Lasst uns einen föderalen Cloud-Giganten bauen

Das Ausrufezeichen im diesjährigen CeBIT-Motto “d!conomy” lässt sich auf zweierlei Art lesen: Als begeisterte Begrüßung einer digitalen Revolution, die voller Möglichkeiten und Chancen steckt – und als Mahnung, sich der Risiken bewusst zu sein, die damit einhergehen. Auf der CeBIT wird die positive Tonlage vorherrschen.

Dabei klingt uns die “Google-Debatte” noch frisch in den Ohren, die maßgeblich von der Furcht befeuert wurde, die europäische Wirtschaft könne zu den Verlierern der Digitalisierung gehören. Längst ist die Aussage des Telekom-Chefs Timotheus Höttges, Europa habe die “erste Halbzeit der Digitalisierung verloren”, zum geflügelten Wort geworden. Und jüngst setzte Digital-Kommissar Günter Oettinger noch einen drauf, als er meinte, Europa habe gleich das ganze Spiel in der IT-Branche verloren. Oettingers Horrorszenario ist die verlängerte Werkbank: Google baut die Autos und die Deutschen liefern Polster und Aluminium dafür.

Bei Problemanalyse und Lösungsweg ist sich die europäische Politik grundsätzlich einig. Das Problem ist die Zersplitterung des digitalen Europa: 28 Länder mit unterschiedlichen Regelungen bei Datenschutz, Urheberrecht und Telekommunikation machen diesen Markt komplex, teuer und unattraktiv für Investoren und Gründer. Die Lösung, darin ist man sich ebenfalls einig, ist die Schaffung eines digitalen EU-Binnenmarkts.

Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Zielen formuliert, die den digitalen Binnenmarkt voranbringen sollen. Dazu gehören die Vereinheitlichung des Telekommunikations-Marktes und der Regelungen für Datenschutz und Urheberrechtsschutz in Europa. Das sind notwendige und sinnvolle Maßnahmen, doch die Frage ist, ob sie schnell und stark genug wirken, um in dem, was manche einen digitalen Krieg nennen, zu bestehen.

Wettbewerb der Plattformen

Es könnte sein, dass klassische Mittel der Industriepolitik zur Förderung der digitalen Transformation der Industrie nicht taugen, denn die “große Herausforderung der Digitalisierung ist: Sie verändert die Spielregeln des Wettbewerbs, nicht nur die Produkte“. Der “digitale Krieg” wird mit neuen Waffen ausgefochten. Desto mehr sich Wertschöpfung digitalisiert, desto mehr ökonomische Macht erhalten die digitalen Plattformen, über die diese Wertschöpfung organisiert wird. Digitale Plattformen “kontrollieren den Zugang und die Prozesse eines ganzen Geschäftsmodells. […] Sie sind ökonomische Ökosysteme, die Geld verdienen, indem sie Dritten ermöglichen, Geld zu verdienen“. Ob Europa zu den Digitalisierungsgewinnern oder -verlierern gehören wird, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit es uns gelingt, digitale Plattformen und Ökosysteme aufzubauen und zu kontrollieren.

Betrachten wir unter dieser Perspektive das Ziel eines digitalen Binnenmarkts für Europa, dann müssen wir den Begriff beim Wort nehmen und darunter auch einen europäischen Marktplatz für digitale Dienste verstehen, eine EU-Cloud-Plattform mit einem zentralen EU-Servicekatalog, eine “European Cloud of Clouds”. HP hat dafür unter dem Namen “Cloud28+” einen Vorschlag entwickelt und arbeitet derzeit mit 76 IT-Firmen, Forschungseinrichtungen und politischen Organisationen aus 24 europäischen Ländern daran, diesen Vorschlag in die Tat umzusetzen.

