Gordon Bell, das ist… genau: der ehemalige Entwicklungs-Chef von DEC, der in den siebziger Jahren mit seiner VAX erstmalig IBM so richtig Konkurrenz gemacht hat. Später hat er Encore und Ardent Computer gegründet und schließlich Microsoft geholfen, deren Forschungsabteilung aufzubauen.
Morgen wird Gordon Bell 72. Der Mann ist lebendige IT-Geschichte.
Wenn man mit ihm telefoniert, hat man das gute Gefühl, etwas dabei zu lernen. Und damit ist der Tag gerettet. Weil: Ein Tag, an dem man etwas gelernt hat, ist kein verlorener Tag.
7 Megabyte ist das MP3-File mit dem Interview groß. Zum Vergleich: Ein Video-Podcast von Angela Merkel – in dem man so Essentielles erfährt wie: “Sommerzeit ist Reisezeit” – bringt gut das Doppelte auf die Platte.
Gordon Bell beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Bits seines Lebens. MyLifeBits nennt sich ein Forschungsprojekt, in dem es darum geht, alles was einem Menschen zu Ohren und unter die Augen kommt, zu digitalisieren und abzuspeichern, damit man es sich später jederzeit wieder vergegenwärtigen kann.
Hardware-seitig stellt derartiges kein Problem dar. 100 der neusten Festplatten, die es mit Hilfe des Perpendicular-Recording-Verfahrens auf eine Kapazität von 750 Gigabyte bringen, würden ausreichen, um selbst ein so ereignisreiches Leben wie jenes von Gordon Bell als Audio, Video und in Textform lückenlos abzubilden.
Eine feine Sache wäre so ein Langzeitgedächtnis in Form von Harddisks. Die nach: “Wo warst du eigentlich, als ich gestern Abend…?” zweitquälendste aller Fragen bräuchte man nie mehr zu stellen, jene die mit: “Wie war das noch gleich…” beginnt. Man könnte statt dessen einfach auf der Platte nachschauen. Die speichert schließlich zuverlässiger als das menschliche Gehirn.
Aber Bell sagt, es würde noch nicht so recht funktionieren. Der Datei-Verhau, der sich dabei ansammelte, wäre gar zu unübersichtlich. Die Sache mit der Garbage-Collection klappe nicht.
Die Garbage-Collection! Man fasst es nicht. Ausgerechnet am Müll scheitert ein so kluger Kopf wie Gordon Bell.
Wobei das Problem ja schon gravierend ist. Mit wie viel Müll man selbst doch tagtäglich konfrontiert ist!
Vor kurzem etwa breitete sich eine Wickelbären-Plage in den Medien aus. Gleich 72 Exemplare des an sich scheuen Tierchens hat Google-News auf den bunten Seiten deutscher Online-Publikationen entdeckt.
Bei der hiesigen Boulevard-Presse handelt es sich aber mitnichten um den natürlichen Lebensraum des Potos flavus. Er hält sich vielmehr mit Vorliebe in den Baumwipfeln tropischer Regenwälder auf und begibt sich nie freiwillig in irgendwelche Niederungen.
Bemerkenswert ist ansonsten, dass das nur wenige Kilo schwere Tier einen bis zu 60 Zentimeter langen Greifschwanz hat, den es in luftiger Höhe wie einen Sicherheitsgurt einsetzt. Das erfährt man aus der Online-Enzyklopädie World of Animals.
Es ist faszinierend, auf was die Natur so alles kommt. Leider handelt es sich beim Wickelbären wie bei vielen Tieren im Regenwald um eine bedrohte Art.
Ausgelöst hat die aktuelle Wickelbären-Epidemie, dass ein wahrscheinlich etwas degeneriertes Exemplar Paris Hilton gebissen hat. Das ist eine junge Frau, die mit den Attributen blond, reich und prominent wohl mehr als hinlänglich beschrieben werden kann.
Nicht herumgekommen ist man diese Woche auch wieder mal um Sigmar Gabriel. Das ist der Mann, der die Sprache der IT in der deutschen Sozialdemokratie eingeführt hat. Er hat die SPD-Netzwerker erfunden, jene politische Gruppierung, deren Mitglieder weder links, noch rechts, sondern am liebsten einfach oben sind. Wie Sigmar Gabriel.
Diese Woche hat er seinen Genossen Kurt Beck als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im Jahr 2009 vorgeschlagen. Nun ist es zwar recht belanglos, wen eine Partei als Kanzler möchte, die nach aktuellen Umfragen keine 30 Prozent der Bundesbürger wählen würden. Aber die Presse schloss aus Gabriels Vorschlag, dass jener selbst 2012 Kanzlerkandidat werden will. Und deshalb stand Gabriel diese Woche in allen Zeitungen.
Das schafft der immer wieder, ohne dass er dazu irgendetwas Wissenswertes von sich geben müsste. Ein echtes Phänomen. Selbst wenn man seinen Namen falsch schreibt, den Vornamen mit “ie”, listet Google-News noch ein halbes Dutzend Treffer. Gordon Bell hingegen bringt es – richtig geschrieben – gerade mal auf einen.
Auch wenn das Äußere dem doch sehr entgegensteht: Sigmar Gabriel ist die Paris Hilton der Bundesregierung. Man ist fast geneigt, dem Mann einen Wickelbären zu schenken.
Ein Gedanke, von dem man aber sehr schnell wieder Abstand nimmt. Schließlich ist Gabriel gewieft, würde sicherlich die Absicht dahinter erkennen und einem dann Ärger machen, wozu er in der Lage wäre, weil er in seinem aktuellen Nebenjob als Umweltminister auch für den Artenschutz zuständig ist.
Apropos Artenschutz – man kommt ja beim Surfen vom Hundersten ins Tausendste – sehr viel Interessantes steht zu dem Thema im Netz, beispielsweise, dass in Deutschland allein 45 Säugetiere geschützt sind, darunter der Biber, die Haselmaus und die Ziesel. Sie alle sind akut vom Aussterben bedroht.
Und während man so surft, kommt man dann darauf, warum das mit Gordon Bell’s MyLifeBits nicht klappen kann. Wäre alles archiviert worden, was man im Laufe dieser Woche so angeklickt hat, dann hätte man auch jede Menge Müll dauerhaft abgespeichert.
So aber wird man die PR-Gags von Sternchen und Politikern bald vergessen haben und sich nur noch an das Wichtige, auf das man gestoßen ist, den Artenschutz und die Wickelbären, erinnern. Das menschliche Gedächtnis ist in Sachen Garbage-Collection schließlich hochperformant. Es ist halt doch ein sehr viel intelligenteres Device als so eine Festplatte.
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