Hybrid und Multi-Cloud: Der echte Nutzen von Public Cloud Infrastrukturen
Was sind die Vorteile und existieren bereits tatsächlich belastbare, hybride Anwendungsfälle, die sich als Best Practice Orientierungshilfen nutzen lassen? Antworten liefert Cloud-Lead-Analyst René Büst von Crisp Research in diesem Analyst. Ein weiteres Thema dieses Beitrages sind noch offene Fragen bei Multi-Cloud-Szenarien.
Seit Anbeginn des Cloud Computing ist die Hybrid Cloud in aller Munde. Von Anbietern, Beratern und auch Analysten ständig als das Allheilmittel für Cloud Deployments angepriesen, steht die Kombination verschiedener Cloud-Modelle permanent im Fokus von Diskussionen, auf Panels oder während Gesprächen mit CIOs und IT-Infrastrukturleitern. Die Kernfragen, die es währenddessen zu klären gilt: Was sind die Vorteile und existieren bereits tatsächlich belastbare, hybride Anwendungsfälle, die sich als Best Practice Orientierungshilfen nutzen lassen. Antworten darauf wird dieser Analyst View geben und in diesem Zuge ebenfalls die Idee hinter den Multi-Cloud-Szenarien erläutern.
Hybrid Cloud: Zündstoff für die Public Cloud
Unter vielen Entwicklern und Startups gilt die Public Cloud als Segen, um hohen und nicht kalkulierbaren Vorabinvestitionen in Infrastrukturressourcen (Server, Storage, Software) zu entfliehen. Beispiele wie Pinterest oder Netflix zeigen reale Anwendungsfälle und bestätigen den tatsächlichen Nutzen. Ohne die Public Cloud hätte Pinterest kurzfristig niemals so ein Wachstum erlebt und auch Netflix profitiert von dem skalierbaren Zugriff auf Public Cloud Infrastrukturen. Im vierten Quartal 2014 wurden 7,8 Milliarden Stunden an Videos ausgeliefert. Das entspricht einem Datenaufkommen von über 24.021.900 Terabyte.
Was diese Paradebeispiele jedoch verheimlichen: Es handelt sich dabei um Entwicklungen auf der grünen Wiese – wie nahezu alle Workloads, die als native Web-Applikationen auf Public Cloud Infrastrukturen betrieben werden und nur die Spitze des Eisbergs ausmachen. Die Unternehmensrealität spült allerdings eine andere Wahrheit ans Licht. Im Bauch des Eisbergs finden sich jede Menge Legacy-Anwendungen die sich in ihrer derzeitigen Form nicht in der Public Cloud betreiben lassen. Hinzu kommen Anforderungen und Szenarien, die für den Einsatz einer Public Cloud nicht in Frage kommen. Weiterhin lässt sich festhalten, dass die meisten Infrastrukturmanager und Architekten ihre Workloads und deren Bedarf sehr gut kennen. Das sollten Anbieter langsam akzeptieren und sich gleichermaßen eingestehen, dass die Public Cloud für statische Workloads in vielen Fällen zu teuer ist und andere Deployment-Formen deutlich mehr Attraktivität bieten.
Per Definition wurde der Wirkungskreis einer Hybrid Cloud zu Beginn auf die Verbindung einer Private Cloud mit den Ressourcen einer Public Cloud eingeschränkt. In diesem Fall betreibt ein Unternehmen seine eigene Cloud-Infrastruktur und nutzt die Skalierbarkeit eines Public Cloud Anbieters, um sich bei Bedarf an weiteren Ressourcen in Form von Rechenleistung, Speicherplatz oder anderen Services zu bedienen. Mit dem Aufkommen weiterer Cloud-Deployment-Formen haben sich ebenfalls neue Hybrid-Cloud-Szenarien entwickelt, welche die Hosted Private und Managed Private Cloud mit abdecken. Insbesondere für weitestgehend statische Workloads, bei denen die Anforderungen an die Infrastruktur im Mittel bekannt sind, eignet sich eine externe statische Hosted Infrastructure. Periodisch auftrennende Schwankungen durch Marketingaktionen oder das Weihnachtsgeschäft werden durch das dynamische Hinzufügen weiterer Ressourcen aus einer Public Cloud abgefangen.
