IBM und Lenovo: Über Nacht eine neue Server-Macht

High-End-Systeme wie der IBM zBC12 behält IBM aus gutem Grund. Quelle: IBM

“Wow, man wacht auf und es ist eine völlig neue Welt”, so ein sichtlich überraschter Richard Fichera, Analyst bei Forrester zur Nachricht, dass für 2,3 Milliarden Dollar die x86-Server-Sparte von IBM an den chinesischen Hersteller Lenovo geht.

Neben allen x86-Appliances, Rack- und Blade-Servern bekommt Lenovo auch lizenzierten Zugriff auf IBM-Software und Hardware wie SmartCloud Entry, Storewize, Director, Platform Computing oder auch GPFS. Gleichzeitig wird IBM auch weiterhin als OEM diese Hardware beziehen, um Appliances unter dem eigenen Namen auf den Markt bringen zu können. Wie bereits gestern bekannt wurde, wird IBM die Margenstärkeren Mainframes (System z) und sämtliche Power-basierten Produkte behalten.

Fichera allerdings sieht für Anwender, anders etwa als Gartner, wenig bis gar keine Folgen durch die Übernahme: “Das wird größtenteils eine nahezu unsichtbare und Nicht-disruptive Trasition für die meisten Nordamerkia und Europäischen IBM-Server-Kunden sein. Meine Erwartung hier ist, dass beide Unternehmen diese Transition schnell abstimmen werden und das intakte IBM-Management und auch das Bodenpersonal wird das im Sinne der Kunden ordentlich umsetzen.” Für Lenovo-Anwender sieht er jetzt deutlich mehr Möglichkeiten. Allerdings hält Lenovo bei Servern derzeit lediglich nur rund ein Prozent des Marktes. Das sieht natürlich in anderen Märkten wie etwa China ganz anders aus. Das Gesamtvolumen des Marktes werde sich laut Fichera dadurch jedoch nicht verändern. HP- und Dell-Anwender bekommen jetzt jedoch noch einen weiteren preiswerten etablierten Anbieter für Standard-Server.

Bereits gestern hatte der Gartner-Analyst Errol Rasit kommentiert, dass zwar auch er keine großen Verwerfungen erwartet, dass aber sich dennoch viele Fragen stellen werden, gerade beim Support und auch bei der Feature-Roadmap.

“Mittelfristig wird es für Channel-Partner und Anwender in Europa wenig Veränderungen geben”, glaubt IDC-Server-Spezialist und Research Manager Giorgio Nebuloni in einer Mail. Lenovo sei noch stärker als IBM ein Channel-Getriebenes Unternehmen.

Nahezu der gesamte Serverabsatz werde derzeit bei Lenovo indirekt abgewickelt. Diese Phase sollten Anwender wie Channelpartner jedoch nutzen, so Nebuloni, um die langfristige Strategie für die “Infrastruktur-Konsumierung” zu prüfen. Hier böten sich neben On-Prem auch Off-Premisses, Managed Hosting oder auch Cloud-Lösungen an.

Der vermehrte Einsatz von Cloud- und Hosting-Modellen bei Unternehmen mag vielleicht auch ein Grund gewesen sein, warum IBM dieses Geschäft abgestoßen hat. IBM, unbestritten Marktführer bei Mainframes und Unix/Power-Systemen kommt bei x86 im europäischen Raum lediglich auf einen Marktanteil von 13 Prozent hinter HP und Dell. Zudem hat IBM diesen Bereich seit geraumer Zeit nicht sonderlich aggressiv verfolgt. IDC geht davon aus, dass die Hersteller hier 15 bis 20 Prozent Margen erwirtschaften können. High-End-Systeme hingegen haben zwar niedrigere Stückzahlen, doch winken hier Margen zwischen 40 und 50 Prozent. Bei Software können sogar bis 70 Prozent Marge winken.

“Auf dem Papier scheint dieser Deal in die Strategie beider Unternehmen zu passen. Lenovo kann sich vom Kern-PC-Geschäft in hochwertigere Angebote diversifizieren und IBM kann den Weg hin zu einem Cloud-Provider fortsetzen”, so Nebuloni. Interessant werde es aber an den Schnittstellen. So hätten in manchen Umgebungen etwa x86-Blades alte Unix-Installationen abgelöst. Auch laufen auf solchen Installationen wichtige Unternehmenskernprozesse.

“IBM hält nur die Power-basierten Blades, daher werden beide wohl eine langfristige Partnerschaft unterhalten müssen”, so Nebuloni weiter. Auch hätten derzeit einige Anwender gemischte Systemlandschaften aus x86, Power oder Mainframe oder auch Storage-Komponenten, die IBM ohnehin behält. “Wir kennen derzeit die Details dieses Verkaufs nicht, aber wie wir ja wissen steckt genau da sprichwörtlich der Teufel drin.” Gartner-Analyst Rasit sieht in dem Deal daher auch eher ein Partner-Agreement. Dafür könnte auch der vergleichsweise niedrige Preis sprechen.

Dennoch, darin sind sich die drei Analystenhäuser einig, sollten IBM-Anwender zum jetzigen Zeitpunkt keine überstürzten Handlungen vom Zaun brechen.

Redaktion

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