Kommentar: Bundesinnenminister Thomas de Maizière lässt keine Gelegenheit aus, sich für mehr Kontrolle, Gängelung und Überwachung stark zu machen. Seien es Verschlüsselungsverbote, Hintertüren für Messenger (über die zumindest das BKA anscheinend schon verfügte) oder die jetzt zum zweiten Mal vom EuGH gekippte Vorratsdatenspeicherung – egal wo der rührige Staatsdiener eine Gelegenheit sieht, Daten zu sammeln, Bürgern zu bespitzeln oder einfach einmal “präventiv” zu schauen, was das Volk so treibt, ist er in der vordersten Reihe live dabei.
Sein neuester Coup: Wie der Spiegel aus dem Bundesinnenministerium erfahren haben will, wird dort über ein “Abwehrzentrum gegen Desinformation” nachgedacht. Damit greift das Ministerium eine Idee auf, die man bei der CSU bereits im Januar hatte. Im Positionspapier “Terrorismus wirksam bekämpfen”, das auf der traditionellen Klausurtagung zum Jahresauftakt in Wildbad Kreuth diskutiert wurde, wurden neben Maßnahmen gegen Hass-Postings auch Filter gefordert, die durch “wirksame Plausibilitätsprüfungen” automatisch generierte Propaganda erkennen und eliminieren sollten.
Mit ein paar Algorithmen gibt sich de Maizière aber nicht zufrieden. Ziel des “Abwehrzentrum gegen Desinformation” soll es sein, Falschnachrichten, sogenannte Fake-News, insbesondere in den sozialen Netzwerken zu bekämpfen. Früher als Hoax bezeichnete Falschmeldungen gerieten durch den US-Wahlkampf in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und klingen als “Fake-News” nun viel gefährlicher.
Der Bundesnachrichtendienst befürchtet, dass es sich 2017 im Vorfeld der Bundestagswahl auch in Deutschland deutlich stärker bemerkbar machen wird und weist unverhohlen darauf hin, dass er insbesondere damit rechnet, dass “Gruppierungen aus Russland” versuchen könnten, mittels Fake-News und Hacker-Angriffen den Ausgang der Bundestagswahl im kommenden Jahr zu beeinflussen. Die Fake-News unterscheidet vom Hoax also auch, dass es sich eher um organisierte Urheber als um Blödmänner handelt, die sich gelegentlich einen Scherz erlauben.
“Mit Blick auf die Bundestagswahl sollte sehr schnell gehandelt werden”, zitiert der Spiegel nun aus einem Vermerk des Bundesinnenministeriums. Darin heißt es zudem: “Da der Schwerpunkt bei der Öffentlichkeitsarbeit liegt, sollte die Federführung für diese zu schaffende Bündelungseinheit beim Bundeskanzleramt (Bundespresseamt) angesiedelt werden.” Das Bundespresseamt beschäftigt bereits heute über 500 Mitarbeiter und untersteht Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert.
Rückblende: Am 11. März 1933 präsentierte nach wenigen Wochen im Amt Reichskanzler Adolf Hitler seinem Kabinett die Beschlussvorlage zur Einrichtung des Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), das bereits zwei Tage später durch einen Erlass von Reichspräsident Hindenburg eingerichtet wurde. Schon gut einen Monat vorher war mit der “Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes” die Möglichkeit geschaffen worden, Versammlungen und Publikationen zu verbieten. Kontrolliert wurde das RMVP von Propagandaminister Joseph Goebbels.
Ab dem 1. Juli 1933 wurde im RMVP dann täglich eine Reichspressekonferenz abgehalten. Bei ihr wurden ausgewählte Pressevertreter darüber “informiert”, welche Meldungen in welcher Breite und mit welchem Tenor zu veröffentlichen sind. Diese sogenannten Presseanweisungen wurden anderen Redaktionen, deren Vertreter nicht teilnahmen, dann ebenfalls übermittelt.
Bis 1945 erhielten die so weit über 80.000 “Hinweise” – nicht nur zu den großen Themen der Weltpolitik, zum Kriegsverlauf oder anderen propagandaverdächtigen Aspekten, sondern auch so trivial erscheinenden Bereichen, wie dem Experiment, Fischwurst zu produzieren. Darüber zum Beispiel sollte “nicht berichtet” werden. Offensichtlich fürchtete Goebbles, falls durchsickert, dass an der Erfindung des Fischstäbchens gearbeitet wird, dies sich nachteilig auf die Moral auswirken könnte. Nicht der einzige Punkt, in dem er sich geirrt hat, wie die Verkaufsstatistiken dieses Produkts heute zeigen.
Top-Modern am Informationsprozess des RMVP war auch die eingebaute Feedback-Schleife, mit der Redaktionen erfuhren, ob sie die Anweisungen “verstanden” und wie gut sie diese umgesetzt hatten. Zudem wurde strenge Geheimhaltung über den Inhalt der Anweisungen verordnet, die nach Umsetzung eigentlich vernichtet werden sollten. Sie sind uns dennoch erhalten geblieben und lagern heute im Bundesarchiv. In zahlreiche Untersuchungen beschäftigten sich Wissenschaftler damit, inwieweit diese Anweisungen umgesetzt wurden.
