Noch ist nicht sicher, wie es nach dem “Nein” zur EU mit Großbritannien und Nordirland weitergehen wird. Viele offene Fragen, unter anderem, wie das britische Parlament entscheidet, sorgen für Unsicherheit. Und Unsicherheit ist letztlich immer Gift für die Wirtschaft. Daher wird auch in der IT-Branche der mögliche Austritt des Vereinigten Künogreichs aus der EU negative Folgen nach sich ziehen: Turbulenzen bei Fachkräften, Unsicherheit beim Datenschutz und Schwankungen bei IT-Exporten sind zu erwarten. Sicher ist schon jetzt eine allgemeine Eintrübung bei der Wirtschaftsleistung.
Für die deutsche Wirtschaft ist Großbritannien nach Frankreich der wichtigste Exportmarkt für IT, Unterhaltungselektronik und Dienstleistungen. 2015 exportierte Deutschland ITK-Produkte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Laut Berechnungen des Bitkom entspricht das etwa 8 Prozent der gesamten deutschen ITK-Exporte.
Aus Großbritannien erreichten Deutschland dagegen ITK-Produkte im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro. Werden künftig Zölle fällig, wird das den Warenaustausch nicht zum Erliegen bringen, Einbußen sind jedoch wahrscheinlich. “Jedes Hemmnis für einen freien Austausch von Waren birgt die Gefahr, dass es auch zu Umsatzverlusten bei deutschen Anbietern kommt”, warnt Bitkom-Präsident Bernhard Rohleder.
Der Waren- und Dienstleistungsaustausch aber dürfte in der aktuellen Debatte aus IT-Sicht jedoch das geringste Problem darstellen. Ein Ende der Freizügigkeit als EU-Mitgliedsland bedeutet für IT-Experten und Unternehmen, die auf solche angewiesen sind, erhebliche Einschränkungen, zumal Großbritannien kein Schengen-Staat ist.
Großbritannien und vor allem der für Europa äußerst wichtige IT-Standort London braucht aber Fachkräfte, die wohl auch aus dem europäischen Ausland rekrutiert werden müssen. Für Unternehmen auf der Insel verkompliziert der Brexit das Recruiting weiter: Brexit wird so auch zum Brex-IT.
Wie das aussehen kann, zeigt das Job-Portal monster.de. Die Zugriffe aus Großbritannien auf Jobs in Deutschland sind in der Zeit vor und nach dem Referendum signifikant angestiegen. In der Woche nach dem Referendum stiegen diese Anfragen sogar um 44 Prozent.
Schon vor dem Referendum am 23. Juni waren laut monster.de um etwa ein Drittel höhere Abrufzahlen festzustellen als zuvor. Auch das britische Job-Portal Indeed meldet vergleichbare Zahlen: Hier interessieren sich die Stellensucher neben Deutschland vor allem für Irland.
“Freizügigkeit war bisher in vielen Branchen ein wichtiger Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg. Hier müssen die Rahmenbedingungen mit der Aktivierung des Artikels 50 des Vertrags von Lissabon neu verhandelt werden”, heißt es in einer Mitteilung des Portals. Und das offenbar aus gutem Grund. Offenbar erwartet die britische Industrie eine wirtschaftliche Eintrübung. Laut einer Studie des Institute of Directors (IoD) sollen bereits rund 25 Prozent der Unternehmen einen Einstellungsstopp verhängt haben. 5 Prozent wollen demnach bereits aktiv Stellen streichen.
Wenn aber britische Fachkräfte ins Ausland abwandern, können Länder wie Deutschland von zusätzlicher Expertise profitieren. Damit würde sich für Deutschland und andere EU-Länder zunächst ein positiver Effekt einstellen. Allerdings: Ein Abschwung der britischen Wirtschaft wirkt sich schließlich auch auf die deutschen IT-Exporte aus.
Viele für die Branche wichtige US-Unternehmen nutzen UK und hier vor allem London als Brückenkopf für den europäischen Markt. Mit dem drohenden Ende der Freizügigkeit und möglichen weiteren Verschärfungen des Arbeitsrechts, überprüfen derzeit internationale Unternehmen einen Abzug des europäischen Firmenhauptsitz aus London. Unter anderem sollen Samsung, Acer und LG darüber nachdenken.
Die Rolle Londons als einer der Dreh- und AngepPunkte für die europäische IT-Branche muss bei einem britischen Austritt auf jeden Fall neu bewertet werden. Auch die zahlreichen Start-ups, die sich in der Stadt angesiedelt haben, könnten den großen der Brache in andere Länder nachziehen. Um für alle Fälle gewappnet zu sein rät das Institute of Directors britischen Unternehmen schlicht: “Get an office in Dublin!”
