Hannoveraner Vorrunde
Das ist er also, der Mega-Event, der der I+K-Industrie hierzulande den Aufschwung bringen soll. Nein, nicht die CeBIT. Auf der deutschen Consumer Electronic Show werden nur mal vorab die Gadgets für das Ereignis gezeigt.
Richtig los geht’s erst in 90 Tagen. Aber dann wird der ganze Jammer vergessen sein. Die UMTS-Milliarden etwa, die vor sechs Jahren versenkt worden sind. Von Unternehmen, die zum Teil gleich mitverschwunden sind. Und die nachfolgende Krise der TK-Ausrüster (Telekommunikation).
Lucent beispielsweise schrieb damals 16 Milliarden in Rot. Bei Nortel waren’s 19. Und in der Folge verloren Zehntausende von Arbeitsmännern und Arbeitsfrauen ihren Job. Und das alles nur, weil die Leute nicht einsehen wollten, warum sie sich Handys kaufen sollten, mit denen zwar nichts Rechtes anzufangen war, von denen sich aber die Branche doch so viel erwartet hatte.
Allerdings jetzt ist das Problem ja gelöst. T-Mobile will 20 Begegnungen der WM 2006 per UMTS übertragen. Und Microsoft bringt Fußball per DVB-H (Digital Video Broadcasting for Handhelds). Morgen zeigt das Unternehmen in Halle 4 die Bundesligaspiele auf Mobiltelefonen, deren Displays nicht viel größer sind als Windows-Fehlermeldungen.
Handy-TV, das isses! Und die Weltmeisterschaft im Sommer das Ereignis, das alles herumreißen wird.
Gut, den Zuschauern wird da einiges abverlangt. Es ist schließlich gar nicht so einfach, vor einem 2,5-Zoll-Display das rechte Stadion-Feeling aufkommen zu lassen. Aber man hat beim Handy-Schauen ja immer noch eine Hand frei. Für’s Bier. Sowas hilft bei schwierigen Autosuggestionen jedweder Art.
Und außerdem soll die WM schließlich noch viel Erstaunlicheres zu Wege bringen. Deswegen hat diese Woche auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Detlef Parr in der Bild-Zeitung, dem Blatt, das rund 1690 mal so viele Leser hat wie Parr Wähler, den losenden und ständig im Ausland weilenden Bundestrainer kritisiert: “Jürgen Klinsmann gehört mit seiner ganzen Autorität nach Deutschland.”
Der Abgeordnete dürfte damit auf sehr viel mehr Zustimmung gestoßen sein als seine Partei sonst von Menschen erfährt, die Mittags preiswert in der Kantine essen und dabei die Bild lesen. Man hat den Eindruck, der alte Stratege möchte im Zuge der WM die FDP zu einer Partei machen, die man wählen kann.
Sehr geschickt taktiert auch die ehemalige nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn im Vorfeld der WM. Die Grüne will ganz offenkundig ihrer Partei wieder das alte, spannende Bürgerschreck-Image geben. Das hatten die vormaligen Alternativen ja, als sie noch langhaarig waren und das Benzin verteuern wollten.
Nachdem aber inzwischen die Mineralölkonzerne klargestellt haben, dass sie viel besser für hohe Spritpreise sorgen können als irgendwelche Politiker aus der zweiten Reihe, bleibt nur noch ein Tabu, das sich medienwirksam brechen lässt. Und deshalb wohl hat Höhn öffentlich ein bisschen darüber spekuliert, ob man nicht wegen der Vogelgrippe die WM absagen müsse. Wie abwegig das auch sein mag, für Schlagzeilen sorgt es allemal.
Wolfgang Schäuble wiederum wurmt es seit seinem Amtsantritt als Innenminister, dass ausgerechnet er nicht dürfen soll, was etwa seinen Kollegen in Bolivien, China und Turkmenistan ein ganz selbstverständliches Recht ist, nämlich, wenn’s nötig ist, auch mal Soldaten im Innern für Ordnung sorgen zu lassen. Früher hatte man das auch in Deutschland nicht so eng gesehen. Seit gut 50 Jahren aber ist da dieses Grundgesetz vor.
Das könne man aber doch anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft eben mal ändern, meint Schäuble. Ach ja, wenn doch der andere Schwabe, jener, der die Nationalelf trainiert, auch so ein gewiefter Taktiker wäre!
Schäubles Kollege im Wirtschaftsressort, Michael Glos, schließlich wünscht sich von der WM einen Boom: “2006 – Das Tor zum Aufschwung aufstoßen!” dichtete er als Headline für einen Artikel zum Jahreswechsel im Handelsblatt, in dem er versuchte, die Konjunkturbelebung durch das bevorstehende Großereignis herbeizuschreiben.
All das soll die WM bringen: die Pleitetechnik UMTS doch noch vergolden und langweilige Berufspolitiker wieder zurück in ihre wilden Jugendtage versetzen. FDP-Abgeordneten soll sie in sympathische Menschen verwandeln, die gemocht und gewählt werden, einen demokratischen Rechtsstaat in einen, in dem Wolfgang Schäuble gelegentlich mit Hilfe der Bundeswehr aufräumt, und Leute, denen man ständig die Löhne kürzt und die Steuern erhöht, in kaufkraftstarke Nachfrager.
Wunder sind’s, die von der Fußball-WM erwartet werden. Früher war sowas ja das originäre Geschäftsfeld des ersten Standes, der Priester. Deren soziale Funktion war es, das Volk für etwas zu begeistern, es dadurch zu Höchstleistungen anzustacheln und so schließlich Wunder zu bewirken. Dadurch sind viele sehr reich geworden.
Letzteres haben Klinsmanns Mannen auch alle schon geschafft. Na ja, und was die von allen so herbei gesehnten Höchstleistungen und Wunder anbelangt, vielleicht könnte man deren absehbares Ausbleiben ja technisch abfedern. Ein integrierter Kapselheber in den neuen Fernseh-Handys wäre da sicherlich sehr nützlich: um im Sommer mit den albernen Dingern dann in der Halbzeitpause wenigstens das Bier aufmachen zu können. Das hilft ja – auch bei Enttäuschungen jedweder Art.