Gut, die alten Meister sind intellektuell ja noch in den Griff zu bekommen. Mit einigen naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen ist beispielsweise die Frage, was Giovanni Bernini zu seinen Skulpturen ‘Raub der Proserpina’ und ‘Verzückung der Heiligen Theresa’ inspirierte, ganz eindeutig zu beantworten. – Der Biologe nennt das Testosteron.
Oder die Hinwendung der Renaissance-Künstler zur Natur und den Naturwissenschaften: “Auch das kleinste Katzentier ist ein Meisterwerk”, formulierte es Leonardo. Und Dürer malte deswegen seinen Hasen. Sowas ist einsichtig.
Äußerst unwohl hingegen fühlt man sich, wenn man etwa mit einem eingeschwärzten Stück Leinwand konfrontiert und belehrt wird, dass es sich dabei um ein “abstraktes, zeitloses, raumloses, interessenloses Gemälde” handele. Da quält einen dann doch die Frage, ob man zu beschränkt ist, um das zu erkennen, oder ob man hier vielleicht veräppelt werden soll.
Lediglich eine kluge Begleiterin kann einen in solchen Situationen davor bewahren, auf das Naheliegende zu tippen und sich dadurch furchtbar zu blamieren. Sie wird einem fürsorglich zuflüstern, dass Ad Reinhardt einer der bedeutendsten Vorläufer der Konzeptkunst und der Minimal Art war, und schließlich mit dem schlagenden Argument überzeugen, dass es schon etwas künstlerisch Wertvolles sein müsse, weil die Staatsgalerie – zumal es die in Baden-Württemberg ist – dafür andernfalls ja nicht so viel Geld ausgegeben hätte.
Auch das geht einem ein – das mit dem Geld, weniger die Sache mit dem gänzlich losen Gemälde. Aber man meidet aus solchen Gründen halt schon die Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst.
Und dann das diese Woche: die Ars Electronica in Linz. Dabei geht’s um Rechner-gestützte Kunst. Und deswegen musste der Computerei-Schreiber darüber berichten.
Ausgezeichnet wird – heute – ein Oeuvre, das vom “Liebestaumel zweier semitransparenter Schneckenmaschinen und dessen plötzlichem Ende” erzählt. Da wünscht man sich doch ins kuschelige Nirwana von Ad Reinhardt’s Black Paintings in der Stuttgarter Staatsgalerie zurück.
Die Künstler allerdings machen überhaupt keinen überkandidelten Eindruck. Studenten der Ludwigsburger Filmakademie sind’s. Und bevor sie – Nachmittags um 2 – irgendwelche Fragen beantworten können, brauchen sie erst einmal Kaffee und Kippen. Ja, so ging’s dem Schreiber in seiner lange zurückliegenden Studentenzeit auch.
Worin denn die Motivation für ihr Werk bestanden habe, will er wissen. – Im zweiten Jahr an der Akademie muss jeder Student einen Film produzieren. Eine Semesterarbeit halt.
Die ihre ist übrigens wirklich sehr schön geworden: Zwei schneckenartige Wesen begegnen sich in einer eigenartig düsteren Umgebung. Ihre Körper sind durchsichtig, wohl damit man die CAD-Mechanik in ihrem Inneren sehen kann.
Pulsierendes Licht durchfließt sie. Deswegen hat der Streifen auch diesen befremdlichen Namen: 458nm, nach der Wellenlänge dieses Lichts.
Die beiden Schneckenmaschinen messen erst einmal ihre Kräfte, veranstalten also eines jener albernen Machtspielchen, die man auch außerhalb der Welt virtueller Weichtiere pflegt, um dann drauf zu kommen, dass sie etwas sehr viel Schöneres zusammen spielen können. Ihre Erregung ist am 458-Nanometer-Licht erkennbar.
Sie nähern sich dem Höhepunkt. Und dann – frisst sie ein Robotervogel. Ein eigentlich trauriges, aber eben auch sehr schönes .mpeg.
Nach den Stilelementen fragt der Schreiber, dem evidenten Kontrast zwischen scharf konturiertem Vorder- und verschwommenem, dunkel-düsterem Hintergrund. – Anders wär’s mit dem Hintergrund nicht gegangen, klärt einer der Studenten auf, bei den wenigen Rendering-Maschinen, die ihnen zur Verfügung gestanden haben.
Und die Spannung zwischen dem natürlichen Vorbild der Schneckenmaschinen und ihrer technizistischen Interpretation durch die Künstler? – Darüber hätten sie sich keinen Kopf gemacht. Sie hätten halt einfach Roboter haben wollen.
Klasse! So einfach kann die hehre Kunst sein.
Doch, es war eine lehrreiche Woche. Drei von der Fachwelt anerkannte Oeuvres hat der Computerschreiber jetzt schon verstanden: Berninis verzückte Mädels, den Hasen vom Dürer und dann noch die liebestaumelnden Schneckenmaschinen.
Und weil’s am Sonntag eh kein schönes Wetter gibt, geht er mit seiner klugen Begleiterin nochmal in die Staatsgalerie. Schließlich sollte einem kultivierten Menschen, der sogar moderne Computer-Kunst versteht, sich auch so ein gemeines Stück schwarze Leinwand nicht verschließen können.
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