Domains: Die Krux mit dem “ß”
Die Programmierer von Internet-Browsern haben die neuen deutschen Domains mit dem “scharfen S” verschlafen und verärgern seit einem halben Jahr Anbieter und User im Web. Statt www.süßemomente.de erscheint die Domain des Wettbewerbers süssemomente.de, wer zum Oktoberfest 2011 auf www.wiesngrüße.de gehen will, wird wahrscheinlich immer noch mit wiesngrüsse.de Vorlieb nehmen müssen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Denic fühlt sich nicht zuständig und reagierte verärgert auf unsere Anfrage.
Der Buchstabe “ß” (Eszett) wurde am 16. November 2010 als eigenständiges Zeichen in .de-Domains von der Denic zugelassen. Denic wies zwar bei der Einführung darauf hin, dass Webbrowser und E-Mail-Clients meist noch auf dem alten IDNA-Standard basieren. Dass die Übergangszeit bis zur flächendeckenden Nutzung von Eszett-Domains allerdings mehr als ein halbes Jahr dauern würde, ahnte keiner der Kunden, die daraufhin von dem neuen Angebot Gebrauch machten.
“Der Vorwurf einer Täuschung der Kunden war zu keiner Zeit zutreffend”, reagiert die Denic nervös in einer Antwort auf unsere harmlose Anfrage, in der ein solcher Vorwurf gar nicht erhoben wurde. Wir hatten nur gefragt, ob die Denic zu schwach sei, um international gehört zu werden, ob man den Kunden preislich entgegenkomme und ob man mit Klagen von Wettbewerbern mit “ß”-Domain rechne, die seit November 2011 klare Wettbewerbsnachteile gegenüber “ss”-Inhabern erleiden – denn die einen betreiben Werbung und die anderen profitieren vom Traffic. Eine silicon.de-Anfrage bei den großen Providern in Deutschland ergab, dass alle das Angebot aufrechterhalten und die Konditionen vorerst nicht verändern wollen. Auch Rückzahlungen wegen Unerreichbarkeit stehen nicht zur Diskussion. “Wir werden auch weiterhin ß-Domains anbieten, wenn sich diese bei der Denic registrieren lassen”, sagt beispielsweise STRATO-Sprecher Philipp Schlüter.
Die Denic erinnert sich nur zu gut an eine ähnliche Situation zurück: Im März 2004 wurden die Umlaute ä, ü, ö in deutschen Domainnamen zugelassen. Susanne Knauf-Hochvárt, Sprecherin der Denic, betont: “Diese Domains sind heute durchgängig akzeptiert.” Nach sieben Jahren hätten wir das eigentlich vorausgesetzt. Wird es beim scharfen “ß” denn so lange dauern? Die Denic ist überzeugt, dass sich das Warten jedenfalls lohnt. Das Problem sei eher auf wenige veraltete Versionen beschränkt, heißt es dort.
Wir haben andere Erfahrungen gemacht, mit Browsern aller Art auf Plattformen aller Art war die große Mehrheit nicht fürs “ß” gemacht. Der neue Standard basiere auf Unicode 5.2 statt 3.2. Anstatt mit geschlossenen Listen von Zeichen und Mapping-Tabellen wird künftig mit Codepoint-Eigenschaften gearbeitet, die im Unicode-Standard verankert sind.
“Dafür müssen in die Anwendungen etliche neue Algorithmen implementiert werden. Dies ist anfangs aufwändig, wird aber künftige Migrationen auf neue Unicode-Versionen vereinfachen”, so Knauf-Hochvárt. Das gilt “insbesondere auch für Schriftzeichen, die beispielsweise im arabischen Raum von recht nach links geschrieben werden. Damit kann sich das gesamte kulturelle Spektrum der Welt zukünftig noch stärker auch im Internet widerspiegeln.”
Dieser Version schenken wir schon eher Glauben, sie betrifft damit eindeutig nicht nur ältere Softwarestände, sondern deutet auf ein generelles Programmierproblem hin. Seit 20. Februar 2009 ist das Problem bei Mozilla unter “Known Issues” nachzulesen. Eineinhalb Jahre vor der Einführung der ß-Domains schrieb dort ein Entwickler: “We should investigate implementing the new standards” – ohne Ergebnis, doch noch heute amüsant nachzulesen unter Bugzilla, wie sich Amerikaner darüber Gedanken machen, wozu das “scharfe S” eigentlich da sei… Um beim Oktoberfest-Beispiel zu bleiben: Zwischen Masshalten und Maßhalten ist ein großer Unterschied. Problem erkannt, doch immer noch nicht im Web gebannt!
Soweit die technische Darstellung. Dass dem “ß”-Domaininhaber schon geholfen wäre, wenn die früher eingestellte Umwandlung von “ß” in “ss” einfach mit einem Update wieder aufgehoben würde, haben die Anbieter von Mozilla Firefox, Google Chrome, MS Internet Explorer und Apple Safari, offenbar schlichtweg übersehen.