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Will aber!

“Wutanfälle entstehen aus Frustration und Zorn.” – “Jetzt heißt es: Ruhe bewahren!” – Und: “Wenn Sie sich selbst der Situation nicht mehr gewachsen fühlen, ziehen Sie rechtzeitig eine Beratung und Hilfe bei.”

Nein, nicht Windows Vista ist’s, das da seine Schatten vorauswirft. Psychologen – Prof. Axel Schölmerich, Dekan der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum, und Manfred Hofferer, Leiter des Instituts für Kommunikationspädagogik in Wien – erklären auf Sites für Eltern, was mit ihren Sprösslingen während der Trotzphase geschieht.

Wenn man’s so wie sie sieht – und das muss man wohl, weil sie ganz offenkundig Recht haben – dann ist das alles ja ganz anders: Dann ist so eine zornbebende und laut plärrende Rotznase, die sich im Supermarkt auf dem Boden wälzt, weil die Mama kein Überraschungsei kaufen will, eigentlich etwas ganz Wunderbares. “Das bedingungslose ‘Ich will’ markiert einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung des selbstbestimmten Handelns”, formuliert es der Professor.

Und genau das macht schließlich den Menschen aus. Das kleine, unfertige Exemplar auf dem Boden vor der Kasse, das “Will aber!” schreit, ist demnach auf dem richtigen Weg. “Ihr Lieblingswort ist vor allem ‘Nein'”, beschreibt BR-online die sich in dieser Phase so seltsam gerierenden Engelchen.

Ein Klasse-Wort! Zusammen mit besagter Kombination aus “ich” und “will” gehört es zum Schönsten, was die deutsche Sprache hervorgebracht hat. “Selbstbestimmtes Handeln” ist natürlich auch ein toller Begriff. Aber den kann so ein kleiner Schreihals halt noch nicht.

Bevor er den lernt, muss er erst die Sache mit dem “Nein” noch ausgiebig üben. Besonders fleißig wird er darin während der Pubertät wieder sein. Auch dann wird sein Grundwortschatz aus “nein”, “ich” und “will” bestehen. “Nein”, wird er die Änderungswünsche seiner Eltern bezüglich seines Äußeren bescheiden. Und auf deren Einwand, dass es so nun wirklich nicht gehe, wird er antworten: “Ich will aber… !”

Später im Beruf dann wird’s schwieriger. Da verlernen die meisten wieder, was sie sich in ihren wichtigsten Entwicklungsphasen angeeignet haben, und sitzen dem Irrtum auf, es sei weniger peinlich, alles widerspruchslos zu tun, was einem gesagt wird, als sich auf den Boden zu werfen und “Nein!” zu brüllen. Das Gegenteil aber stimmt: Für die meisten Karrieristen wäre die frühkindliche Regression ein echter Fortschritt.

Allerdings besonders schön ist das “Ich will!” ja dann, wenn es nicht laut und verzweifelt herausgeschrieen wird, sondern vielmehr mit dem selbstbewussten “Ich kann” im Hinterkopf harmoniert. Deshalb lieben willenstarke Menschen auch PCs.

Was kann man da nicht alles wollen! In Sekundenbruchteilen ein Schriftstück finden, das zusammen mit Tausenden anderen irgendwo abgelegt worden ist – auf der Festplatte. Das muss man einmal mit einem Stück Papier in einem durchschnittlich unaufgeräumten Büro versuchen!

Oder man kann Nachts um 3:00 eben mal im Web nachschauen, was die Fidschi-Inseln, wo gerade wieder das Militär geputscht hat, mit Tuvalu verbindet, dem Staat, der die ihm zustehende Internet-Top-Level-Domain an ein US-Unternehmen verkauft hat. (Die beiden Nationen verhandeln über den Verkauf von Land, weil Tuvalu wohl in den nächsten Jahrzehnten im Meer versinken wird.)

Man kann seine gesamte Plattensammlung auf den Rechner packen und ständig seine Lieblingsmusik hören, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass der Tonträger darunter leidet. MP3s verkratzen eben nicht.

Oder man kann mit seiner Digicam Urlaubsfotos in Situationen schießen – bei Gegenlicht oder Dunkelheit – in denen man einen mit teurem Silbernitrat beschichteten Film nie belichtet hätte. Und anschließend bearbeitet man die JPEGs am PC.

Und noch schöner als ein leistungsfähiges digitales Ablagesystem, Google und Wikipedia, Stones zu hören, und gelungene Urlaubsfotos ist, dass man seinen Willen durchgesetzt hat und der PC tut, was man will. Dafür nämlich ist ein Rechner da: Er hat, nix zu wollen. Er hat zu funktionieren. (Also bei ihm ist es genau umgekehrt wie beim Menschen.)

Deswegen wird der Mensch auch immer wieder von “Frustration und Zorn” gepackt, wenn er Windows auf dem Rechner hat. Denn das anmaßende Stück Software tut nicht, was man ihm sagt, sondern will einem statt dessen sagen, was man zu tun hat: Wenn Windows es nicht schafft einen Befehl auszuführen, gibt es selbst welche: “Schließen Sie sämtliche Anwendungen und starten Sie… erneut.”

Und mit jedem Release will Windows etwas Neues – kann es aber meist nicht. XP heißt das gegenwärtige. Der Name ist von “experience” (Erfahrung) abgeleitet. Im Januar kommt dann Vista. Vista möchte eigenständig Treiber aus dem Internet laden, Raubkopien verhindern (Anti-Counterfeit) und Kinder davon abhalten, zu lange am PC zu sitzen (Parental Controls).

Anwender, “jetzt heißt es: Ruhe bewahren!” Schließlich ist ein PC, der macht, was er will und nicht was er soll, etwas, das einen nun wirklich aus der Fassung bringen könnte. Sonst gibt’s da ja nicht viel.

Denn der Mensch wird gelassener, wenn er Trotzphase und Pubertät hinter sich hat. Schließlich hat er Erfahrung (XP) gesammelt. Er weiß, dass er “nein” – und eben deswegen auch “ja” sagen kann.

Und wenn er aber männlichen Geschlechts ist und “ja” zu einer Frau gesagt hat, dann wird er noch eine ganz seltsame Erfahrung machen. Er wird feststellen, dass was er wollen könnte, auf einigen Gebieten überhaupt keine Rolle mehr spielt, beispielsweise auf jenem, wo er sich vor vielen Jahren zum ersten Mal wirklich durchgesetzt hat, in der Frage seines Äußeren gegenüber seinen Eltern. Welche Kleidung er künftig trägt, wird ihm dann lediglich noch mitgeteilt mit der Einleitung: “Ich hätte noch gerne für dich…”

Ach ja, was einem halt so einfällt, wenn man so eine Rotznase sieht, die sich schreiend auf dem Boden wälzt und “das bedingungslose ‚Ich will'” artikuliert.

Silicon-Redaktion

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