“Kundendialog im Netz muss auf der eigenen Seite stattfinden!”

silicon.de: Hallo Herr Tarkoff, alle Welt spricht von Social Media, aber nutzen es wirklich auch alle? Ich habe eher den Eindruck, dass vor allem im anglosächsischen Sprachraum die Nutzung von Social Media viel weiter ausgeprägt ist als hierzulande. Sehen sie das auch so?

Tarkoff: Wenn die Deutschen online sind, dann verbringen sie die mit Abstand meiste Zeit in sozialen Netzwerken – allein im vergangenen Dezember waren das mehr als 244 Millionen Stunden. Eine Studie des deutschen Hightech-Branchenverbandes Bitkom ergab zudem: Mittlerweile sind vier von fünf Deutschen in sozialen Netzwerken angemeldet – zwei Drittel nutzen diese aktiv, sieben von zehn aktiven Mitgliedern loggen sich täglich ein.

Ähnlich wie in anderen Ländern sind auch in Deutschland die älteren Internet-Nutzer wichtige Wachstumstreiber: Mehr als jeder Zweite der Generation 50+ ist inzwischen in sozialen Netzwerken unterwegs. Diese Zahlen hinken denjenigen aus dem angelsächsischen Sprachraum kaum hinterher, und sie werden weiter ansteigen.

Der Deutsche Markt hat also ein gewaltiges Potenzial, weshalb wir mit Lithium seit nunmehr 2 Jahren ja auch aktiv in ihn investieren. Lithium beschäftigt inzwischen mehr als 20 Mitarbeiter im deutschsprachigen Raum, hostet mehr als 20 deutschsprachige Communities und hat ein ausgedehntes Partner-Netzwerk.

silicon.de: Unterscheiden sich denn die Nutzer jenseits des Teiches von denen zum Beispiel in Deutschland in dem was sie online tun oder was sie teilen?

Tarkoff: Nicht die Nutzer, eher die Unternehmen: sie sind tendenziell zögerlicher und konservativer. Mehr als 80 Prozent aller Deutschen haben in diesem Jahr online eingekauft. Deutschland ist gemäß einer ComScore-Erhebung der zweitgrößte E-Commerce-Markt hinter Großbritannien, und Posts in den sozialen Netzwerken haben inzwischen mehr Einfluss auf die Kaufentscheidung als Radio-, Print- oder TV-Werbung – dank der Kommunikation der Leute untereinander.

Nur 14 Prozent aller Konsumenten glauben noch den traditionellen Werbebotschaften der Unternehmen. Alle anderen vertrauen den Empfehlungen Gleichgesinnter – und die zu finden ist im heutigen World Wide Web ein Leichtes, Google macht’s möglich: Zwei Drittel aller Leute forschen nach Bewertungen im Netz bevor sie kaufen. Dennoch investieren Unternehmen fast 90 Prozent ihrer Werbegelder weiterhin in traditionelle Werbeplattformen, nur 12 Prozent des Budgets fällt auf die neuen Kanäle – hier herrscht eine gewaltige Diskrepanz. Unternehmen sind gezwungen, ihre Strategien zu überdenken und den Nutzerbedürfnissen entsprechend anzupassen.

silicon.de: Wenn ich jetzt von den Kommunikationen dieser User profitieren will, muss ich einen Weg finden, mit diesen Nutzern in Kontakt zu treten.

Tarkoff: Unter “mit den Nutzern in Kontakt zu treten” verstehen die meisten Firmen heutzutage leider noch immer, auf Facebook, Twitter, Google+ oder anderen sozialen Kanälen ein Unternehmensprofil zu erstellen.

Hier bieten sie ihren Konsumenten in gewohnter Push-Manier News, Promotionen oder andere Inhalte zum Konsumieren an; ab und an schalten sie einen Wettbewerb, um mehr Likes und Followers zu sammeln. Doch was bringt das eigentlich? Eine Studie von Ignite hat gerade erst zu Tage gebracht, dass die organische Reichweite auf Facebook durch diverse Veränderungen der Newsfeed-Alghorhythmen inzwischen um 44 Prozent abgenommen hat, Unternehmen erreichen im Schnitt gerade noch 3 von 100 Fans.

