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Moderne Zudringlichkeiten

Und dann fragt Günther Jauch: “Deutschlands First Lady heißt?” – Nein, die ist’s bestimmt nicht!

Eva Luise Köhler lautet vielmehr der Name der Präsidentengattin. Und die benimmt sich eher vornehm zurückhaltend. – Im Unterschied etwa zu ihrem Gemahl und jener anderen Dame, die wenn auch von keinem Fluch, so doch in jüngster Zeit umso mehr von Bild verfolgt wird.

Natürlich rekurriert der Quizmaster, in dessen Shows man eine Million gewinnen kann, nicht auf sie. Er möchte nur selbst nebenbei auch die eine oder andere Million machen und wirbt deshalb für die Süddeutsche Klassenlotterie. Und die hat just neben dem Artikel mit der unwiderstehlichen Überschrift einen akustischen Werbebanner mit der irreführenden Frage geschaltet.

Ja, es geht mittlerweile arg aufdringlich zu im Web. Überall wird man beim Surfen von irgendwem angesprochen. Der Online-Werbemarkt zieht halt wieder an. Und besonders im Kommen sind Flash-Animationen, die sich auf dem Bildschirm in den Vordergrund drängen und Krach machen.

Kurz darauf ruft dann noch eine junge Frau an, aus der es nur so heraussprudelt, dass sie die neusten Lottonachrichten für einen habe. – Vor allem dieser Markt zieht an: Von 2 auf 5 Milliarden Euro sind – nach Angaben des Deutschen Direktmarketing Verbands – zwischen 2000 und 2004 die Ausgaben für’s Telefonmarketing gestiegen.

Das gibt einem dann doch zu denken. Eigentlich war doch bislang in allen Zivilisationen die Privatsphäre des anderen sakrosankt. Schon im Exodus heißt es: “Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen” (2.Buch Mose, Kapitel 22, Vers 20).

Und selbst im angestammten Bereich des unzivilisierten Verhaltens, dem Straßenverkehr, wird es seit diesem Monat streng bestraft, wenn man es an der ziemlichen Distanz fehlen lässt. Zu dicht aufzufahren, kostet jetzt bis zu 250 Euro. Ein bußgeldbewehrtes Gebot, das dem alttestamentarischen an Weisheit um nichts nachsteht.

Sogar undemokratische Regimes wie das absolutistische Preußen ließen die Leute im Privatbereich in Ruhe und sie nach ihrer Fasson selig werden. Lediglich barbarische Rückfälle gab’s in der Geschichte.

Die Heilige Inquisition etwa setzte für ein paar Jahrhunderte die bewährte zivilisatorische Schranke außer Kraft. Und sie versuchte, unter Zuhilfenahme von Daumenschrauben, glühenden Zangen und den anderen High-Tech-Tools der damaligen Zeit ins Innerste – die Seele – von Uneinsichtigen vorzudringen.

“Totalitär” nennt man es in der Politikwissenschaft, wenn eine Macht auch vor dem privaten Bereich nicht Halt macht. Am treffendsten beschrieben hat das George Orwell in “1984”. Es kann kein Zufall sein, dass werbefinanzierte Fernsehsender so großen Gefallen an dessen Romanfigur Big Brother gefunden haben.

Bezeichnender Weise gibt es kein Gesetz gegen das allgegenwärtige Consumer-Stalking. Das Recht schützt nicht die Privatsphäre, sondern nur die Konkurrenten der Stalker. Auf das UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – muss man sich berufen, wenn man juristisch gegen Telefonwerbung vorgehen will.

Na ja, was einem halt so alles durch den Kopf geht, wenn einen Günther Jauch mit einer Frage verwirrt hat. Der weiß übrigens seine Privatsphäre zu schützen und hat es Bild gerichtlich untersagen lassen, über seine Hochzeit zu berichten.

Und die gescheiterte schleswig-holsteinische Dancing-Queen schreibt auf ihrer Web-Site: “Ich hätte gerne weiter mitgetanzt, doch mein Gesundheitszustand ließ dies infolge der Kampagne eines bestimmten Mediums leider nicht zu.” Und weiter erklärt das spätberufene Starlet: “Ich möchte mich auf diesem Wege bei all meinen Fans bedanken.”

Ein Bild hat sie dazu gestellt, auf dem ihr Tanzpartner sie übers Parkett schiebt und ihr dabei ganz tief in die Augen schaut. Hübsch!

Es ist fast schon ein emanzipatorischer Akt, den sie da in den letzten Wochen vollbracht hat. Sie hat der Medien- und Werbebranche, die ständig die Leute veräppelt und deren Privatsphäre verletzt, eindeutig ihre Grenzen aufgezeigt.

Man braucht diese Branche dazu nicht. Zumindest Leute wie Heide Simonis können das alles selbst.

Silicon-Redaktion

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