Griechisch Weinen ohne technischen Fortschritt
Ah, manchmal ist es wunderbar, das Internet. Da lieb ich es geradezu, und Google, den Gottseibeiuns, ganz besonders. Zum Recherchieren natürlich. Wer spuckt schneller einen Lebenslauf aus? Und dazu noch Einschätzungen, Wertungen, Lob und Tadel, und das schon morgens, wenn alle Ämter und Pressestellen noch geschlossen haben und die Bibliotheken auch.
Kürzlich war wieder so eine Situation, schon ganz früh, die Lieblingszeitung war gerade angeliefert worden, noch warm sozusagen. Die Schlagzeile trieb mir gleich den Schlaf aus den Augen: “Köhler geißelt den Finanzkapitalismus”, stand da. “Ui, da schau her”, hab ich mir gedacht und konnte bei aller bitteren Brisanz ein Lächeln nicht unterdrücken. Dass sich gerade der Bundeshorst, der Bankenhorst, der Treuhandköhler mit dieser Art von Kapitalismusschelte zu Wort meldet, der war doch…
Und dann schnell nachgegoogelt über Köhler und viel erfahren. Er, der als Finanzstaatssekretär damals in den Nachwendejahren die Aufsicht über die Treuhand und damit den Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft inne hatte, der später als Präsident des Sparkassen- und Giroverbands, als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie als Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds IWF eigentlich immer die Seite des Kapitals vertreten und auch befördert hatte, geißelt plötzlich den Kapitalismus, zumindest den Teil, der das Geld selbst zum handelbaren Gut macht. Ist das ein Wandel vom kapitalistischen Saulus zum sozialistischen Paulus?
Interessant, dachte ich mir, aber auch nicht verwunderlich, wenn man die Biographie des Präsidenten nachvollzieht. Da gab es diverse Veränderungen, auch was den geografischen Standort betrifft: Polen, Sachsen, Rheinland-Pfalz, dazwischen Flucht, Vertreibung, Flüchtlingslager…Da passt sich an, wer überleben will.
Vielleicht auch deshalb war einmal der technische Fortschritt sein Thema und die damit einhergehende Freisetzung von Arbeit, wie der Titel seiner Dissertation von 1977 (“Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt”) vermuten lässt. Naja, das würde man heute wohl auch geschickter ausdrücken. Am technischen Fortschritt indes mangelt es nicht.
Kein Wandel sondern sozusagen eine Bank an Stabilität ist hingegen Jörg Asmussen, Staatssekretär im Finanzministerium und SPD-Mitglied. Den kennen Sie nicht? Sollten Sie aber. Er dient seit 1996 dem Finanzministerium erst unter rot-grün, dann der großen Koalition und jetzt Wolfgang Schäuble, der ihn quasi zu seiner rechten Hand machte. Asmussen gilt als der Finanz-Lobbyist schlechthin und wird deshalb von den Bankern geliebt. Von mir nicht, er ist mir zu glatt, auch optisch – und nicht nur das. Selbst soziale und SPD-nahe Marktwirtschaftler fordern seit langem seinen Rücktritt. Tritt er aber nicht, im Gegenteil.