Adweek dagegen fand schon 2011 heraus, dass 98 Prozent aller Fans, die einen Brand auf Facebook “liken”, danach niemals auf die Unternehmens-Seite zurückkehren. Würden Sie aufgrund dieser Voraussetzungen mit Ihrer “Social Strategy” und Ihrem dafür zur Verfügung stehenden Werbebudget vollumfänglich auf eine solche Plattform setzen, die Ihnen zudem noch nicht mal gehört, deren visuelle Gestaltungsmöglichkeiten es Ihnen nicht erlauben, sich wesentlich von der Konkurrenz zu differenzieren, und deren Daten allein von Mark Zuckerberg gesteuert und verwaltet werden?

Hier führt ein anderer Weg zum Ziel: ein echter, gewinnbringender Kundendialog im Netz muss unbedingt auf der eigenen Webseite stattfinden – vorzugsweise in einer firmeneigenen, mit den sozialen Kanälen vernetzten Community. Gerade erst hat IDC prophezeit, dass spätestens 2017 80 Prozent aller Fortune 500-Unternehmen eine eigene Kunden-Community haben werden. Heute sind es 30 Prozent.

silicon.de: Es gibt immer noch eine Menge von Unternehmen, die bewusst auf Social Media verzichten.

Tarkoff: Wer wirklich bewusst und kategorisch darauf verzichtet, die sozialen Netzwerke und die daraus entstehenden Konversationen der Leute untereinander in seine Unternehmens-Strategie mit einzubeziehen, begeht einen kapitalen und unverzeihlichen Fehler, denn gesprochen wird “da draußen” ja sowieso – ob ich nun mitmache oder nicht. Wie die Servicehotline oder die eigene Internet-Webseite wird immer häufiger ebenso selbstverständlich erwartet, dass Unternehmen ihren Kunden auch eine eigene Engagement-Plattform anbieten.

Nicht nur zum Dialog mit dem Unternehmen, sondern auch untereinander. Hier helfen sich die Nutzer dann gegenseitig mit Tipps & Tricks, sie machen bereitwillig mit, wenn es im Rahmen von Crowdsourcing-Projekten darum geht, ein Produkt besser an die Kundenwünsche anzupassen, und sie geben Kaufempfehlungen oder tun einfach ihre Begeisterung für einen Brand oder ein Gadget kund. Indem sie sich diese Mechanismen zu Nutze machen, sparen bereits heute hunderte von Unternehmen jährlich Supportkosten in Millionenhöhe, beschleunigen ihre Innovation oder kurbeln ihre Verkaufszahlen messbar um ein Vielfaches an. Als Geschäftsführer wäre ich albern, auf solche Chancen freiwillig zu verzichten, die dieser fundamentale Wandel Unternehmen heutzutage bietet.

silicon.de: Erst vor wenigen Tagen haben wir auf silicon.de über eine österreichische Studie berichtet, dass vor allem KMU wenig bis gar nicht von ihren Social-Media- Aktivitäten profitieren. Was läuft da in ihren Augen falsch?

Tarkoff: Die Antwort auf Ihre Frage geben Sie sich im ersten Satz des genannten Artikels gleich selbst. Ich zitiere: “Jeder macht es irgendwie, aber häufig auch nur aus der Befürchtung heraus, etwas zu verpassen.” Genau das ist der Punkt: Eine Social-Media-Strategie, die nur aufgesetzt wird, um auch irgendwie dabei zu sein, wird von den Nutzern in der Regel auch als solche wahrgenommen.

Das kann ein hastig ins Leben gerufener Facebook-Account sein, der im besten Falle als Multiplikator für dröge Unternehmensmeldungen dient, oder ein unfachmännisch geführter Twitter-Account, auf welchem Anfragen und Bemerkungen systematisch untergehen.

