Nachhaltige Internationalisierung – ein neues Leitbild
Ein Wandel des Leitbildes steht bei der Internationalisierung von IT-Firmen an: Statt kurzfristiger Kostenvorteile geht es um die nachhaltige Sicherung von Kompetenz, Commitment und Kooperation der Mitarbeiter.
Internationalisierung ist eine zentrale, ja eine Lebensfrage für die Unternehmen, die Standardsoftware und IT-Dienstleistungen anbieten. Doch in dieser Frage ist in Deutschland nicht eben Aufbruchstimmung zu spüren. Selbst bei Firmen mit einer fortdauernden “Erfolgsstory Internationalisierung” prägt Unsicherheit die Stimmungslage in den Belegschaften.
Erst recht ist das in Unternehmen der Fall, die mit Blick auf Offshoring Arbeitsplätze in Deutschland abbauen. Auch die Äußerungen der meisten Vertreter von Wirtschaft und Politik, etwa auf dem ersten nationalen IT-Gipfel im Dezember 2006, vermitteln nicht den Eindruck eines offensiven Umgangs mit den Herausforderungen der Globalisierung.
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass das nicht nur eine Frage der Psychologie ist. Tatsächlich gibt es erhebliche Defizite in den Internationalisierungsstrategien vieler Unternehmen – es gelingt ihnen nicht, eine Vorwärtsstrategie zu realisieren, weil sie in überkommenen Leitvorstellungen verhaftet bleiben.
Leitbild ‘Kosten sparen’ ist veraltet
Nach wie vor betrachten zahlreiche Unternehmen Internationalisierung nach dem Modell des ‘Offshoring’, das heißt: Sie versuchen Standorte gegeneinander auszuspielen, um Kostenvorteile zu realisieren. Den Beschäftigten in den Zentralen droht man mit Arbeitsplatzverlagerung in Niedriglohnländer; die Beschäftigten an Offshore-Standorten bleiben am ‘Katzentisch’ der genau spezifizierten, niedrig entlohnten Tätigkeiten. Doch dieses Leitbild ist veraltet. Es ist nicht mehr geeignet, die neuen Herausforderungen der Internationalisierung zu bewältigen.
Denn schon seit einigen Jahren zeichnet sich eine neue Stufe der Internationalisierung ab. Hier geht es darum, aus dem Netz von Produktionsstandorten ein global integriertes Netzwerk zu bilden, ein ‘Global Delivery Model’, das es ermöglicht, Standardsoftware und Dienstleistungen tatsächlich in internationaler Zusammenarbeit zwischen den Standorten zu erstellen.
Nicht mehr Auslagerung, Konkurrenz und Hierarchie sind hier die Stichworte, sondern gleichberechtigte Kooperation und konsequente Prozessorientierung. Diese Herausforderung verlangt eine neue Herangehensweise, ein neues Leitbild: eine nachhaltige Internationalisierung, die die Kooperations- und Lernfähigkeit der Mitarbeiter als wichtigste Ressource dringend braucht und daher fördert.
Die Prozesse sind entscheidend
Hier kann man von Indien lernen. Denn die indischen IT-Dienstleister haben sich keineswegs auf Lohnkostenvorteilen ausgeruht, sondern schon sehr früh eine Qualitätsführerschaft angestrebt. Ihre Erfolge sind nicht zuletzt einem Geschäftsmodell geschuldet, das auf konsequente Prozessorientierung zielt. Ähnlich wie bei modernen Konzepten der Softwareentwicklung richten sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf ein konkretes Projekt, sondern auf den dahinter stehenden, verallgemeinerbaren Prozess.
Die kollektiven Erfahrungen des Unternehmens aus den Projekten gehen in dieses Prozessmodell ein – und aus ihm werden neue konkrete Projekte abgeleitet, deren Erfahrungen wiederum zur Weiterentwicklung des Prozessmodells beitragen. In einer kurzen Formel ausgedrückt: Rückgekoppelte Lernschleifen werden etabliert und münden in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der alle strategischen Funktionen des Unternehmens systematisch miteinander verkoppelt.
Natürlich lässt sich die indische Situation nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen. Doch der Blick auf Indien zeigt, wo die Suche nach neuen Konzepten ansetzen muss: Permanentes Lernen voneinander und gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Partnern sind die Kernpunkte einer nachhaltigen Internationalisierung, die die Erfahrungen aller Beteiligten effizient nutzt und weiterentwickelt.
Teilen statt ausspielen
Eine solches Leitbild funktioniert nur, wenn der Erfolg des einen Standorts nicht der Verlust des anderen ist. Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess braucht Anreize für das Weitergeben, Teilen und Verarbeiten von Erfahrungen. Das veraltete Leitbild des Offshoring hingegen setzt geradezu Prämien für das Zurückhalten von Erfahrungen aus – um unersetzlich, “untouchable” (Thomas L. Friedman, ‘The World is Flat’) zu werden.
Nur wenn man dieses Leitbild hinter sich lässt, wird man Kompetenz, Kooperation und Commitment der Mitarbeiter nachhaltig gewährleisten können, die für die neuen Herausforderungen der Internationalisierung so zentral sind. Und nur so wird die Atmosphäre der Unsicherheit, Sorge und Angst überwunden werden können, die sich so lähmend auf die Chancen der Internationalisierung auswirkt.
Diese Erkenntnisse beruhen auf ersten Ergebnissen des groß angelegten Forschungsprojekts ‘Erfolgsfaktoren der Internationalisierung und Exportfähigkeit von IT-Dienstleistungen – Export IT’, das vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung – ISF München gemeinsam mit weltweit tätigen IT-Unternehmen durchgeführt wird: SAP, T-Systems, Software AG, IDS Scheer und Inosoft. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte und vom Projektträger im DLR ‘Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen’ betreute Projekt hat empirische Untersuchungen in IT-Unternehmen in Deutschland und Indien vorgenommen und bereitet weitere Recherchen in Mittelosteuropa und den USA vor.