Es gibt beispielsweise Dinge, die sind for ever young. Und die Leute, die damit zu tun haben, die sind’s auch. Das ist – und war halt schon immer – so.
Kurzeitig erschüttert wird ein darauf beruhendes Bild von der Welt, von anderen Menschen und natürlich vor allem von sich selbst eigentlich nur dann, wenn sich die Erfindung solcher Dinge jährt und es sich dabei um einen hohen Geburtstag handelt. Das gibt einem dann schon zu denken.
Eines der wunderbarsten Kleidungsstücke etwa, der Bikini, wurde vergangenen Monat vor 60 Jahren, am 5. Juli 1946, auf einem Pariser Laufsteg zum ersten Mal präsentiert. Und die Frau, deren Name im Zusammenhang mit dem Bikini am häufigsten fällt, weil sie in “James Bond jagt Dr. No” ihr vom Meerwasser durchnässtes Exemplar gar so prächtig mit prallem Leben zu füllen verstand, ist inzwischen eine alte Dame: Ursula Andress ist Anfang des Jahres auch schon 70 geworden.
Oder der PC, ebenfalls eine prima Erfindung: Ihn stellte IBM heute vor 25 Jahren vor. Er hat die Welt verändert – wenn auch nicht ganz so schön wie der Bikini.
Und die Youngsters, die seinerzeit immer vor den PCs saßen, die sind reich geworden und mittlerweile in den Ruhestand gegangen. Bill Gates im Juni in Altersteilzeit. Theo Lieven – der vertickte früher immer die billigsten Rechner – hat vor zehn Jahren Vobis verkauft und gibt seitdem eigentlich nur noch Klavierkonzerte. Und Ed Roberts – der den PC wirklich erfunden hat, Altair hieß der – er hat sich eine Ranch in Texas als Ruhesitz zugelegt.
Andere traf’s härter. Die IBMler beispielsweise, deren Unternehmen Anfangs so gar nicht mit den neuen Rechnerwelten klarkam und deshalb sein Personal innerhalb von zehn Jahren um 185.696 Stellen abbaute, vorzugsweise indem es die Leute in den Vorruhestand schickte.
Das Legacy-Problem mit ihren IT-Systemen hat die IBM inzwischen selbstverständlich längst im Griff. Beziehungsweise sie ist draufgekommen, dass es sich dabei um gar keines handelt: Sie benennt ihre traditionsreichen Großrechner heute mit Vorliebe nach Dinosauriern und macht mit ihnen kräftig Profit.
Mit der menschlichen Legacy allerdings kommt IBM gar nicht zurecht. Sowas lernen Konzerne ja nie. Aktuell will IBM in den USA den Alten unter ihren Angestellten die Betriebsrenten zusammenstreichen. Und in Deutschland bekommen die Beschäftigten, weil sie sich gegen die Rentenkürzungen gewehrt haben, kein Urlaubsgeld mehr.
Legacy ist eben schwierig. Da steckt viel drin. Aber es rauszuholen, das muss man halt können.
Was alles drinsteckt, das kann man sich im IBM-Museum im schwäbischen Sindelfingen anschauen. Es wurde von einigen jener 185.696 gegründet, die in der zweiten Hälfte der 80er und der ersten 90er Jahre meist unfreiwillig in den freiwilligen Vorruhestand geschickt wurden.
Man fasst es nicht, was dort noch alles herumsteht: kleiderschrankgroße Floating-Point-Units, hochperformante I/O-Systeme auf Lochkartenbasis und die mächtigsten Disk-Systeme ihrer Zeit – im Formfaktor 24-Zoll und mit einer sagenhaften Kapazität, die man mit 5 Megabyte beziffern würde, wenn es damals schon das Byte gegeben hätte.
Die Systeme sind meist funktionsfähig. Instandgehalten werden sie von Mitsiebzigern, von denen man so kompetente Erläuterungen bekommt, wie man sie sich als Schreiberling von jung-dynamischen Product-Managern auf Pressekonferenzen immer – vergeblich – wünscht.
Das ist Legacy. Ein vitales Vermächtnis halt. Eines, ohne das es nicht geht.
Man fragt sich: Wie können denn die Youngsters von heute, die später einmal IT-Systeme entwickeln sollen, richtig verstehen, was ein Bit ist, wenn nicht jemand aus der Zeit, als man derartiges noch mit bloßem Auge sehen konnte, ihnen einen Magnetkernspeicher zeigt, mit dem Finger auf einen der kleinen Ringe deutet und sagt: “Da isses”? Oder wie sollen sie wirklich begreifen, wie die Milliarde Transistoren auf einen Chip funktionieren, wenn sie noch keinen in Händen gehalten haben, bei dem unten drei Drähte rausschauen?
In der baden-württembergischen Provinz wird einem klar, das sowas nicht ins Museum gehört, sondern ins richtige Leben. – Es ist einfach nicht in Ordnung, wie heute mit der Legacy umgegangen wird.
Der Autoindustrie dämmert inzwischen, dass sie ein Problem mit der Legacy hat, was allerdings nicht an den Menschen jener Altersgruppe liegt, sondern daran, dass die Branche jene bislang nicht wahrgenommen hat: Aktuelle Marktprognosen erwarten, dass 2015 ein Drittel der Kfz-Käufer über 60 sein wird. Politiker werden früher draufkommen, nicht weil sie quicker wären, sondern weil die Mehrheit der aktiven Wähler schon eher im Rentenalter sein wird.
Und dann gab’s letzte Woche in Stuttgart noch das letzte Deutschland-Konzert auf der A-Bigger-Bang-Tour der Rolling Stones: vier vom Leben schwer gezeichnete Männer, die jeder IT-Konzern, wenn sie in dessen Großraumbüros oder Werkshallen arbeiten müssten, schon längst aufs Altenteil abgeschoben hätte. Das war Performance! Der Auftritt der Stones.
Meist ohne sich an die Hüfte zu fassen, erhob sich das ähnlich hoch betagte Publikum bei Brown Sugar ausnahmslos von den teuren Sitzplätzen, um sich in ansonsten für ältere Herrschaften ungewohnter Weise rhythmisch zu bewegen. Eine Uptime von 100 Prozent bis zum Ende des Konzerts!
Anschließend gingen zig Tausend gutsituierte Altchen, einschließlich des Schreibers, ohne – wie in jüngeren Jahren üblich – zu randalieren, brav nach Hause. Es war schließlich auch schon spät. Straßen überquerten sie dabei nur auf Zebrastreifen und wenn die Ampel grün zeigte.
Ja, so war’s. Und trotzdem gibt’s da noch jede Menge Schwätzer, die dauernd etwas von einem Legacy-Problem daherbrabbeln.
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