Installation ist Meditation
Eine hektische Zeit ist’s, in der wir leben. Dauernd klingeln irgendwelche Handys in Tönen, die deren über alle Maßen laut sprechenden Eigner – allerdings nur die – als witzig empfinden.
Und ständig wird man zu Meetings gerufen, wo Leute versuchen, Gedanken zu artikulieren, noch bevor sie jene gefasst haben. Immer wieder macht der Outlook-Kalender sichtbar, dass auch ein mit Terminen ausge- noch lange kein erfüllter Tag ist. Woran es dem Menschen heutzutage gebricht – das erkennt man an solchen Tagen – ist Kontemplation, wie dereinst der heilige Benedikt von Nursia (von um 480 bis 547 nach Christus) sie beschrieb.
Aber gibt es die noch? – Es gibt: Finden kann man sie des Abends vorm PC, wenn man darangeht, ein neues Programm zu installieren. Denn Installation ist Meditation.
Während jener nämlich begibt sich der Mensch völlig in die Hand einer höheren, unergründlichen Macht, in jene seines Rechners. Alles andere fällt dann ab von ihm. Und lediglich der Verlaufsbalken des geheimnisvollen Wininstall deutet an, dass die sonst als so bedeutsam erachtete Zeit überhaupt noch existiert.
Da ist nichts, was man tun könnte, um diesen Balken zur Eile anzutreiben. Und so wird der Mensch völlig eins mit dem Verlaufsbalken.
Nur langsam wächst jener an – unendlich langsam. In einer solchen Situation kann man die Wahrheit der Heiligen Schrift ermessen, die da sagt: “Ich sah alles Mühen an und alles geschickte Tun:.. Das ist auch eitel und Haschen nach Wind” (Prediger, Kapitel 4, Vers 4).
Kismet nennt dies wohl der Muselman. Und das Bewusstsein davon schenkt einem Ruhe und Gelassenheit. Nichts, was man tun müsste! Nichts, was man tun könnte!
Und so denkt man halt, während der Beschaulichkeit, in der der Balken, wie es seine Art ist, nur unmerklich länger wird, über die ewigen Fragen der Menschheit nach: über das Dies- und Jenseits, das, was ist, und das, was danach kommt. In östlichen Religionen herrscht hier ja die Vorstellung vom Samsara vor, vom “beständigen Wandern”, dem Zyklus von Werden und Vergehen im nur schwer zu durchbrechenden Kreislauf der Wiedergeburten.
Irgendein früheres Windows muss da wohl arg gesündigt haben. Oder, wie es im 131. Vers des Dhammapada, der heiligen Schrift der Buddhisten, heißt: “Wer andere Wesen (Anwender zum Beispiel, Anmerkung vom Schreiber) quält, die auch nach Wohlsein streben, so wie er selbst, der hat kein Glück im nächsten Leben.”
Die sechste Reinkarnation des 32-Bitters jedenfalls, Windows Vista geheißen, geht gerade mit einem Blue Screen ins Nirwana ein und findet so – entgegen den Lehrsätzen des Buddhismus – Erlösung.
Der hinterbliebene Anwender wiederum nimmt auch dies mit kontemplativer Gelassenheit. Er betrachtet es gar als Offenbarung: Siehe, auch Vista ist ein Windows! – Es stürzt ab. Ein Zeichen! Ein untrügliches zumal.
Und er wendet sich alsdann der eigenwilligen Interpretation des Zoroastrismus durch Friedrich Nietzsche zu. “Also sprach Zarathustra” heißt das Reclam-Bändchen, in dem die dargelegt ist, die ständige Wiederkehr des Gleichen, in dem Fall: Booten – Installieren – Absturz – neu starten.
Die griechische Mythologie kommt einem indes in den Sinn, die Geschichte von Sisyphus, der von den Göttern verdammt wurde, auf ewig einen schweren Felsbrocken einen Berg hinauf zu rollen. Und jedes Mal, wenn er sich kurz vor dem Ziel wähnte: “Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor”, wie der klassizistische Dichter Johann Heinrich Voß es 1781 formulierte.
Albert Camus hat später einmal (1959) gesagt: “Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.” – Na ja, im Vergleich zu einem Windows-Anwender schon.
Menetekel erscheinen derweil zuhauf auf dem Screen. Die sind aber, wie es sich für Orakelworte geziemt, nur schwer auszulegen: 613 Mitzvot kennt der Talmud, 114 Suren der Koran. Aber die einer Interpretation harrenden Fehlermeldungen von Windows sind ungezählt.
Als “mene, mene, tekel” (gezählt, gewogen und geteilt) hat der Prophet Daniel seinerzeit die Original-Fehlermeldung im Babylon von 543 vor Christus interpretiert. Letzterem aber wollten die Kartell-Behörden in den USA vor ein paar Jahren denn doch nicht nachkommen. Microsoft blieb deshalb als ein Ganzes bestehen.
Zu zählen hat man ebenfalls längst aufgegeben. Mehr als sieben mal sieben Male schon ist Vista den Weg alles Vergänglichen gegangen. Und so bleibt dem Anwender denn nichts, als auf ein Wunder zu hoffen. – Das geschieht irgendwann im Morgengrauen, jener Zeit, in der Wunder meist geschehen und Installationen dann doch glücken.
Ein Unterprogramm meldet, dass die Installation eines anderen Programms gerade im Gange wäre, aber wohl unterbrochen durch einen Systemabsturz, und diese Installation müsse erst einmal gestoppt werden. – Freudig folgt der Anwender diesem Wink des Schicksals, derweil gerade der neue Tag anbricht.
Und siehe: Alles ward gut. Der ewige Kreislauf ist durchbrochen. Das Hoffen und Bangen hat ein Ende. Glaube und Zuversicht haben gesiegt. Das neue Programm kündet der Registry von seiner Existenz und – es funktioniert.
Der Anwender macht sich indes Gedanken über die Erkenntnis aus dem Römerbrief (Kapitel 9, Vers 12), wonach nichts geschieht “aus Verdienst der Werke, sondern nur durch die Gnade”. Und das lässt einen dann doch einen neuen Tag voller Handy-Klingeln, Meetings und Outlook-Termine wieder ganz locker angehen.