Gemäß Maritz Research werden 95 Prozent aller Posts auf Facebook und 70 Prozent der an Unternehmen gerichteten Tweets ignoriert – stellen Sie sich das mal vor! Das ist, als würde das Fräulein am Empfang partout den Telefonhörer nicht abheben, wenn ein Kunde anruft! Dabei haben die Konsumenten gerade auf Twitter hohe Ansprüche: 53 Prozent erwarten, dass ein Brand binnen einer Stunde auf ihren Tweet antwortet – diese Zahl erhöht sich gar auf 72 Prozent, wenn es um Beschwerden geht.

Wer hier nicht Schritt halten kann, wird unweigerlich abgestraft – mit schwindendem Kaufinteresse bis hin zur öffentlichen Demontage. Im Umkehrschluss haben Unternehmen, die es schaffen, auf die Kundenbedürfnisse einzugehen, ein leichtes Spiel, überzeugende Ergebnisse zu erzielen: Eine Studie von Millward Brown mit 500 aktiven Twitter-Nutzern ergab, dass im Falle einer schnellen Reaktion auf unternehmenseigenen Twitterkanälen 34 Prozent auf jeden Fall wieder bei diesem Unternehmen einkaufen werden, 43Prozent würden Freunde und Familienmitglieder ermutigen, ebenfalls dort einzukaufen, und 42 Prozent sind gar willens, die Marke in den sozialen Medien positiv zu besprechen oder gar zu empfehlen.

silicon.de: Liegt die Erfolglosigkeit mancher Unternehmen auch daran, dass vielleicht in solchen Firmen keine Verantwortlichen für das Thema vorhanden sind? Wie kann man diesem Mangel begegnen?

Tarkoff: Ein Hauptfehler im Denkprozess von Firmen besteht darin, dass sie die sozialen Kanäle oftmals als Silos betrachten und von Studenten handhaben lassen, anstatt sie in ihre gesamte Unternehmensstrategie mit einzubinden.

Nur wer das Thema zur Chefsache zu erklärt, ist in der Lage, die notwendige Transparenz und Authentizität zu gewährleisten, deren es bedarf, seinen Kunden auf Augenhöhe zu begegnen und diese zu begeisterten Markenbotschaftern oder unschätzbaren Support-Leistern heranwachsen zu lassen. Es käme ja auch niemand auf die Idee, das Marketing oder den Support mal eben nebenbei von der Sekretärin oder vom Lehrling erledigen zu lassen.

Wer seine Kunden dazu einladen möchte, sich zu engagieren, die eigenen Produkte zu testen oder zu beurteilen, wer sie animieren möchte, sich der Probleme, die andere Nutzer vielleicht mit den Produkten haben, anzunehmen, der muss zum einen ein passendes, ansprechendes Umfeld zur Verfügung stellen und zum anderen den ganzen Content, den die Fans und Kunden dann erzeugen, auch verwalten.

Idealerweise ist so eine Plattform eine mit den sozialen Kanälen vernetzte, firmeneigene Community, von der Geschäftsleitung vollumfänglich unterstützt und professionell moderiert. Es gibt heute Zertifizierungsprogramme, auch von Lithium, bei denen man genau diese Fertigkeiten erlernen kann – und glauben Sie mir, es lohnt sich!

silicon.de: Nun haben wir uns darüber unterhalten, wie es ist, ein Produkt in einen Social-Media-Kanal hineinzutragen. Was aber, wenn sich zum Bespiel Kunden über den neuen Lenker eines Fahrrades beschweren. Wie kann man es dann wieder schaffen, aus Social Media wieder die Wünsche der Kunden herauszufiltern und dann diese wieder an das Produktmanagement zurückzuspielen?

Tarkoff: Falls es sich um eine Beschwerde handelt, würde sie üblicherweise automatisch in der webeigenen Community des Fahrradherstellers landen – auch wenn sie via Facebook oder Twitter kommt.