Zurück in die Gegenwart: Nicht nur vor dem geschichtlichen Hintergrund muss das Ansinnen des Bundesinnenministeriums als Ganzes absurd zurückgewiesen werden. Teile davon, etwa “Intensivierung der politischen Bildungsarbeit” sind durchaus zu begrüßen. Auch die Erkenntnis, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen Meldungen eher ungeprüft für bare Münze nehmen als andere, ist nachvollziehbar. Auch die in dem Papier geäußerte Vermutung, dass besonders viele “Russlanddeutsche” sowie “türkischstämmige Menschen” dazugehören, erscheint nachvollziehbar. Ihre Sozialisation und ihre persönlichen Erfahrungen prädestinieren sie wahrscheinlich tatsächlich vielfach, sich alternativen Informationskanälen zuzuwenden und die dort gemachten Aussagen ungeprüft zu übernehmen.
Alleine sind sie damit jedoch nicht. Man denke im IT-Bereich nur an die endlosen Diskussionen zwischen Apple-Befürwortern und Apple-Gegnern. Wahrscheinlich sind auch hier 80 Prozent der vorgebrachten Argumente jeweils Fake-News oder beziehen sich auf solche. Oder waren einfach nur einmal als Spaß gedacht und wurden dann von Menschen, deren Urteilsvermögen es ihnen nicht gestattete, den Spaß als solchen zu erkenen, als Wahrheit weiterverbreitet. Zum Beispiel, die vielfach modifizierte “Vergleichstabelle” der Funktionen eines Steins und eines iPhones (ein Beispiel dafür hier).
Für die politische Aufklärungs- und Bildungsarbeit gibt es seit vielen Jahren die Bundeszentrale für politische Bildung. Die besser auszustatten, moderner zu machen und vielleicht auch auf bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker zugehen zu lassen, wäre eine gute Idee. Allerdings hat BpB auch heute schon interessante Angebote, zum Beispiel für Politiker und sollte sich deren Website auch de Maiziere einmal anschauen. Heute ist “Überwachung” dort das “Stichwort des Tages”, zu dem es heißt: “Telefongespräche und auch Privatbriefe oder Internet-Mails gehen normalerweise nur diejenigen etwas an, die miteinander sprechen oder sich schreiben.. ”
Aber zurück zur Kontrolle der Sozialen Medien. Dass die eindeutig illegale Inhalte verbannen und sich damit schlicht und einfach an geltende Gesetze halten sollen, hat die Politik schon öfter eingefordert. Seit knapp einem Jahr lässt Facebook etwa von einem deutschen Dienstleister sogenannte Hasskommentare löschen. Das funktioniert nicht immer zufriedenstellend und wohl auch Prozedere und die Arbeitsbedingungen lassen dabei zu wünschen übrig, es ist aber ein Anfang. Dass zuletzt Bundeskanzlerin Merkel und Justizminister Mass mehr Kooperation angemahnt haben zeigt, dass noch Optimierungsbedarf besteht.
Allerdings ist die Maßnahme grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die zuvor getroffene Aussage von Facebook, dass es sich nicht an die Gesetze einzelner Länder halten, sondern nach eigenen Maßgaben entscheiden will, wann ein Post zu löschen ist, ruht in der anderen Rechtsauffassung der USA. Dort ist Meinungsfreiheit ein deutlich höheres Gut als hierzulande. Daher wird in ihrem Namen nahezu jeder Mist toleriert – vom Versuch den Kreationismus als Lehrinhalt an Schulen zu etablieren bis zur American Nazi Party.
Aber die eigene Rechtsauffassung ausländischen Unternehmen durchzusetzen oder sich selbst zum obersten Zensor über alles aufzuschwingen, was irgendwo publiziert wird, sind zwei paar Stiefel. Zudem besteht kein Grund zur Annahme, dass geltende Gesetze und Einrichtungen nicht ausreichen, um einen vielleicht nicht widerspruchslosen, aber trotz diverser Schwierigkeiten ansatzweise funktionierenden politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen. Gerüchte und dummes Geschwätz gab es schon immer. Ob beides in den vergangenen Jahren durch das Web und seine Möglichkeiten überproportional zu den Möglichkeiten, sich fundierte Information aus erster Hand zu verschaffen, zugenommen hat, wäre noch zu prüfen.
Unternehmen wissen oft nicht, welche Geräte in der Produktion eine IP-Adresse haben, warnt Peter Machat…
KPMG-Studie: 97 Prozent der Cloud-nutzenden Unternehmen verwenden KI-Dienste von Cloud-Anbietern.
Bitkom veröffentlicht Online-Tool und Leitfaden zum KI-Einsatz in Unternehmen. Beide Angebote sind kostenlos.
Neue Kunden sind unter anderem SAP, Conforama Schweiz, 11teamsports, Phillip Morris International, Baywa und Thalia.
Oracle schafft einheitliche Plattform für vier Ministerien und über 250.000 Beamte mit der Oracle Applications…
Der Grund: Geräte, die mit veralteter Software arbeiten, sind anfällig für Cyberangriffe und Datenlecks.
View Comments
Guter Artikel.
Fehlt aber m.E. noch die Frage wer definiert was Fake News sind.
Selten ist das so eindeutig wie die Frage ob die Erde eine Scheibe ist oder die Nazis eine Station auf dem Mond betreiben. Vor 20 Jahren wäre die NSA-Geschichte sicher auch noch als Fake bezeichnet worden, oder?
Wenn vielleicht auch OT frage ich, was aus dem öffentlichen Diskurs wird wenn zu sensiblen Themen niemand mehr Stellung nehmen darf weil ihm sonst gleich "Hass" unterstellt wird.