Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland noch einmal bekräftigt, dass er an der den großen Sozialen Netzwerken und Internetplattformen für das effizientere Vorgehen gegen gesetzeswidrige Veröffentlichungen durch ihre Nutzer gesetzte Frist festhält. Die endet im März 2017.
Seiner Forderung verlieh Maas durch Hinweis auf eine möglicherweise kommende EU-Richtlinie zu audio-visuellen Medien Nachdruck. Mit ihr soll die Verantwortung von Medienanbietern für die von ihnen verbreiteten Inhalte geregelt werden. “Bislang sind Soziale Netzwerke insofern privilegiert, sie zählen nicht zu solchen Anbietern. Wir sollten uns fragen, ob das auch weiterhin sachgerecht ist”, so Maas in dem Gespräch. In dem unter anderem bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Interview ruft Maas zudem die Betreiber Sozialer Netzwerke dazu auf, die Beschwerden ihrer Nutzer “deutlich ernster zu nehmen”.
Flankierend mahnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf den Medientagen München mehr Transparenz an. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert Merkel mit der Forderung, “dass Algorithmen transparent sein müssen, dass (…) man sich als interessierter Bürger informieren kann: Was passiert da eigentlich mit meinem Medienverhalten und dem anderer?” Dem Blatt zufolge warnte Merkel zudem davor, dass Menschen in den sozialen Medien nur noch das lesen, was ihre eigenen Auffassungen bestätige oder ihnen von Gleichgesinnten empfohlen werde.
Diese Entwicklung müsse man genau beobachten, bedrohe sie doch die für eine funktionierende Demokratie erforderliche Fähigkeit, sich auch mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Laut Merkel könnten solche Mechanismen, wenn sie nicht transparent sind, zur Verzerrung der Wahrnehmung führen und den Blickwinkel verengen. Zudem kritisierte die Kanzlerin in München, dass sich die großen Plattformen mit ihren Algorithmen immer mehr “zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter” entwickelten.
Merkel greift damit eine seit einem Jahr verstärkt geführte Diskussion auf, die auch durch diverse wissenschaftliche Studien zur Nutzung sozialer Medien intensiviert wurde. So hat bereits im Juli 2015 ebenfalls die FAZ eine Studie (PDF) der Informatikerin Kristina Lerman von der University of Southern California aufgegriffen. Darin wird dargelegt, wie in Sozialen Netzwerken sehr aktive Menschen, die eine Minderheitenmeinung vertreten, anderen Nutzern dennoch das Gefühl vermitteln können, dass diese Minderheitenmeinung der Meinung der Mehrheit entspricht.
Dazu trägt auch bei, dass ein großer Teil der Nutzer auch im Web 2.0 eher konsumiert als partizipiert. Damit würden dann Mechanismen greifen, wie sie von der deutschen Kommunikationsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann mit dem Begriff “Schweigespirale” schon 1980 beschrieben wurden. Diese im Laufe der Jahre angepasste und teilweise – unter anderem auch wegen ihrem direkten Zusammenhang mit Bundestagswahlkämpfen – mehrfach und ausgiebig kritisierte Theorie geht davon aus, dass Menschen tendenziell Isolation meiden und stattdessen dazu neigen, sich Gruppen anzuschließen – und dabei oft Gruppen wählen, die sie als stärker erachten.
In zahlreichen – insbesondere politischen – Themen übernehmen dann der Theorie zufolge die Medien die Definition dessen, was die “stärkere Gruppe“” ist – was aber gar nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen muss. Das lasse dann weiten Raum für Manipulationen. Andere Untersuchungen haben dagegen aber aufgezeigt, dass Menschen in der Regel bereits Medien nutzen, die eher zu ihrer ohnehin vorhandenen Grundeinstellung passen. Soll heißen, ein taz-Leser wird ebenso wenig wie ein FAZ-Leser durch das Blatt manipuliert, da er es ohnehin nur liest, weil er die Grundeinstellung des Blattes teilt.
In Sozialen Medien ist das aber tatsächlich etwas problematischer, da bei den dort agierenden Personen oder Organisationen oft weniger transparent ist als bei etablierten Medien, für was sie eigentlich stehen. Dazu kommt noch, dass die jetzt von der Kanzlerin aber früher auch schon von Internetaktivisten und Wissenschaftlern kritisierten Filter der Betreiber, etwas von Facebook, möglicherweise ebenfalls das Verhältnis von tatsächlich geäußerter Meinung und dem Nutzer präsentierter Meinung verzerren. Ein unpolitisches Beispiel: Posten wirklich alle Frauen nur noch Fotos von sich im Bikini oder werden diese Bilder den Nutzern einfach häufiger angezeigt, weil die Verweildauer und die Häufigkeit der Aufrufe dafür höher ist als bei Bildern vom Mittagessen?
Diese 2004 vom Harvard-Professor Cass Sunstein postulierten und 2011 auch vom Internetakivisten Eli Pariser angeprangerten “Filterblasen” wurden erst kürzlich von Sunstein wieder nachgewiesen: Aus einer Studie mit italienischen und amerikanischen Facebook-Nutzern ging hervor, dass diese zu kontroversen Themen nur Beiträge teilten, die jeweils die von ihnen vertretene Meinung stützten und dass Nutzer eines Lagers mit denen der Gegenseite kaum vernetzt sind.
Dass nun auch die Politik sich dieser kommunikationswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Fragestellungen annimmt, hat zwei Gründe: Zum einen trägt die Lobbyarbeit der etablierten Medienunternehmen Früchte, die fürchten, in die Bedeutungslosigkeit abzusinken und sich mit Händen und Füßen gegen die neuen Konkurrenten wehren. Zum anderen wächst die Sorge, dass durch diese Mechanismen Extremismus und Terrorbereitschaft verstärkt werden. Die scheint nicht ganz unberechtigt, gibt es doch Hinweise darauf, dass für in der jüngeren Vergangenheit durch terroristische Akte in Erscheinung getretene Personen den entscheidenden Schritt zur Radikalisierung vor allem über den Austausch in Sozialen Medien gemacht haben.
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