In der Community wird der unzufriedene Kunde sofort entdeckt und auf sein Anliegen eingegangen – im Idealfall nicht von einem Firmenmitarbeiter, sondern von einem anderen Community-Mitglied. Der Community-Manager beobachtet die Konversation lediglich – es sei denn, das Anliegen ist direkt an ihn gerichtet. Er stellt allerdings sicher, dass das Feedback des Kunden beim Produktmanagement landet, wenn es denn von Relevanz für dieses ist.

Für diejenigen, die keine Community haben als Anlaufstation, gibt es Tools, welche das Monitoring der sozialen Kanäle übernehmen, Anfragen oder Beschwerden automatisch als solche erkennen, sie priorisieren und gemäß eines zuvor definierten Schlüssels an einen zuständigen Support-Mitarbeiter weiterleiten, der sie dann bearbeitet. Lithium bietet für beide Fälle umfassende Lösungen an. Wir arbeiten weltweit mit mehr als 300 Unternehmen erfolgreich zusammen, auch in Deutschland.

silicon.de: Können Sie weitere Beispiele aufzählen?

Tarkoff: Bei Telefonica O2 Germany zum Beispiel gingen innerhalb der ersten 6 Monaten nach Lancierung der Lithium-Community bereits 600 Ideen ein, von denen viele erfolgreich umgesetzt wurden. Heute wird der Support größtenteils in der Community abgewickelt und folglich von den Kunden bestritten.

So ist eine riesige Lösungsdatenbank entstanden, in der jedes gelöste Problem archiviert wird und leicht wieder aufgefunden werden kann. Der Vorteil ist klar: Bereits einmal gelöste Problemfälle müssen nicht erneut beantwortet werden. Der Zuspruch ist riesig: Telefonica O2 registriert rund 10 Millionen Page Views pro Monat, das Forum verzeichnet 160 000 angemeldete User.

Bei 70 000 bis 80 000 Searches pro Monat und 5000 bis 7000 Posts im Jahr ist klar, wie viele Telefonanrufe sich das Unternehmen spart. Der Löwenanteil des Traffics kommt von übrigens von Google – ein sicheres Anzeichen dafür, dass das Forum aufgrund der bevorzugten Indexierung des von den Usern erzeugten Contents auch als Suchmaschinen-Optimierung bestens funktioniert.

silicon.de: Herr Tarkoff, wir danken für das Interessante Gespräch.

Redaktion

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  • Sehr netter Artikel.

    Einer Aussage möchte ich jedoch mal ganz klar widersprechen.

    "Heute wird der Support größtenteils in der Community abgewickelt und folglich von den Kunden bestritten."
    -> Diese Aussage ist mehr als zweifelhaft. Der Support wird immer noch im überragenden Masse per Telefon, Chat und E-Mail durchgeführt. Die Community ist dabei aber nur ein Nebenspieler. Jedoch auch keine, der alle Fragen klären kann.

    Bei 160.000 angemeldeten Usern, von circa 19,3 Millionen Kunden, sind also gerade mal 0,8% der o2 Kunden in der Community angemeldet, können also darüber Ihre Fragen stellen.

    "So ist eine riesige Lösungsdatenbank entstanden, in der jedes gelöste Problem archiviert wird und leicht wieder aufgefunden werden kann. Der Vorteil ist klar: Bereits einmal gelöste Problemfälle müssen nicht erneut beantwortet werden."

    Auch dieses Argument wurde bereits mehrfach widerlegt.

    Anfragen die bereits gelöst worden sind müssen trotzdem häufig erneut bearbeitet werden. Den Kunden sind eben nicht bereits, häufig nach Ihrer Lösung zu suchen. Wer eine Frage hat stellt diese. Hier wird das Prinzip der Foren, welche es rund um die 2000 schon mal gab als komplett neu verkauft. Dabei ist genau dieses Prinzip auch damals schon gescheitert.

    Kurzfristig mag es sich toll anhören, aber erst die langfristigen Ergebnisse werden zeigen, welche Erfolge dadurch wirklich möglich sind.

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