Dieser Ansatz lässt sich auf viele weitere Szenarien abbilden. Dabei müssen nicht nur reine Infrastrukturressourcen wie virtuelle Maschinen, Speicher oder Datenbanken im Vordergrund stehen. Auch der hybride Einsatz von Value-Added-Services der Public Cloud Anbieter in eigens entwickelten Applikationen sollte berücksichtigt werden, um bereits fertige Services nicht erneut selbst entwickeln zu müssen oder von externen Innovationen umgehend zu profitieren. Mit diesem Ansatz eröffnet die Public Cloud auch Unternehmen einen echten Nutzen, ohne ihre gesamte IT vollständig auszulagern.
Reale Hybrid Cloud Anwendungsfälle finden sich u.a. bei Microsoft, Rackspace, VMware und Pironet NDH:
Microsoft Azure + Lufthansa Systems
Zur Erweiterung der internen Private Cloud und der weltweiten Rechenzentrumskapazitäten setzt Lufthansa Systems auf Windows Azure. Zu den ersten Hybrid Cloud Szenarien gehört ein Desaster Recovery Konzept, bei dem Microsoft SQL Server Datenbanken auf Microsoft Azure in einem Microsoft Rechenzentrum gespiegelt werden. Im Falle eines Fehlers innerhalb der Lufthansa-Umgebung werden die Datenbanken in einem Microsoft Rechenzentrum ohne Unterbrechung weiter ausgeführt. Weiterhin werden die eigenen Infrastruktur-Ressourcen um Microsofts weltweite Rechenzentren erweitert, um den Kunden ein einheitliches Leistungsportfolio zu bieten, ohne selbst weltweit entsprechende Infrastrukturkapazitäten aufbauen zu müssen.
Rackspace + CERN
Im Rahmen seiner OpenLab Partnerschaft nutzt das CERN die Public Cloud Infrastruktur von Rackspace, um bei Bedarf weitere Rechenressourcen zu beziehen. Typischerweise tritt dieser Fall ein, wenn die Physiker mehr Rechenleistung benötigen, als die lokale OpenStack-Infrastruktur in der Lage ist zu liefern. Das passiert regelmäßig während wissenschaftlicher Konferenzen, wenn die letzten Daten des LHC und dessen Experimente ausgewertet werden sollen. Applikationen mit einer geringen I/O-Rate eignen sich dabei am besten um von der CERN-Infrastruktur auf die Rackspace Public Cloud Infrastruktur ausgelagert zu werden.
Pironet NDH + Malteser
Im Rahmen des Projekts “Smart.IT” setzt Malteser Deutschland auf einen Hybrid Cloud Ansatz. Hierbei werden Applikationen aus dem eigenen Rechenzentrum mit Kommunikationslösungen wie Microsoft Office 365, Sharepoint, Lync und Exchange aus der Public Cloud kombiniert. Datenschutzrechtlich kritische Anwendungen wie die elektronische Patientenakte (EPA) werden über eine Private Cloud aus einem Pironet Rechenzentrum genutzt.
VMware + Colt + Sega Europe
Bereits seit Anfang 2012 setzt der Spielehersteller Sega Europe auf eine Hybrid Cloud, um externen Testern Zugriff auf neue Spiele zu ermöglichen. Zuvor wurde dieses anhand einer VPN-Verbindung in das firmeneigene Netzwerk realisiert. Mittlerweile verfügt Sega über eine Private Cloud, über die internen Projekten Entwicklungs- und Testsysteme bereitgestellt werden. Diese Private Cloud ist direkt mit einer VMware-basierten Infrastruktur in einem Colt Rechenzentrum verbunden. Damit kann Sega zum einen weitere externe Ressourcen zum Ausgleich von Spitzenlasten aus einer Public Cloud beziehen. Zum anderen steht den Testern darüber ein spezieller Testbereich zur Verfügung. Die Tester greifen damit nicht mehr auf das Sega-Firmennetzwerk zu, sondern testen auf Servern in der Public Cloud. Sind die Tests abgeschlossen, werden die nicht mehr benötigten Server von der Sega-IT – ohne Eingriff von Colt – wieder heruntergefahren
Multi-Cloud: Die Automobilindustrie dient als Vorbild
Im Zuge der stetigen Verbreitung der Hybrid Cloud rücken auch Multi-Cloud-Szenarien immer weiter in den Fokus. Für ein besseres Verständnis der Multi-Cloud hilft es, sich das Lieferkettenmodell aus der Automobilindustrie als Beispiel heranzuziehen. Der Automobilhersteller setzt auf unterschiedliche (zum Teil redundante) Lieferanten, die ihn mit einzelnen Komponenten, Baugruppen oder fertigen Systemen beliefern. Am Ende fügt der Automobilhersteller die Just-in-time gelieferten Teile in seinen Montagewerken zusammen.