Schon heute ist der internationale Austausch von Daten mit zahlreichen Fallstricken verbunden. Aktuell haben die EU-Staaten die Entwürfe zum Safe-Harbor-Nachfolger “Privacy Shield” verabschiedet. Damit bekommt der Datenaustausch zwischen EU und USA wieder einen rechtlichen Rahmen. Ein Austritt Großbritanniens bedeutet auch das Ende dieses Datenschutzabkommens.
Bislang gibt es für den Austausch mit Großbritannien mit anderen EU-Staaten einige Sonderregelungen. “Bei einem Brexit wird Großbritannien ab 2018 nicht mehr unter dieses Abkommen fallen und seine eigenen Konditionen direkt verhandeln müssen”, kommentieren die Frost & Sullivan-Experten Ajay Sule und Adrian Drozd. Für Unternehmen, die auf den Datenaustausch mit britischen Unternehmen angewiesen sind, dürften spätestens dann die bürokratischen Hürden höher werden.
“Die Briten könnten theoretisch ein eigenes Datenschutzrecht etablieren, oder alternativ (potenziell langwierige) Verhandlungen zur Orientierung am EU-Datenschutz starten”, erklärt Thomas Kuckelkorn, Kommunikations-Chef des Enterprise-Information-Management-Spezialisten BCT. “Das dürfte mit Sicherheit nicht unbedingt positive Auswirkungen für deutsche Unternehmen nach sich ziehen.”
Rechtsanwalt Jochen Fundel entwirft mehrere Szenarien. Theoretisch enden mit einem Austritt Großbritanniens auch entsprechende Abkommen. Dann müssten Unternehmen den Datenaustausch wie mit einem Land außerhalb der EU organisieren, was dem Jurist jedoch nur schwer praktikabel erscheint.
“Eher wahrscheinlich erscheint die grundsätzliche Anlehnung und Orientierung an den Regelungen der EU. Es kann wohl damit gerechnet werden, dass sich Großbritannien am europäischen Recht orientieren wird und damit auch die beschlossene Datenschutzgrundverordnung größtenteils umsetzen und diese anwenden könnte”, so Fundel. Ansonsten müssten Unternehmen bei der Übermittlung von personenbezogenen Daten im Einzelfall ein angemessenes Datenschutzniveau in Großbritannien prüfen und sicherstellen.
Was bedeutet das jetzt alles für den CIO und IT-Entscheider? Zunächst mal: “Keine Panik”, heißt es vom Gartner-Analysten John-David Lovelock. Die Ausgaben in die IT werden ihm zufolge relativ schnell auf einen Austritt reagieren. Andere Effekte werden längere Zeit in Anspruch nehmen. “Angestellte werden wohl kurzfristig das größte Problem werden”, so Lovelock. Auch wenn es zunächst keine Auswirkungen auf die Freizügigkeit geben wird, könnte sich das doch mittelfristig ändern. “Die Unsicherheit über den Status von Angestellten wird das Vereinigte Königreich aber für ausländische Fachkräfte unattraktiver machen”, so Lovelock weiter.
Auch werden einige Unternehmen ihre Lieferketten überprüfen müssen und dann vielleicht auch operationalen Fragen neu beantworten. Einige IT-Projekte aber dürften vielleicht verschoben oder ganz aufgekündigt werden, glaubt Lovelock – zumindest so lange, wie nicht klar ist, wie es in der Brexit-Frage weiter geht.
Auch eine Überprüfung von Verträgen mit öffentlichen Auftraggebern könne sich lohnen, weil diese häufig britische Sonderregeln enthalten. Gespräche zwischen IT und Fachabteilungen über mögliche indiviuelle Brexit-Folgen für das Unternehmen sollten jetzt ebenfalls auf dem Plan stehen.
Gartner erwartet, dass das britische Pfund niedrig bleibt. Davon werden britsche Exporte profitieren. Die vom US-Dollar dominierten IT-Güter dürften auf der Insel dann jedoch teurer werden. Insgesamt geht Gartner jedoch von einer Eintrübung und von einem Rückgang der IT-Investitionen in UK und in der EU aus.
Ohne Brexit lag die Vorhersage in Großbritannien zwischen 1,7 und 2 Prozent Wachstum bei den IT-Budgets, aufgrund des Brexits reduziert Gartner diese Prognosen um 2 bis 5 Prozent. Eine negative Entwicklung ist hier also sehr wahrscheinlich. Auch die Vorhersage des Wachstums der IT-Ausgaben in Europa, die Gartner mit 0,2 Prozent angab, werde ins Minus drehen.
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