“Europas komplexe Gesetze bremsen die Cloud”
Damit die Wirtschaft die positiven Effekte des Cloud-Computing voll ausschöpfen können, ist es nötig, dass Europa als Wirtschaftsraum rechtlich einen einheitlichen Raum schafft, erklärt Darren Grasby, Corporate Vice President und General Manager EMEA bei AMD im Interview mit silicon.de. Damit könne auch sichergestellt werden, dass die EU nicht wirtschaftlich hinter andere Regionen wie etwa Nordamerika zurückfalle.
silicon.de: Immer mehr Unternehmen und Behörden wollen sich die Vorteile des Cloud-Computings sichern. Welchen Nutzen sehen Sie im Cloud-Comuting und welche Risiken sehen Sie dabei?
Grasby: Das Ziel ist meist, Investitionskosten zu senken, die Zusammenarbeit zu verbessern, Projekte mit minimalem Risiko zu beschleunigen und diese Projekte, so sie erfolgreich sind, auch schnell zu erweitern. Cloud Computing nutzt den offenen Zugang des Internets und agiert als universelle Plattform, die Menschen und Wirtschaft zusammenbringt.
Doch je beliebter sie wird, desto mehr müssen sich die beteiligten Interessensvertreter darum bemühen, diese Offenheit zu erhalten und dafür sorgen, dass die Cloud-Infrastruktur voll interoperabel und zugänglich ist. Zudem müssen kritische Fragen wie Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Benutzerfreundlichkeit miteinbezogen werden. Cloud Computing ebnet das weltweite Spielfeld und bereitet, wo wir gehen und stehen, den Boden für neue Erfolgsgeschichten.
silicon.de: Welche Volkswirtschaftlichen Auswirkungen sehen sie durch das Cloud-Computing?
Grasby: Mit minimalen Investitionen in Hard- und Software stehen Start-ups schon heute viele der IT-Ressourcen offen, die von großen weltweiten Unternehmen verwendet werden. Auch Regierungen können dazu beitragen, dass große Budgets reduziert oder anderweitig genutzt werden: Sie können Unternehmen dabei helfen, Steuerzahlern nützliche Services anzubieten, die ihnen Vorteile oder Einsparungen liefern. Auf diese Weise profitieren die Bürger von den Vorzügen Cloud-basierter E-Mails, Speicher, Videos und Dienstleistungen, die extrem preisgünstig und überraschend einfach zu handhaben sind. Und natürlich stimuliert die neue Cloud-Services-Generation auch die Volkswirtschaften in den Heimatländern ihrer Urheber.
Bei der Umsetzung wirtschaftlicher Chancen durch das Cloudcomputing kommt den Regierungen und der Industrie eine wichtige Rolle zu: Sie werben um Vertrauen bei den Anwendern, fördern das Verständnis intelligenter Praktiken und betreiben eine verantwortungsvolle Politik, die markenneutral ist und sowohl Innovationen als auch Wettbewerb unterstützt. Die im September 2012 veröffentlichte Strategie der Europäischen Kommission, “Das Potenzial des Cloud Computing entfesseln“, die durch AMD und andere Branchenführer unterstützt wird, gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich die europäische Wirtschaft erholen wird. Laut EU-Kommissarin Neelie Kroes bietet sich die Chance eines “enormen wirtschaftlichen Nutzens, der bis 2020 insgesamt mehrere 100 Milliarden Euro … sowie Millionen neuer europäischer Arbeitsplätze umfassen wird. Dies geschieht jedoch nur, wenn wir die richtigen politischen Maßnahmen ergreifen.“
silicon.de: Das klingt recht vielversprechend, aber was sind denn Ihrer Meinung nach die richtigen Maßnahmen?
Grasby: In einem Strategiepapier thematisiert die Europäische Kommission Standards und Zertifizierungen, die eine stabile Cloud-Infrastruktur und Best Practices (beispielsweise öffentliche Beschaffungsprogramme) entwickeln und Vertrauen in der Region schaffen sollen.
Die Cloud-Computing-Strategie der Kommission ist zwar hilfreich, aber die echten Chancen und Herausforderungen für Europa liegen in der Entwicklung harmonisierter Vorschriften und Methoden zur Umsetzung. Europa muss alle Grauzonen beseitigen und Bedenken ausräumen, man könne sich von einem einzigen Lieferanten abhängig machen (“Lock-in”). Hierzu müssen offene, gemeinsame Standards und die Interoperabilität der Cloud-Systeme gefördert werden, denn nur so können Anwender vertrauensvoll zwischen verschiedenen Anbietern wechseln, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Bislang gibt es aber noch keine konsequenten europaweiten Datenschutzregelungen.
Die Praxis der Cloud-Anbieter muss erheblich transparenter werden, zudem muss sichergestellt sein, dass die IT-Infrastrukturen entsprechend belastbar sind. All dies muss durch leicht verständliche Verträge und klare Regelungen zu den Service-Leveln und Service-Credits untermauert werden. Was das “Lock-in” betrifft, so begünstigen die Rahmenbedingungen zurzeit – durch Zufall oder aufgrund ihrer Beschaffenheit – eher die mächtigen Lieferanten, während andere ins Hintertreffen geraten. Deshalb müssen offene, nicht-proprietäre Technologiestandards gewährleistet sein. Nur ein freier Wettbewerb zwischen Komponenten- und Endproduktlieferanten sichert den Kunden den erforderlichen Wert, die Auswahl und die nötigen Innovationen.
silicon.de: Es scheint derzeit ein allgemeiner Trend zu sein, dass große Player noch größer werden. Wie kann eine politische fragmentierte Organisation wie die EU solchen Entwicklungen entgegenwirken, ohne dabei den Markt zu belasten oder zu verzerren?
Grasby: Hierfür ist es unerlässlich, dass die europäischen Regierungen gemeinsam handeln. Cloud-Computing bietet enorme Chancen in vielen Bereichen, sodass es beschämend wäre, wenn das Projekt durch ineffiziente Politik oder Vertrauensverlust bei Unternehmen und Verbrauchern scheitern würde. Während Europa durch die komplexen Gesetzgebungen geradezu gelähmt ist, sind andere mächtige Handelsblöcke wie Nordamerika weniger betroffen. Mit dem richtigen Ansatz und dem aufrichtigen Engagement aller Beteiligten kann Europa jedoch die Chance ergreifen und diesen wirtschaftlichen und technologischen Wendepunkt positiv für sich nutzen.
silicon.de: Herr Grasby, wir danken für das Gespräch.