Die Multi-Cloud respektive Hybrid Cloud adaptiert die Idee aus der Automobilindustrie, indem mit mehr als einem Cloud Anbieter (Cloud Zulieferer) zusammengearbeitet wird und am Ende alle in die eigene Cloud Applikationen beziehungsweise Cloud Infrastruktur integriert werden.
Als Teil der Cloud Supply Chain stehen hierbei drei Liefer-Ebenen zur Verfügung die sich für die Entwicklung einer Cloud Applikation oder dem Aufbau einer Cloud Infrastruktur einsetzen lassen:
- Micro Service: Micro Services sind granulare Dienste wie Microsoft Azure DocumentDB und Microsoft Azure Scheduler oder Amazon Route 53 und Amazon SQS, die sich nutzen lassen, um eigene Cloud-native Applikationen zu entwickeln. Micro Services lassen sich jedoch auch als Teil einer Anwendung integrieren, die auf einer eigenen Infrastruktur betrieben wird und sich durch die Funktionalität des Micro Service erweitern lässt.
- Module: Ein Modul kapselt ein Szenario für einen bestimmten Anwendungsfall ab und stellt damit eine fertige Teil-Anwendung zur Verfügung. Hierzu gehören bspw. Microsoft Azure Machine Learning und Microsoft Azure IoT. Module lassen sich wie Micro Services für die Entwicklung bzw. die Integration von Anwendungen nutzen, bieten aber einen größeren Umfang hinsichtlich ihrer Funktionalität.
- Complete System: Bei einem Complete System handelt es sich um SaaS-Applikationen, also vollständige Anwendungen, die sich direkt im Unternehmenskontext nutzen lassen, aber noch über Schnittstellen zu anderen bestehenden Systemen integriert werden müssen.
Eine Enterprise Cloud Infrastruktur bzw. Cloud Applikation kann im Multi-Cloud-Modell auf mehr als einen Cloud Zulieferer zurückgreifen und dabei mehrere Micro Services, Module und Complete Systems unterschiedlicher Anbieter integrieren. In diesem Modell entwickelt ein Unternehmen den Großteil seiner Infrastruktur/ Applikation selbst und erweitert die Architektur um weitere externe Services, deren Aufwand zu groß wäre, um sie intern extra neu zu entwickeln.
Das sorgt jedoch für höhere Kosten im Bereich des Cloud-Managements (Lieferanten-Management) und auf Integrationsebene. Lösungen wie SixSq Slipstream oder Flexiant Concerto haben sich auf das Multi-Cloud-Management spezialisiert und unterstützen bei der anbieterübergreifenden Nutzung und Verwaltung von Infrastrukturen. Elastic.io hingegen arbeitet auf unterschiedlichen Cloud-Ebenen und über verschiedene Anbieter hinweg und steht als zentraler Connector zur Seite um die Cloud-Integration einfacher zu gestalten.
Die Cloud Supply Chain ist ein wichtiger Bestandteil der Digital Infrastructure Fabric (DIF) und sollte in jedem Fall berücksichtigt werden, um von der Vielfalt unterschiedlicher Cloud-Infrastrukturen, -Plattformen und Applikationen zu profitieren. Der einzige Wermutstropfen besteht darin, dass sich die oben genannten Value-Added-Services (Micro Services, Module) nur in den Portfolios von den Amazon Web Services und Microsoft Azure wiederfinden. Im Zuge der sich rasant entwickelnden Anwendungsszenarien des Internet of Things (IoT) nehmen IoT-Plattformen und Mobile Backend Infrastrukturen einen immer größeren Stellenwert ein. Fertige Lösungsszenarien (Cloud Module) erleichtern potentiellen Kunden dabei den Entwicklungsaufwand und geben Anstöße für neue Ideen.
Infrastrukturanbieter deren Portfolio sich weiterhin auf pure Infrastrukturressourcen wie Server (virtuelle Maschinen, Bare Metal), Storage und ein paar Datenbanken reduziert, werden mittelfristig von der Bildfläche verschwinden. Nur wer seine Infrastruktur mit Enablement-Services für (Web)-Applikationen, Mobile und IoT-Anwendungen aufwertet, wird wettbewerbsfähig bleiben.