Neue Regeln für ein offenes Internet beschließt das EU-Parlament. Das Gesetz soll zwar diskriminierungsfreien Zugriff auf das Internet garantieren, umfasst jedoch “Überholspuren” für “spezialisierte Dienste”. Auch “Zero-Rating” – eine Klassifizierung von Apps oder Diensten, die nicht auf eine Volumenbegrenzung angerechnet werden – wird nicht grundsätzlich verboten. Laut Digitalkommissar Günther Oettinger seien damit aber Notrufe, Gesundheits- und Mobilitätsdienste gemeint. Allerdings fehlt im Gesetzestext diese Klarstellung.
Die Regelung räumt jedem Europäer das Recht auf Zugang zum offenen Internet ein. Blockaden und Drosselungen sind – mit Ausnahmen – untersagt. Telekommunikationsdienstleister dürfen also keine Online-Konkurrenten wie Skype oder Facetime sperren. Diese Beispiele stammen von der EU selbst.
Zudem muss jeder Traffic gleich behandelt werden. Priorisierung gegen Bezahlung verbietet das Gesetz. Zu den Ausnahmen zählen “vernünftiges, alltägliches Traffic-Management”. Aber auch “spezialisierte Dienste”, die “zusätzlich zum offenen Internet” angeboten werden, dürfen Priorität haben. Dies dürfte beispielsweise für die viel kritisierte IPTV-Plattform Entertain der Deutschen Telekom gelten.
Mit der Entscheidung treten erstmals europaweit gültige Regeln zur Netzneutralität in Kraft, allerdings mit vage formulierten Ausnahmen. Unter Netzneutralität ist die strikte Gleichbehandlung sämtlicher Internetdaten zu verstehen.
Die große Mehrheit der Parlamentarier votierten somit auch gegen die Stimmen von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee sowie einer Gruppe von Internetfirmen rund um BitTorrent, Netflix, Reddit und Tumblr. Sie hatten sich in den letzten Tagen zugunsten der strengeren Ergänzungen ausgesprochen – auch mit Verweis auf die USA, wo die im Februar von der zuständigen Behörde FCC eingeführte Neuregelung, die jegliche Priorisierung von Datenverkehr untersagt, sich schon positiv auf den Wettbewerb ausgewirkt habe.
Berners-Lee sprach sich etwa für ein grundsätzliches Verbot von Traffic-Klassen aus, mit denen ISPs regulieren, welche Anwendungen sie priorisieren und welche drosseln. Dies wirke sich besonders ungünstig auf Verschlüsselung aus, sagte der Web-Erfinder: Verschlüsselter Traffic werde oft vollständig in eine Klasse gepackt und diese dann gedrosselt. Und über Zero-Rating sagte er, es gebe ISPs die Macht, den Erfolg und Misserfolg von Online-Anbietern zu beeinflussen.
Daher ist auch der IT-Mittelstandsverband BITMI “vorsichtig optimistisch”. “Das Hauptanliegen des IT-Mittelstandes ist, dass das Internet ein neutraler Wettbewerbsraum bleibt. Darum sind wir froh, dass alle Beteiligten das Best-Effort Prinzip beim Thema Netzneutralität als Grundlage für die Regulierung digitaler Netzwerke in Europa sehen”, kommentiert BITMi-Präsident Oliver Grün. “Dass einzelne Datenkategorien in bestimmten Situationen unterschiedlich priorisiert werden können, ist aus unserer Sicht akzeptabel. Voraussetzung dafür ist aber, dass es innerhalb dieser Datengruppen keine Ungleichbehandlung geben darf und der Eingriff in die Netzneutralität notwendig ist”, so Grün weiter. Denn durch das im Gesetz sichergestellte “Best-Effort Prinzip” sollten alle Internetprovider sämtliche von Ihnen übermittelten Datenpakete gleich behandeln unabhängig von ihrem Inhalt, ihrem Verwendungszweck oder ihrer Quelle. “Eine Diskriminierung einzelner Marktteilnehmer ist damit nicht möglich”, so Grün weiter.
Kritischer sieht das neue Gesetz Jimmy Schulz, Mitglied im Bundesvorstand und Netzexperte der FDP: “Netzneutralität im Internet ist ein hohes Gut und schützt Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung ebenso wie neue Ideen und Start-Ups. Mit der im Europäischen Parlament beschlossenen Lösung ist man jedoch ein gutes Stück davon abgerückt. Der Kollateralschaden dieser Regelung ist größer als sein erwarteter Nutzen.” Das durch den Beschluss ermöglichte “Zero Rating” (gratis Volumen für bestimmte Anbieter) verzerre den Wettbewerb. “Gleiches muss auch gleich behandelt werden!” so Schulz weiter.
Dennoch gibt es auch aus dem IT-Mittelstand Kritik: Wie auch viele andere Teilnehmer an dieser Debatte wertet der Mittelstandsverband die Tatsache, dass die Datenkategorien für Eingriffe in die Netzneutralität noch nicht abschließend festgesetzt sind kritisch. Man hofft jetzt auf eine schnelle Festschreibung der Regelungen: “Spezialdienste sollten nur für bestimmte, klar umrissene Bereiche angeboten werden, und nicht als Hintertür für die Umgehung der Netzneutralität durch große Provider missbraucht werden. Und wir bedauern auch, dass durch diese Regelung falsche Anreize für Provider gesetzt werden.” “Jetzt ist es ihnen möglich, den Datendurchsatz in Netzen zu drosseln, wenn deren Auslastung zu hoch wird. Wir hätten uns mehr Anreize für den Breitbandausbau gewünscht.”
Zugleich entschied das EU-Parlament für die Abschaffung von Roaminggebühren in der EU bis Mitte 2017. Er schloss sich damit der Entscheidung des EU-Ministerrats vom Juni 2015 an. Die Regelung sieht vor, dass Verbraucher für Anrufe, SMS und Datennutzung überall in der EU ab Mitte 2017 einen einheitlichen Preis zahlen.
Der jetzt verabschiedete Kompromiss beinhaltet auch einen Schutz für Mobilfunkanbieter vor Missbrauch des Roaming in Form einer Fair-Use-Richtlinie. Sie soll beispielsweise verhindern, dass Kunden in einem anderen EU-Land einen Mobilfunkvertrag zu günstigeren Bedingungen abschließen.
[mit Material von Florian Kalenda, ZDNet.de]
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