Das Web 2.0 zwingt Unternehmen zum Dialog

Wikis, Blogs und multimediale Content-Sharing-Plattformen wie ‘Flickr’ und ‘YouTube’ haben die Verhältnisse im World Wide Web stark verändert. Neu ist: Der User wird zum eigenständigen Produzenten von Web-Inhalten und wird so zum potentiellen Wettbewerber ‘traditioneller’ Anbieter, sprich: Medien, und im weiteren Sinne auch von Unternehmen. Außerdem: Der User orientiert sich bei seinen Kaufentscheidungen mehr und mehr an dem, was er von seiner vertrauenswürdigsten Quelle erfährt: seinem ‘Peer’, also einem Gleichgesinnten oder Ebenbürtigen.

Auf diese Veränderungen muss ein Unternehmen heute reagieren. Das bedeutet: Es muss sich selbst im Sinne eines ‘Unternehmens 2.0’ positionieren – inklusive eines Upgrades der Unternehmenskultur: weg vom streng geregelten Umgang miteinander und der auf Hochglanz polierten Außendarstellung, hin zu einer fehlertoleranten, dialogorientierten und offenen Kultur, innen wie außen. Wie das konkret aussehen kann, darin versuchen sich Unternehmen derzeit schon. IBM etwa veranstaltet eine Art ‘Jam Session’ für 330.000 Mitarbeiter in einem Chat-Room, in dem sie ihre Gedanken zur Zukunft des Unternehmens zum Besten geben können. Außerdem arbeitet Big Blue an und mit Anwendungen zur Realisierung eines Business-Pendants zu ‘MySpace’ oder ‘StudiVZ’.

Aber Web-2.0-Tools verhelfen nicht nur zur Veränderung der Unternehmenskultur. Laut dem Report ‘Web 2.0 in Unternehmen’ des Analyse- und Beratungshauses Berlecon profitieren Unternehmen vom Einsatz der Web-2.0-Technologien in der Kommunikation, im Wissensmanagement und in der internen Zusammenarbeit. Jedoch steckt diese Art der Web-2.0-Sozialisation noch in ihren Anfängen, viele Unternehmen üben sich noch in skeptischer Zurückhaltung.

Am Ende des Monologs

Diese Zurückhaltung kann sich ein Unternehmen jedoch beim direkten Umgang mit dem Social-Web-geschulten Kunden als Peer nicht mehr leisten. Hier ist schnelles Reagieren gefragt, sonst droht die Abwanderung zum Wettbewerber – der ist auf der Linkliste auf dem Browser buchstäblich nur noch einen Mausklick entfernt.

Was hat sich dadurch im Verhältnis zum Kunden geändert? Vor allem haben Formen der Mundpropaganda stark an Einfluss gewonnen: Der Kunde kauft wieder zunehmend das, was ihm Freunde, Gleichgesinnte, Meinungsträger ans Herz legen. Im Grunde war das schon immer so, jedoch verstärken die Organisations- und Dialogmöglichkeiten des Web 2.0 diese Tendenzen. Wie früher die Scharen zum Stand mit den billigsten Bananen oder besten Birnen gezogen sind, weil es sich herumgesprochen hat, so surfen die ‘E-Konsumenten’ zu den Websites mit den besten Online-Empfehlungen. Das stärkt die Position der Kunden und bedarf einer neuen Ansprache – auf gleicher Augenhöhe.

Für das Marketing bedeutet das einen Paradigmenwechsel weg vom ‘Push’- und hin zum ‘Pull’-Prinzip: Nicht mehr die eingleisige, monologisierende Massenansprache einer mehr oder weniger anonymen Klientel führt zum Erfolg, sondern der individuelle, auf die genauen Bedürfnisse ausgerichtete Dialog mit dem Kunden über vielerlei verschiedene Medienkanäle.

Marketing und IT ziehen an einem Strang

Die Unternehmen scheinen zu begreifen und reagieren – und zwar durch eine massive Erhöhung des Online-Marketing-Budgets. Laut dem Branchenverband Bitkom stiegen die Ausgaben hierzu im ersten Quartal um 45 Prozent. Aber das allein wird nicht ausreichen. Um den Dialog mit dem Kunden aufnehmen zu können, müssen Unternehmen lernen, die vielfach fragmentierten Medienkanäle verknüpft zu nutzen sowie neue Kanäle zum Kunden aufzubauen. Um das zu erreichen, müssen jedoch zunächst zwei Bereiche den Schulterschluss üben, die bislang zumeist ganze Stockwerke getrennt waren: IT und Marketing.

