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Digitalisierung sorgt für mehr Stress im Berufsleben

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am Mittwoch eine Sonderauswertung seiner jährlich durchgeführten Studie “Gute Arbeit” vorgelegt. Sie beschäftigt sich ausführlich mit den Erfahrungen der Arbeitnehmer mit der Digitalisierung der Arbeitswelt. Dazu vergleicht sie auch Veränderungen der Arbeitswelt in den vergangenen Jahren in Berufen, in denen nicht oder kaum mit digitalen Mitteln gearbeitet wird und solchen, in denen digitale Arbeitsmittel intensiv genutzt werden. Dadurch werden einige Vorteile der Digitalisierung deutlich – leider aber auch viele Nachteile.

“Digitalisierung macht Arbeit nicht automatisch besser”, erklärt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach (Bild: DGB/Simone M. Neumann)

Der Bericht basiert auf den Angaben von über 9600 Beschäftigten, die diese im Rahmen der bundesweiten und repräsentativen Umfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2016 gemacht haben. “Die Ergebnisse zeigen, dass Digitalisierung Arbeit nicht automatisch besser macht. Psychische Erkrankungen bewegen sich seit Jahren auf einem erschreckend hohen Niveau”, kommentiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach die Studienergebnisse.

Ihrer Ansicht nach steht außer Frage, “dass schlecht organisierte Arbeit ein entscheidender Stressfaktor ist und die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigt.” Buntenbach bedauert, dass es trotz gemeinsamer Erklärungen von Arbeitnehmerverbänden und Arbeitgebern bei der Prävention noch keine Fortschritte gegeben habe. Gerade in der IT-Branche ist die hohe Arbeitsbelastung der wenigen qualifizierten Mitarbeiter schon lange ein Problem.

Lothar Schröder, ver.di-Bundesvorstandsmitglied verweist in dem Zusammenhang auf einen wichtigen Aspekt: “Wer Einfluss auf die Digitalisierung nehmen kann, ist durch sie weniger belastet.“ Das heißt, dass Arbeitnehmer mit hoher Eigenverantwortung eher davon profitieren als solche, die wenig zu sagen haben. Letztere empfinden Digitalisierung auch deshalb nachteilig, weil sie sich stärker kontrolliert und überwacht fühlen. Wer dagegen freier entscheiden und eventuell auch mobiler arbeiten kann, tendiert eher dazu, die Vorteile der freieren Zeitgestaltung und Ortswahl zu erkennen.

Wer intensiv mit digitalen Mitteln arbeitet, fühlt sich bei der Arbeit eher gehetzt als jemand, der weitgehend ohne sie auskommt (Grafik: DGB)

Dass durch beide Aspekte zugleich auch die scharfe Trennung von beruflichem und privaten immer schwerer fällt, sieht Schröder aber als unterschätztes Problem: “Weil die Digitalisierung in rascher Geschwindigkeit und Häufigkeit herkömmliche Prozesse verändert, ist ein ständiges Monitoring der Arbeitsbedingungen notwendig.” Er fordert daher in allen Betrieben ein „soziales Benchmarking“ als Gegengewicht zu immer granularer ausfallenden Finanzkennziffern.

IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban bedauert, dass Digitalisierung grundsätzlich zwar einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeit leisten kann, tatsächlich aber vielfach „nur als Rationalisierung von oben Einzug in die Betriebe hält.“ Er hält Achtstundentag, 40-Stundenwoche und mindestens 11 Stunden Ruhezeit „gerade für die digitale Arbeit notwendig, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unzumutbarer Arbeitsverdichtung und Hetze bei der Arbeit zu schützen“ und erneuert die Forderung der IG Metall nach einer Anti-Stress-Verordnung.

Der DGB-Bericht steht auf der Website kostenlos und ohne Registrierung zum Download bereit (PDF). Der Sonderauswertung der Studie „Gute Arbeit“ zum Thema Digitalisierung der Arbeitswelt, zufolge hat für 46 Prozent der abhängig Beschäftigten die Arbeitsbelastung aufgrund der Digitalisierung zugenommen. Bei 54 Prozent ist die Menge der zu bewältigenden Arbeit größer geworden.

Wesentliche Ergebnisse der DGB-Studie zu Digitalisierung udn Arbeitsbelastung im Überblick (Grafik: DGB)

Insgesamt arbeiten 63 Prozent der Arbeitnehmer und 56 Prozent der Arbeitnehmerinnen derzeit bereits “in sehr hohem” oder “hohem Maß” mit digitalen Mitteln. 60 Prozent derjenigen, die mit digitalen Mitteln arbeiten, berichten zudem mit steigendem Grad der Digitalisierung von zunehmendem Zeitdruck. Zum Vergleich: Bei Beschäftigten die nicht digital arbeiten, sind es 51 Prozent. Wesentlich größer ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen in Hinblick auf Unterbrechungen und Störungen bei der Arbeit. Von den “Digitalen” berichten 69 Prozent davon, bei den “Nicht-Digitalen” sind es nur 36 Prozent.

