von bezahlten Obama-Aktivisten wirken konnten. Die größte Aufmerksamkeit widmete man dort der Apps-Entwicklung und der Multi-Device-Architektur. Das heißt, dass alle Obama-Apps auf allen mobilen Geräten lauffähig sein müssen – unabhängig vom Formfaktor und dem Betriebssystem.
Wichtig waren die ständige Erfolgskontrolle und die schnelle Anpassung der Maßnahmen. Hierzu hatten Obamas Team verschiedene Referenz-Bereiche angelegt, die periodisch über ihre Wahl-Pläne befragt wurden. Doch das reichte den IT-Experten nicht. So wurden diese Umfragen mit Sediment-Analysen bei Twitter, Facebook und LinkedIn ergänzt. Was letztendlich die bessere Korrelation mit den tatsächlichen Wahlergebnissen hatte, werden die Auswertungen der kommenden Wochen zeigen.
Der Erfolg von Big Data und den Analytics zeigte sich dann in der Wahlnacht, als Obama in acht der neun Battleground-Staaten die Mehrheit gewann. Doch sein Team gab sich bescheiden. “Das war bei uns wie im Sport, allein mit guter Ausrüstung und Technologie gewinnt man keine Goldmedaille – aber wenn alles zwischen zwei Wettkämpfern gleich ist, kann Technologie den entscheidenden Unterschied ausmachen”, sagt Obamas Analytics-Chef Andrew Rasiej über seine Mega-Leistung. Deutlicher äußert sich jedoch der Harvard-Professor Nicco Mele. “Wir erleben einen Erdrutsch bei der Art, wie Politik das Volk erreicht und wie Politiker die Meinung des Volkes besser in ihre Pläne integrieren können.”
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