Der unerwartete Personalwechsel im SAP-Vorstand erinnert den silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn an eine Wagner-Oper. Zudem glaubt er, dass man schon bald nicht mehr das “Walldorfer” Unternehmen wird sagen können und daran wird nicht nur der Wechsel der Rechtsform des Unternehmens schuld sein.
Müssen wir künftig eine andere Richtung wählen, wenn wir uns gen SAP verneigen? Was sich in den vergangenen Tagen in der Chefetage des (noch) größten deutschen Softwarekonzerns tut, hat etwas von einer Wagner-Oper, wo Heroen um das Ewige, Gute ringen und am Ende – scheitern. Wie zum Beispiel Cloud-Vorstand Lars Dalgaard und Personalvorstand Luisa Delgado, die letzte Woche von der SAP-Opernbühne abtraten.
Wo allerdings der grüne Hügel für das Festspielhaus demnächst errichtet wird, scheint äußerst fraglich. In Walldorf jedenfalls herrscht Götterdämmerung, während sich im amerikanischen Palo Alto die neuen Gralshüter zusammenfinden.
Sicher ist bislang nur, dass aus der SAP AG ab kommendem Jahr eine SAP SE werden soll, eine Gesellschaft nach europäischem Recht. Doch zu welchem Behufe – außer zum Steuersparen? “Nie sollst du mich befragen”, singen die Wagnerianer bei der SAP und könnten im Lohengrin-Libretto tunlichst fortfahren: “Ob Ost, ob West – das gelte allen gleich.”
DIE Chefetage gibt es bei SAP, das mit weiter abnehmender Genauigkeit “der Walldorfer Softwarekonzern” genannt wird, seit der vergangenen Woche ohnehin nicht mehr. Co-Vorstandschef Jim Hagemann Snabe sitzt meistens in Kopenhagen, sein Kollege Bill McDermott in den USA. Dort – in Palo Alto – haben auch der neue Entwicklungsvorstand Vishal Sikka und Aufsichtsratschef Hasso Plattner ihr Domizil. Und die künftige Kommunikationschefin Victoria Clarke wird auch eher aus einer der US-amerikanischen Niederlassungen der SAP die Marketing- und Kommunikations-Geschicke des Konzerns führen. In Walldorf sitzen hingegen die Urgesteine Gerhard Oswald (jetzt federführend für das Hana-Geschäft zuständig) und Finanzvorstand Werner Brandt, der bis zu seiner Pensionierung im kommenden Jahr nun auch die Personalangelegenheiten regelt.
Das alles sind erdrutschartige Veränderungen, die auch auf der Hauptversammlung des Konzerns am Dienstag dieser Woche interessieren. Denn nicht nur die Frage, wo das Unternehmen künftig sitzt, sondern auch die Zweifel darüber, wo das Unternehmen heute steht, beschäftigen die Aktionäre. Zwar zeigte das aktuelle Quartal wieder deutlich nach oben, riss aber mit ausgewiesenen 520 Millionen €uro Gewinn die Erwartungen der Analysten. In der Folge sank der Aktienkurs um fünf Prozent. Dennoch meinen die meisten Broker, das Kurspotenzial des Konzerns sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft – zugetraut werden der SAP bis zu 80 Euro pro Aktie. Und dennoch herrscht Unsicherheit.
Für Besorgnis sorgt dabei auch, dass der Umsatz sich mehr und mehr um Cloud-Produkte und Hana rankt, während das traditionelle Geschäft mit Unternehmenssoftware und Unternehmensberatung zurückgehe – allerdings auf höchstem Niveau. An der neuen Diversität hat SAP hart gearbeitet- und heftig investiert: rund 17 Milliarden Euro wurden allein für Aufkäufe (Business Objects 2007, Sybase 2010, SuccessFactors 2011, Ariba 2012) aus der Hand gegeben. Die Konsequenzen zeigen sich nicht nur in einem gigantischen Integrationsprojekt, in dem unterschiedlichste Firmenphilosophien, Führungsstrukturen und Produktbereiche zu einer neuen, weltumspannenden Einheit zusammengefasst werden sollen. Auch der Umbau des Vertriebs, der auf neue, schnell drehende Produkte und Saleszyklen getrimmt wird, sorgt für zusätzliche Reibungen. Dies gilt auch für die neuen Salesregionen: Nach der Zusammenlegung der beiden „Americas“ und dem starken Wachstum in Asien erscheint Europa wie ein abgehängter Kontinent.
Dalgaard und Delgado scheiterten offensichtlich in diesem Umbauprojekt: Vor allem die Talfahrt des ehemaligen „SuccessFactors“ Dalgaard war von vielen herbeigesehnt worden. Seit Monaten ließ der von Hasso Plattner schon mal zum neuen starken Mann erhobene Dalgaard kein gutes Haar an der Cloud-Strategie der SAP (“Alles Mist”). Jetzt freilich heißt Plattners Favorit Vishal Sikka. Das muss nicht unbedingt ein gutes Omen sein: Auch Shai Agassi hatte schon mal diesen Ehrentitel. Frei nach Lohengrin sollte man ausrufen: “Nie sollst du mich befördern.”