Gestern etwa saßen dem Schreiber in der S-Bahn nach Stuttgart zwei ältere Damen gegenüber, von denen eine sehr mitteilungsbedürftig zu sein schien.
“Jetz’ isch d’erschde Hälfte vom Johr a faschd scho widder rum”, machte sie ihre Freundin auf das aktuelle Datum aufmerksam. Und wohl um die Dramatik dieser Feststellung zu unterstreichen, fügte sie hinzu: “Grad’ war doch no Januar.”
Vom kommunikationstheoretischen Standpunkt aus betrachtet sind derartige Unterhaltungen ja äußerst interessant, belegen sie doch, dass im zwischenmenschlichen Bereich etwas existiert, was die moderne Informationstechnik nicht kennt: ein Protokoll mit einem 100prozentigen Overhead. Also eines, bei dem keinerlei Inhalte übermittelt werden.
“Denk amol”, ergänzte die redselige Dame noch bezüglich der Sache mit dem gegenwärtigen fünften Monat des Jahres, der ihrer Wahrnehmung nach so rasch auf den ersten gefolgt ist. Sie forderte also auf, über das Gesagte zu reflektieren.
Dem aber wollte zumindest der Schreiber nicht folgen. Denn der war eigentlich vollauf damit beschäftigt, hinter den Sinn einer Pressemitteilung zu kommen. Davon nimmt er sich immer ein Dutzend zum S-Bahn-fahren mit.
Solche Pressemitteilungen – das muss man dazu wissen – sind ein wichtiges Instrument der Kommunikation innerhalb der IT-Branche. Das wird schon daran ersichtlich, dass sie von PR-Firmen geschrieben werden, die sich meist “Agentur für Kommunikation” nennen.
Das, was deren Sprachgewalt hervorbringt, wird anschließend – in der Regel wörtlich – von vielen IT-Redaktionen übernommen. Und die Vertriebsabteilung des jeweiligen Verlags akquiriert dann die entsprechenden Anzeigen dazu. Dies wiederum nennt man gemeinhin Fachjournalismus.
Mit besagter Pressemitteilung nun tat sich der Schreiber arg schwer. Und das obwohl – oder besser: weil – sie dem gängigen Muster von Pressemitteilungen folgte.
Nicht ersichtlich war, ob es sich beim Gegenstand der Mitteilung um ein Stück Software handelt oder um so etwas im schwarzen Chassis. Der Fachterminus für Letzteres lautet: Hardware. Es ist halt wohl eher eine “Lösung”. So nennt es denn auch die mit der PR des Herstellers beauftragte Agentur für Kommunikation.
Diese Lösung allerdings hat es ganz offensichtlich in sich. Sie sei “effizient, flexibel und hochskalierbar”. Und eine Innovation. Eine “bahnbrechende”, wie’s in der Pressemitteilung hieß.
Einen ROI (Return on Investment) bringe sie auch. Was will man da mehr?
Auch Analysten sagen das. Die waren ebenfalls zitiert.
IT-Analysten allerdings darf man nicht mit biederen deutschen Marktforschern verwechseln. Sie ähneln höchstens jenen, die sich so nennen, einen Abends anrufen, um eine “Umfrage” zu machen, und einem anschließend etwas verkaufen wollen.
IT-Analysten legen eher ein Verhalten an den Tag, das mit dem von Franz Beckenbauer vergleichbar ist. Den hat seinerzeit ja auch die Werbung von Mitsubishi-Computers zitiert – mit dem Satz: “Ich muss nicht wissen, wie es funktioniert. Ich muss nur wissen, dass es funktioniert.” Und dass es funktioniert, von einer IT-Firma zitiert zu werden und damit Geld zu machen, das wissen der Kaiser und die Analysten.
Der CEO der Firma, die die Pressemitteilung in Auftrag gegeben hat, wurde gleichfalls zitiert. Er “kommentiert”, so nennen Agenturen für Kommunikation das. – Der Kommentar fiel überschwänglich aus.
Sein Unternehmen ist übrigens “der führende Anbieter von” besagter Lösung. Darin nämlich unterscheiden sich IT-Firmen: Unternehmen, die mit viel gutem Willen als reell bezeichnet werden können, heißen “der”, die anderen “ein führender Anbieter”.
Ach ja! Und dann ist der Schreiber halt doch der Aufforderung der alten Dame zur Reflexion gefolgt. “Denk amol”, wie sie es formuliert hat.
Eigentlich ist ihr Mitteilungsdrang ja – relativ gesehen – sozial verträglich. Wenn sie nichts zu sagen weiß, dann teilt sie dies zwar wortreich, allerdings nur ihrer Freundin mit. Nie aber würde sie auf die Idee kommen, darüber eine Pressemitteilung zu verfassen und jene an diese Fachjournalisten zu verschicken.
“Denk amol!” wiederum ist in deren geschwätzigem Geschäft schon ein verdammt harter Imperativ. Na ja, zum Glück kam dann auch gleich die Haltestelle Stadtmitte.
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