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Mitarbeiter sind heute mit Konnektivität, Mobilität und Video aufgewachsen oder vertraut. Sie nutzen die dazu erforderlichen Technologien privat und auch für die Arbeit bereits jetzt intensiv. Nun gilt es, diese Technologien und ihre Möglichkeiten in Unternehmen strategisch einzusetzen.

Dem DGB-Bericht zufolge hängt die Mehrbelastung von digital Arbeitenden zu einem beträchtlichen Teil mit der Anforderung zusammen, ständig für den Arbeitgeber erreichbar zu sein. Sie leisten in beträchtlichem Umfang unbezahlte Arbeit. Außerdem ist bei ihnen das Gefühl, gehetzt arbeiten zu müssen, besonders hoch: Bei 75 Prozent von ihnen ist das oft oder sehr häufig der Fall. 56 Prozent der digital Arbeitenden mit Erreichbarkeitsanforderung geben zudem an, dass ihre Arbeitsbelastung durch die Digitalisierung gestiegen ist. Eine Reduzierung konnten nur 6 Prozent feststellen.

Immer mehr Unternehmen ermöglichen ihren Mitarbeitern, zumindest gelegentlich aus dem Homeoffice zu arbeiten, wie Anfang des Jahres vorgelegte Erhebung des Bitkom zeigt. (Bild: Bitkom)

Zwar loben 21 Prozent der, dass sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Digitalisierung verbessert hat, aber dieser Vorteil wird scheinbar oft teuer erkauft. Denn mehr Arbeit von zu Hause oder unterwegs aus keineswegs ungestörter. Von den Befragten, die in Folge der Digitalisierung häufiger mobil oder zu Hause arbeiten, werden 74 Prozent sehr häufig oder oft bei der Arbeit gestört.

Erreichbarkeitswahn als Produktivitätskiller

Diesen Aspekt hat vor einiger Zeit bereits eine Studie der DAK näher untersucht. Sie beschäftigte sich eigentlich mit den Auswirkungen und Ursachen von Schlafstörungen. Allerdings stellte sie auch einen Zusammenhang mit mobiler Arbeit und ständiger Erreichbarkeit her.

Der DAK-Studie zufolge klagen aktuell insgesamt 80 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland in irgendeiner Form über schlechten Schlaf. Jeder zehnte Arbeitnehmer leidet sogar unter schweren Schlafstörungen, mit Ein- und Durchschlafstörungen, schlechter Schlafqualität, Tagesmüdigkeit und Erschöpfung. Gegenüber 2010 ist der Anteil der Berufstätigen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren, die grundsätzlich von Schlafstörungen berichten, um 66 Prozentpunkte angestiegen.

Einer von Dell und Intel Ende 2016 vorgelegten Studie zufolge arbeiten 53 Prozent der Befragten am liebsten im Büro, nur drei Prozent bevorzugen den öffentlichen Raum. (Grafik: Dell, Intel)

Die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit seien nur schwer fassbar, da sich nur wenige Betroffene ärztlich behandeln lassen und sich andererseits Schlafstörungen oft hinter anderen Diagnosen verstecken. Professor Ingo Fietze vom interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum an der Charité Berlin erklärt in der Zusammenfassung der Studienergebnisse: “Für das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen haben Schlafstörungen eine enorme Bedeutung! Krankheitstage wegen Insomnie sind möglicherweise hinter solchen Diagnosen wie Psychovegetatives Syndrom oder Depressive Verstimmung oder vor allem Burnout oder fatigue Syndrom etc. versteckt. Der Hausarzt traut sich nicht, die Insomnie zu bemühen und niedergelassene Schlafmediziner, die Insomnie-Experten sind, gibt es kaum.”

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“Ursache für Schlafprobleme sind unter anderem Arbeitsbedingungen. Wer zum Beispiel häufig an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit arbeitet, steigert sein Risiko, die schwere Schlafstörung Insomnie zu entwickeln. Weitere Risikofaktoren sind starker Termin- und Leistungsdruck, Überstunden sowie Nachtschichten und ständige Erreichbarkeit nach Feierabend”, erklärte zur Vorstellung der Studie Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. Laut der Studie kümmert sich etwa jeder Achte vor dem Zubettgehen noch um dienstliche Dinge wie E-Mails oder die Planung des nächsten Arbeitstages.

Redaktion

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