Web 2.0 ist im IT- und Internet-Umfeld wohl ‘das’ Buzzword des Jahres. Der Fokus des öffentlichen Interesses richtet sich derzeit vor allem auf zwei Aspekte neuer Internet-Angebote: Erstens darauf, dass es sich – im Gegensatz zu Desktop-basierten Applikationen – um rein Web-basierte Anwendungen handelt. Zweitens darauf, dass diese Dienste ein hohes Maß an Interaktivität bieten und vom intensiven Austausch und der Einbeziehung der Nutzer, beispielsweise über Weblogs oder Wikis, leben.
Durch den Fokus auf diese Aspekte wird der Begriff Web 2.0 derzeit vor allem mit innovativen Web-Diensten für private Nutzer in Verbindung gebracht. Als typische Beispiele gelten Flickr, myspace, del.icio.us oder YouTube, alles Web-Angebote für junge Internet-Communities. Als Enabling Technologies stehen Ajax, RSS Feeds oder Wikis im Vordergrund.
Allerdings wird man der dem Web 2.0 zugrunde liegenden Idee bei weitem nicht gerecht, wenn man den Begriff nur auf innovative Web-Dienste für Privatkunden und Enabling-Technologien reduziert. Tim O’Reilly, einer der ‘Erfinder’ des Begriffs, hat schon früh betont: “Web 2.0 is an attitude, not a technology”. Es ist eine Einstellung, die sich auf mehr als Technologien oder Geschäftsmodelle bezieht.
Unbeschränkter Austausch von Wissen
Das heißt, das Konzept Web 2.0 ist nicht nur für innovative Start-ups, Web-Dienstleister oder Marketingspezialisten relevant. Der Web-2.0-Ansatz birgt darüber hinaus eine Vielzahl interessanter Denkansätze auch für eher traditionelle Unternehmen.
Ein Kerngedanke der Web-2.0-Idee zum Beispiel, der auch für ‘ganz normale’ Unternehmen Relevanz hat, ist beispielsweise der Aspekt der Mitwirkung. Eine ‘Architektur der Partizipation zur Ausnutzung kollektiver Intelligenz’ ist ein zentraler Punkt des Web-2.0-Ansatzes. Hinter diesem zunächst sehr abstrakten Begriff versteckt sich die Idee, das enorme Wissen, das sich innerhalb eines Unternehmens bei den Mitarbeitern befindet, aber auch das der Kunden und Partner, systematisch zu nutzen. Das soll vor allem über den intensiven und unbeschränkten Austausch von Wissen und Erfahrungen erfolgen. Einfache Web-Applikationen wie Wikis oder Blogs bieten die technische Basis, um die Umsetzung solcher Ideen in Unternehmen zu unterstützen.
Ein gutes Beispiel für das Ausnutzen kollektiver Intelligenz durch die Mitwirkung der Kunden beziehungsweise Nutzer bietet der Journalist und Autor Chris Anderson. Er hat die Recherche und Arbeit an seinem jüngsten Buch detailliert in seinem Weblog dokumentiert und die Kernideen und Textbausteine zur Diskussion gestellt. Für viele Autoren ist es unvorstellbar, schon während der Entstehung eines Buches die wichtigsten Teile der Weltöffentlichkeit unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Für Anderson aber waren die umfangreichen Kommentare und auch die offene Kritik seiner Leser extrem wertvoll, um seine Ideen weiterzuentwickeln, und er konnte zahlreiche Anregungen in seine Arbeit integrieren.
Das Beispiel verdeutlicht den Kerngedanken des Web-2.0-Ansatzes, nach dem nicht die Kontrolle über die eigenen Ideen und Kommunikationskanäle Unternehmen weiter bringt, sondern ihre Offenheit und Kooperationsfähigkeit. Sich offen – und vor allem öffentlich – der Kritik von Mitarbeitern und Kunden zu stellen, ist für viele Unternehmen ein schwieriger Schritt. Das zeigt das Beispiel der Kosmetikmarke Vichy, die in ihrem Blog zunächst keine echten, kritischen Kunden, sondern eine erfundene Kundin namens Claire, zu Wort kommen ließ. Erst nach heftiger Kritik aus der Blogging-Szene ging das Unternehmen dazu über, sich tatsächlich und authentisch mit der Meinung der Kunden auseinander zu setzen.
“Die ewige Beta-Phase”
Dem Risiko des Kontrollverlusts durch Offenheit und Einbeziehung der Nutzer steht für Unternehmen nicht nur die Chance gegenüber, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen, sondern auch die Qualität des eigenen Angebots erheblich zu steigern. Denn durch die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter und Kunden können und sollten – so die Idee des Web 2.0 – die eigenen Produkte kontinuierlich weiterentwickelt werden. Tim O’Reilly nennt das “the perpetual beta”. Ein Produkt oder Service wird also nicht über längere Zeiträume entwickelt und dann schließlich “fertig” an den Markt gebracht. Sondern das Angebot befindet sich auf Basis des Feedbacks von Kunden und Mitarbeitern sowie der Auswertung von Nutzerverhalten in ständiger Weiterentwicklung – ein Ansatz, der unter anderem aus der Open-Source-Bewegung herrührt.
Die Idee einer ‘Architektur der Partizipation’ ist natürlich nur ein Teilaspekt des faszinierenden Ideengebildes, das unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst wird. Viele weitere Denkansätze lassen sich ableiten. Spannend wird Web 2.0 vor allem dann, wenn die neuen Denkansätze nicht nur in innovative Internet-Unternehmen Einzug halten, sondern auch in durchschnittliche 0815-Unternehmen. Auch viele Ideen des so genannten ‘Web 1.0’, wie der Handel von Waren über das Internet oder Internet-Werbung, wurden zunächst nur mit innovativen Start-ups in Verbindung gebracht, sind aber heute für die allermeisten Unternehmen völlig selbstverständlich.
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