Um mit dem Kunden individuell und kompetent in den Dialog zu treten, benötigen Marketing-Verantwortliche heute mehr und genauere Daten über ihre Kunden. Auch müssen diese schneller ausgewertet werden und rasch in kundenspezifische Angebote umgemünzt werden. Hier steckt ja eine der Chancen des Web 2.0 für Unternehmen: Nie zuvor gab es so viele Informationen über Kundenbedürfnisse und -verhalten, als sie die Ratings, Listen, Online-Rezensionen, Kommentare, Blogs und Link-Listen des Social Web bieten. Die Frage ist nur, wie diese Informationen intelligent genutzt werden können.

Ohne die Unterstützung durch die IT-Abteilung ist das nicht möglich. Allerdings haben das laut einer gemeinsamen Studie der Kellogg School of Management und der Unternehmensberatung Sapient 70 Prozent der Unternehmen noch nicht erkannt. So hoch ist der Prozentsatz derjenigen, die noch keine modernen Technologie- und Analyse-Tools nutzen, um Marketingmaßnahmen zu entwickeln und online zu begleiten.

Schneller und individueller

Vor allem in den Disziplinen Kundeninformationsanalyse, Kundenerlebnis und Reaktionsgeschwindigkeit benötigt die Marketingabteilung dringend technische Unterstützung durch die IT-Abteilung. Ersteres ruft Business Intelligence auf den Plan und umfasst die Informationsbeschaffung und deren Auswertung: Die IT muss zum einen den Informationshunger des Marketings kreativ zu stillen wissen, sei es durch das Nachspüren von Klickverhalten auf der Website, durch Kundenkartenprogramme, E-Commerce-Daten oder sonstiger strukturierter und unstrukturierter Informationen aus diversen Web 2.0-Medienkanälen. Zum anderen muss die IT Lösungen bereitstellen, die eine schnelle Auswertung der Daten ermöglicht und dafür sorgen, dass daraus resultierende Maßnahmen wieder ihren Weg ins Netz und zum Kunden finden. Abschließend sollten unbedingt Methoden genutzt werden, den ROI der Maßnahme zu testen.

Darüber hinaus ist die IT maßgeblich an der Einlösung des uralten Marketing-Versprechens vom König Kunden beteiligt – wenigstens, was dessen Erlebnis im Online-Bereich betrifft. Sie hat dafür Sorge zu tragen, dass der Kunde sich an jedem einzelnen Kontaktpunkt mit dem Unternehmen individuell und ernst genommen fühlt, dies zum Beispiel durch Bereitstellung von Account-Infos online und möglichst unkompliziert, dabei aber sicher, freie Servicenummern oder Möglichkeiten, wo er seine Meinung hinterlassen kann, Angebote bewerten darf und mit anderen Kunden ins Gespräch kommen kann.

Und schließlich – und mit allem bisher gesagten einhergehend: Die IT muss mit einem enormen, dabei wachsendem Flexibilitätsbedürfnis des Marketings rechnen und in der Architektur abbilden. Dies betrifft vor allem die Bereiche Database und Content-Systeme – für die Informationsauswertung und Bereitstellung; Mobilität – für das Erlebnis des zunehmend mobilen Kunden; Sicherheit – für die Gewährleistung sicherer Transaktionen bei aller Offenheit der Interaktionen.

Halbierte Produktzyklen

Eine der wichtigsten IT-Tugenden ist dabei heute die Anpassungs-Geschwindigkeit der Systeme (time to market). Tempo zählt dabei nicht nur in der Kommunikation mit dem Kunden, sondern auch in den Transaktionen und im Servicebereich, ja selbst in der Produktentwicklung. Laut der genannten Kellogg-Studie haben sich Marktreife-Zyklen in den letzten Jahren geradezu halbiert, immer häufiger werden Neuheiten ‘on the fly’ durch den Kunden getestet und blitzschnell entschieden, was geht und was nicht.

Web 2.0 mag für viele nach einem neuen Buzzword klingen – trotz allem markiert es eine einschneidende Veränderung. Dieser wird ein Unternehmen kaum gerecht, indem es lediglich ein stylishes CEO-Blog unterhält, in dem fade Binsenweisheiten zum Besten gegeben werden. Mit Intelligenz und Technologie angegangen und der Bereitschaft, den Kunden wirklich mitmachen zu lassen, eröffnet es jedoch jede Menge neue Chancen – für den Kunden und das Unternehmen.

Silicon-Redaktion

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