“Zentrale EU-Cloud-Plattform” ist dabei wohlgemerkt nicht im Sinne eines zentralistisch finanzierten und gelenkten Staatsunternehmens gemeint. Vielmehr soll die Plattform nach den guten europäischen Prinzipien des Föderalismus, der Subsidiarität und des Wettbewerbs funktionieren – mit einer Non-Profit-Organisation als Plattform-Betreiber und -Kontrolleur. Die Struktur der Plattform ist den bekannten App-Marktplätzen vergleichbar: eine zentrale Handelsplattform bringt Angebot und Nachfrage zusammen und sorgt für die Einhaltung von Qualitäts-, Sicherheits- und Datenschutzstandards – die Entwicklung und Nutzung der Dienste erfolgt dagegen dezentral vor Ort.

Die Macht der Vielen

Für die Anbieter eröffnete sich damit ein gigantischer Markt, der nach Einwohnern und Bruttosozialprodukt größer als der US-amerikanische wäre. Gleichzeitig würde dieses Modell den europäischen Prinzipien der Vielfalt und Individualität gerecht. Eine von einem finnischen Startup entwickelte CRM-Anwendung könnte zentral gehandelt, aber dezentral betrieben werden, etwa von einem Service Provider in Würzburg für einen lokal ansässigen Kunden – und zwar nach Maßgabe der individuellen Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen dieses Kunden.

Es könnte damit ein “föderaler Cloud-Gigant” entstehen, der die Macht der Vielen bündelt und damit den Internet-Giganten aus West und Ost ebenbürtig ist. Das egalitäre Prinzip des App-Stores würde für Wettbewerb und hervorragende Wachstumsbedingungen sorgen, weil Größe keine Einstiegshürde darstellt. Außerdem könnte damit die europäische Datenschutz- und Sicherheitskultur eine nicht nur politische, sondern auch ökonomische Macht entfalten.

Dieses Modell braucht allerdings einen technischen Standard, der – ähnlich wie das Betriebssystem im App-Store-Modell – für Interoperabilität und Portabilität im Ökosystem sorgt. Und es trifft sich glücklich, dass mit OpenStack ein quelloffenes “Cloud-Betriebssystem” gerade dabei ist, sich zum De-facto-Standard zu entwickeln. OpenStack wird damit zur Schlüsseltechnologie für barrierefreie Multi-Cloud-Infrastrukturen.

Wir sind überzeugt davon, dass OpenStack den Handel, die Distribution und den Betrieb von Cloud-Diensten fundamental verändern wird. Die Interoperabilität und Portabilität der Dienste wird dazu führen, dass unterschiedliche Formen von Cloud-Brokern, Community Clouds und digitalen Plattformen mit ihren Ökosystemen enstehen – ausdifferenziert nach Zielsegmenten, Branchen oder Anwendungsgebieten. OpenStack ist daher nicht nur geeignet, das technische Fundament für einen europäischen Binnen-Marktplatz zu legen, sondern kann auch der Nährboden sein für ein “organisch” florierendes Ökosystem von digitalen Plattformen.

Es gibt daher allen Grund, dass das Europäische Parlament in ihrer Entschließung vom 27. November 2014 die Europäische Kommission aufgefordert hat, “die Führungsrolle zu übernehmen, wenn es um die Förderung internationaler Normen und Spezifikationen für Cloud-Computing geht, durch die datenschutzfreundliche, zuverlässige, zugängliche, in hohem Maß interoperable, sichere und energieeffiziente Cloud-Dienstleistungen als integraler Bestandteil einer künftigen Industriepolitik der Union ermöglicht werden”. Europa hat jetzt in der Tat die Chance, die Führung zu übernehmen bei der Etablierung von OpenStack als internationalem Cloud-Standard und sich damit einen Vorsprung im internationalen Plattform-Wettbewerb der digitalen Industrie zu erarbeiten. Der Aufbau eines zentralen EU-Cloud-Marktplatzes könnte zum Leuchtturmprojekt und Beschleuniger einer solchen Entwicklung werden.

Beim diesjährigen CeBIT-Motto hatten diese Überlegungen ihren Ausgang genommen. Und nach einem Blick auf unsere Probleme enden sie hoffnungsfroh und unternehmenslustig: ja, die Digitalisierung bietet riesige Chancen für Wachstum und Wohlstand. Wie jede Chance birgt auch diese Risiken. Lasst uns beide entschlossen – vor allem aber mit der richtigen Strategie angehen: d!conomy!

Redaktion

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