Venture Capital – Katastrophe Deutschland?
Über Beteiligungs- und Risikokapital wird seit einiger Zeit wieder viel geredet – erst die Heuschrecken, dann die überquellenden Geldtöpfe, die es angeblich zu verteilen gilt.
Ich wollte ein paar der aktuellen Gerüchte auf den Grund gehen und habe mir die verfügbaren Statistiken angesehen. Man sollte ja schließlich nicht von der Tätigkeit des eigenen Fonds, den ich mit Kollegen zusammen in junge Firmen investiere, unbedingt auf den Zustand einer gesamten Industrie schließen.
Aber um dies hier anzuführen: wir haben im gesamten Jahr 2005 kein einziges neues Investment in Unternehmen vorgenommen. Und wenn ich so mit den Kollegen der Venture-Capital-Szene darüber spreche, dann kann ich dort auch nicht viel mehr Aktivitäten erkennen. Den unverbesserlichen Optimismus eines Venture Capitalisten beiseite gelassen, weil ich noch keinen getroffen habe, dem es schlecht geht.
Doch sehen wir uns mal die nackten Zahlen an: im Jahr 2004 wurden 21 Erstinvestments in Unternehmen in Deutschland vorgenommen. Im Jahr 2005 waren dies 23 Erstinvestitionen. Die deutschen Venture Capitalisten investieren immerhin zirka 35 Prozent ihres Kapitals im Ausland, primär in den USA. Im ersten Quartal 2006 waren die Investments, die von hier aus in die USA gingen, höher als die, die in Bayern und Baden-Württemberg getätigt wurden! Über 30 Prozent des Kapitals wurde in Biotechnologie-Unternehmen investiert. Da bleibt für deutsche IT-Unternehmen fast nichts mehr übrig.
Übrigens vom Trend nach China, wie bei US-Venture-Capitalisten bereits vorhanden, habe ich hierzulande, außer von einigen Ausflügen nach China, noch nichts gesehen.
Der einzige Lichtblick der Branche sind zurzeit die Exits: also Börsengänge von Unternehmen, die es verdienen (oder auch nicht), an die Öffentlichkeit zu gehen. Daher kommt wohl auch die “Fantasie”, die auf einmal wieder in der Branche vorhanden ist. Aber mit realen Investitionszahlen hat das nichts zu tun. Die sehen meiner Ansicht nach einfach erschreckend aus.
Es kann doch nicht sein, dass ein Technologieland wie Deutschland es in einem ganzen Jahr nur auf die Finanzierung von gerade mal 23 Unternehmen bringt. Da wird ja in einem Stadtteil von Boston wahrscheinlich mehr investiert! Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir den Zorn aller Beteiligten zuziehe: Diese Situation ist mittelfristig für den Standort Deutschland, um das Wort mal wieder zu bemühen, eine Katastrophe. Da brauche ich gar keine großen Untersuchungen zu dem Thema zu initiieren oder zu lesen. Die kommen alle zu dem Schluss einer “Finanzierungslücke”. Ich denke, die Lücke entspricht eher einem Grand Canyon.
Aber das ist auch nichts Neues. Im Prinzip, bis auf die Bubble, haben wir diese Situation schon seit vielen Jahren. Jetzt kommt natürlich die Frage: Weshalb ist das so? Sind die Investoren zu vorsichtig, stellen sie den Unternehmern nicht-akzeptable Bedingungen, verstehen die Investoren die Chancen nicht, gibt es zu wenig interessante Unternehmen, bekommen die Unternehmen von jemand anderem das Kapital, oder kommt aus den Universitäten und Forschungslabors einfach nichts Vernünftiges heraus?
Unternehmer oder Manager möchten sich vielleicht von Investoren nicht reinreden lassen. Sie gehen entweder zur Bank, zum Staat oder lehnen andere Finanzierungsmöglichkeiten ab oder wissen davon einfach nichts. Mich überrascht immer wieder die Unkenntnis von Unternehmern oder Managern zu diesem Thema. Das will einfach nicht in die deutschen Köpfe rein. Warum, weiß ich auch nicht und würde diese Frage gerne an das Publikum weitergeben. Es gibt viele Theorien, aber mich hat bisher noch keine Antwort wirklich überzeugt.
Es kann natürlich sein, dass, bis auf die Ausnahme der Internet-Bubble, Deutschland einfach für diese Form des Kapitals nicht geeignet ist, beziehungsweise dass diese Frage für den Wirtschaftsstandort auch wirklich keine Rolle spielt. Anregungen und Kommentare sind erwünscht.