Annette weiß es
Unser aller Bildungsministerin Annette Schavan erweckt trotz ihrer mittlerweile 53 Jahre oft den Eindruck, einer eifrigen Schülerin, die sich aufgeregt meldet, dabei mit den Fingern schnippt und “Herr Lehrer, ich weiß es” ruft. Diese Woche nun hat sie sich wieder zu Wort gemeldet.
“Schavan fordert Top-Manager als Lehrer an Schulen”, überschreibt der Focus einen Artikel zum Thema. Unternehmen sollten ihre Spitzenleute quasi an Bildungseinrichtungen ausleihen.
Das sei nötig. Denn die gegenwärtigen Lehrkräfte brächten es nicht: Haupt- und Realschullehrer hätten im Schnitt ihr Abitur nur mit 2,5 gemacht. Daher der Vorstoß der Ministerin.
Aber es könnte schwierig werden. Denn die Top-Manager, an die man dabei zuerst denkt, kommen ja nicht in Frage. Bill Gates etwa oder Michael Dell haben schließlich ihr Studium abgebrochen. Und solche Leistungsverweigerer können vielleicht in den USA Milliardär werden, aber nicht Lehrer in Deutschland.
Georg Funke allerdings wäre möglicher Weise ein geeigneter Lehramtskandidat für das Fach höhere Mathematik. Das ist das, wo’s beispielsweise ums Potenzrechnen geht.
Der ehemalige Hypo-Real-Estate-Chef könnte sicherlich prima erklären, wie man durch eine Bank mit einer Börsenkapitalisierung von Anfangs 2,6 Millionen (106) Euro – laut Geschäftsbericht 2003, gemeint sind 2,6 Milliarden (109) – eine Volkswirtschaft mit einem Bruttosozialprodukt von 2,4 Billionen (1012) in Gefahr bringt und dafür dann eine monatliche Rente von 47 Tausend (103) Euro – laut Mainzer Allgemeine Zeitung – kassiert.
Dietmar Hopp wiederum wäre in der Lage, den Sozialkundeunterricht anzureichern und zu zeigen, wie man als Honoratior mit viel Bürgersinn gelten kann – zumindest in einem ganzen Ortsteil von Sinsheim. Selbst wenn man für das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland – wozu die betriebliche Mitbestimmung gehört – ähnlich viel Sympathie aufbringt wie Mullah Omar von den Taliban für die Gleichstellung der Frau.
Sowas kommt in den weltfremden Lehrplänen von heute ja nicht vor. Und mehr Praxisbezug an den Schulen wird schließlich schon lange gefordert.
Bei Heinrich von Pierer im Deutschunterricht wäre es sicherlich mucksmäuschenstill, wenn der ehemalige Siemens-Vorstandschef und alte Herr Landrat über sein Paradethema sprechen würde: die Weisheit des Volksmundes, dargestellt am Beispiel des deutschen Sprichwortes “Wer gut schmiert, der gut fährt, so hat der Ratsherr es gelehrt.”
Der einstige Infineon-CEO Ulrich Schumacher schließlich gäbe einen klasse Religionslehrer ab. Vor allem kleine Jungs wären begeistert von ihm, könnte er ihnen doch beibringen, wie man, anstatt seine Hausaufgaben zu machen, als Rennfahrer verkleidet, an der Wallstreet vorfährt. Und das während der Arbeitszeit! Da verliert der Ernst des Lebens doch all seine Schrecken. So und nicht anders stellt man sich einen modernen Seelsorger vor!
Und im Unterricht dann ging’s um den Katechismus des Leistungsmenschen. Dessen zentrale Lehrsätze lauten: 1. Die Schwächsten der Schwachen in einem Unternehmen gehören turnusgemäß eliminiert. 2. Der Chef gehört nie dazu, auch wenn das für Zweifler den Augenschein haben mag. 3. Und deshalb gebührt dem Chef auch eine hohe Abfindung, wenn er das in seiner Amtszeit marode gewordene Unternehmen verlässt. Selbst irdische Gerichte müssen das einsehen.
So segensreich könnten die “sinnvollen Impulse für die Schüler” sein, die sich Annette Schavan von ihren Top-Aushilfslehrern verspricht. Trotzdem sollte Kritik an der Frau Ministerin gestattet sein. Sie hätte bedenken müssen, welche Reaktionen ihr Vorschlag angesichts der desolaten Lage an den Schulen hervorrufen könnte.
Man stelle sich nur vor: Eine eifrige Schülerin meldet sich aufgeregt im Unterricht, schnippt dabei mit den Fingern und ruft: “Herr Lehrer, ich weiß es.” Und dann plappert das Gör nach, was es von der Ministerin aufgeschnappt hat.
Und das bei den Losern mit 2er-Abitur, die heutzutage unterrichten. So jemand kann doch überhaupt nicht pädagogisch angemessen auf ein derart verbal hyperaktives Kind reagieren. Vielleicht würde er sogar sagen: “Annette, du sollst doch nicht immer den Klassenkasper machen. Es geht hier schließlich um ernste Dinge.”