Das global Village an der Adria

Es hätte schwierig werden können mit dem silicon.de-Rückblick diese Woche. Den Schreiber nämlich zieht’s im Sommer immer so ans Meer. Wegen der dortigen Freizeitmöglichkeiten.

Die Lieblings-Outdoor-Activity alter Männer besteht nun einmal darin, am Strand im Schatten zu sitzen, Rotwein zu trinken, auf das Wasser zu schauen und über die Frage nachzudenken, die sich jeder Generation alter Männer aufs Neue stellt. Sie lautet: “Was ist das bloß für eine Zeit, in der wir leben?”

Um deren Bedeutungsschwere zu unterstreichen, ergänzt man sie gerne noch um die Feststellung: “Früher war das alles ganz anders.”

Eigentlich ließe sich die Frage ja rasch beantworten – mit dem Satz: “Wir leben im Informations-Zeitalter.” Aber das wäre doch sehr schade, weil man dann nicht mehr ausgiebig darüber nachdenken könnte, während man Rotwein trinkt.

Der Strand nun, an dem derzeit besonders intensiv nachgedacht wird, gehört zu einem winzigen kroatischen Fischerdorf. Nur auf Karten mit sehr kleinem Maßstab ist es verzeichnet. Und selbst auf Google Earth kann man von dem Dorf kaum etwas erkennen, weil lediglich niedrig auflösende Satellitenbilder von dieser entlegenen Gegend existieren.

Einer der Fischer hat angebaut und in dem Anbau Ferien-Appartements eingerichtet. Touristen würden mehr abwerfen als Fische, sagt er, wenn auch in anderen, höflicher gewählten Worten. Unter einem mächtigen Baum vor seinem Haus, direkt am Strand, hat er Tische und Stühle aufgestellt und verkauft Rotwein an die, die dort verweilen.

Das Dorf eignet sich besonders, um über die Informationsgesellschaft nachzudenken, weil es als davon so völlig unberührt erscheint. Es ist einer der wenigen Orte in Europa, wo man nicht einmal die Bild-, geschweige denn eine richtige deutsche – oder englische – Zeitung bekommt.

Das Fernsehen ist kroatisch. Das Radio wär’s wohl auch, wenn’s eins gäb’.

“Was wäre…?”, so fragt man sich im Schatten des mächtigen Baumes am Strand. Was wäre, wenn man an diesem abgelegenen Ort Informationen über ein völlig abseitiges Thema benötigen würde? Beispielsweise über den Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden der sächsischen Grünen Antje Hermenau von dieser Woche, Frauen grundsätzlich niedriger zu besteuern als Männer.

Um möglichst wenig an den Fiskus abführen zu müssen, wählten Ehepaare meist die Steuerklasse III für den Mann und V für die Frau. Das ist günstiger fürs Familieneinkommen als Klasse IV für beide. Psychologisch aber sei das verheerend, argumentiert Hermenau. Weil Ehefrauen so nur sehr viel weniger in die Haushaltskasse tun könnten als ihre hochbezahlten und niedrig besteuerten Gatten. Diese Art, Steuern zu sparen, sei ganz schlecht fürs weibliche Selbstbewusstein.

Deshalb fordert sie – unabhängig vom Familienstatus – geschlechtsspezifische Steuertarife. Frauen sollten weniger bezahlen und Männer mehr. Und die Bild-Zeitung hat gleich mehrere weibliche Führungskräfte aufgetan, die das unterstützen.

Jeder, der einen Internetzugang hat, kann zwar ganz einfach bei Wikipedia nachschlagen, dass dem das Gleichheitsgebot aus Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland entgegenstünde, welches seit dem 3. Oktober 1990 auch im Freistaat Sachsen gilt. – Letzteres steht ebenfalls in Wikipedia. – Aber die Grüne sagt, ihre Vorstellungen seien auch nicht “grundgesetzwidriger” als der gegenwärtige Zustand.

Ein derart exquisites Attribut hat sie sich für ihren Vorschlag ausgedacht! Den Komparativ von “grundgesetzwidrig”. Auf Google kann man die Exklusivität dieses Begriffs überprüfen: Auf keiner einzigen Web-Seite findet die mächtige Suchmaschine dieses einzigartige sprachliche Konstrukt.

Bei so viel fiskalpolitischer und vor allem verbaler Innovationsfreude, fragt man sich natürlich auch gleich, ob es denn eine Partei gibt, aus deren Reihen noch “grundgesetzwidrigere” Vorschläge kommen als aus jenen der ehemals alternativen und jetzt etablierten Öko-Partei.

Dass da doch was war, dessen ist man sich im Schatten des mächtigen Baums am Strand gewiss. Man müsste vielleicht mal bei Google suchen…

Genau, vor zwei Jahren war’s, da haben Rainer Eppelmann (CDU), Wolfgang Thierse (SPD), Cornelia Pieper (FDP), Antje Vollmer (Grüne) und etliche ihrer jeweiligen Parteifreunde vorgeschlagen, man solle doch die Sache mit dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht (Art. 38, Absatz 1, GG) endlich aufgeben und statt dessen pro Kind bei jeder Wahl jedem Elternteil eine halbe Stimme zusätzlich zugestehen.

Das klappt übrigens erstaunlich gut. Nein, natürlich nicht der Quatsch mit dem Elternwahlrecht oder der Frauensteuerklasse. Die Sache mit  Wikipedia und Google, die Informationsgesellschaft funktioniert sehr gut. Sogar an völlig abseits gelegenen Adria-Stränden.

Ein WLAN hat der Fischer für seine Feriengäste eingerichtet. Das reicht bis unter den mächtigen Baum am Strand. Dort kann man beim Rotwein-Trinken denn auch mit seinem Laptop im Web surfen. Und genau das ist es doch wohl, was das Informations-Zeitalter ausmacht, dass man egal zu welchem Unsinn auch immer sämtliche nur erdenklichen Informationen jederzeit und überall bekommt.

Wirklich prächtig ist der Informationsfluss. Nur bei denen, die die Themen machen, da besteht halt noch Optimierungsbedarf.

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