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Blonde Matrizes

Aber die Leute mochten ihnen nicht so recht glauben. Sie waren gerade mal bereit, ob ihrer Visionen ein klein wenig wohlig zu erschaudern – nachdem sie sich in die Kinosessel hatten fallen lassen. Über die KI in “Matrix” etwa, die sich Menschen als lebende Batterien hielt.

Jetzt aber gibt es ein derartiges IT-System tatsächlich. Ein Stück Malware, das diese Bezeichnung wirklich verdient. Es manipuliert seine Opfer vollständig, verwandelt sie in willenlose Werkzeuge und bringt sie so dazu, ohne aufzumucken, stumpfsinnigste Arbeiten zu erledigen.

Und das Fieseste: Gefährdet ist fast ausschließlich das vermeintlich starke Geschlecht. Captcha Breaker heißt das IT-System, benannt nach der Sklavenarbeit, die es die Geschundenen zu verrichten zwingt.

Captchas (Completely Automated Public Turing Test to tell Computers and Humans Apart) sind diese entstellten Buchstaben und Zahlen, die man entziffern und eintippen muss, wenn man sich beispielsweise bei Yahoo ein Postfach anlegen will. Damit lassen sich Mensch und Computer unterscheiden. Denn nur Menschen tun so etwas, Zeichen, die jemand absichtlich unleserlich gemacht hat, wieder in Klarschrift eingeben.

Captchas aufzulösen, ist nervig, aber notwendig als Schutz vor der Macht bösartiger Software-Systeme. Damit wird verhindert, dass Spam-Programme sich automatisch E-Mail-Adressen anlegen können.

Der Captcha Breaker jedoch missbraucht dafür Surfer, die er zuvor ihres freien Willens beraubt und in eine Art Matrix gesperrt hat – wie im Film. Diese Matrix besteht aus einer blonden Pixel-Frau auf dem Bildschirm, welche für jeden verarbeiteten Captcha ein Kleidungsstück ablegt.

Wer der finsteren Macht völlig verfällt und ihr ganz viele entschlüsselte Captchas liefert, der wird also belohnt. Allerdings ist diese Belohung nur Teil jener virtuellen Welt, die diese Macht den Captcha-Sklaven vorspiegelt – wie im Matrix-Film halt.

Die Rolle des Neo – so hieß der Held in dem Streifen – haben in der Wirklichkeit Viren-Experten von Trend Micro und Panda Software eingenommen. Sie sind dem digitale Ausbeutersystem auf die Spur gekommen. – Es ist erschütternd, mit anzuschauen, wie aus einem cineastischen Horror Wirklichkeit wird.

Aber eigentlich ist der Trick ja genau so alt wie wirksam. Schon immer ziehen sich Menschen verschiedenen Geschlechts unwiderstehlich an, werden willenlos und sind dann in einer schönen virtuellen Welt gefangen, die von einem Standpunkt der wirklichen aus betrachtet, überhaupt nicht existieren kann.

Männliche Weltenwanderer etwa übersehen dabei grundsätzlich, dass Frauen ganz andere Menschen sind, die Männer überhaupt nicht verstehen können – selbst wenn sie’s wollten. Frauen übrigens behaupten Entsprechendes auch von Männern, was aber nicht stimmt.

Dass Frauen und Männer von einander gefesselt sind und sich gegenseitig in den Bann ziehen, führt manchmal sogar dazu, dass sie Nachwuchs zeugen und das unheimliche Spiel in die nächste Generation verlängern. Das ist so ein Kniff, den die Natur sich ausgedacht hat. – Ja, Social Engineering ist beileibe keine Erfindung irgendwelcher Hacker.

Selbstverständlich sind auch die Marketing-Leute schon drauf gekommen, dass man Männer am einfachsten mit Hilfe von Frauen zu unüberlegten Handlungen verleiteten kann, die von Hewlett-Packard beispielsweise. Das ist dieser Hersteller von Spezial-Chemikalien.

Oft wird HP auch als größter IT-Konzern bezeichnet. Aber das ist falsch. In Wahrheit nämlich macht er vor allem mit Druckertinte Geld. Und seine Fotomaterialien und andere Allerweltsartikel lässt er neuerdings eine Frau Namens Gwen Stefani an den Mann bringen.

Dank einer anderen Chemikalie, dem Wasserstoffperoxid, sieht die in der HP-Reklame ein wenig so aus wie Marilyn Monroe. Das wirkt!

Oder Vanessa Hessler, die junge Frau, die sich immer ein bisschen zu dem Fotographen herunterbeugt, der sie knipst, damit man einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté bekommt. Ohne sie würde kein Mensch Hansenet kennen, die langweilige Firma, die sie bezahlt. Aber jedermann kennt Alice.

In der bundesdeutschen Politik schickte als erste die CDU hübsche Frauen zum Männer und Wähler-Angeln. “Komm heraus aus der linken Ecke!” droht in den 70ern ein Mädchen mit Boxhandschuhen. Das heißt: Allzu bedrohlich sah sie eigentlich nicht aus.

Heute wirbt die Junge Union mit: “jung, schwarz, sexy”. Diesen Slogan lässt sie auf String-Tangas drucken. – Ja, das sind sicherlich knackigere Hüften, die darin knapp verpackt werden, als jene, denen der Vorsitzende Philipp Mißfelder die künstlichen Gelenke verweigern will, weil es sich aus Altersgründen nicht mehr lohne.

Die SPD hatte es auch einmal mit Sex versucht. Zur Frankfurter Kommunalwahl 2006 setzte sie eine Zeichentrick-Kuh mit Strapsgürtel ein. Der war in dem Werbespot erst grün, dann schwarz, und die Botschaft schließlich lautete: “Probier’s doch mal mit rot!”

Das beobachtet man bei dieser Partei schon seit Jahren. Immer kopiert sie andere und kann nicht einmal das richtig. Ergebnis in Frankfurt letztes Jahr: 24,0 Prozent.

Sehr viel professioneller geht da die FDP ihre Vermarktung an. Für die schrieben die Europaabgeordnete und -lobbyistin Silvana Koch-Mehrin und der Vorsitzende Guido Westerwelle im ansonsten eher nicht textlastigen Blatt “Praline” Kolumnen.

Und bei der vorletzten Bundestagswahl warb Dolly Buster für die deutschen Liberalen: “Denken auch Sie drei mal am Tag an 6? Dann denken Sie doch lieber gleich an die 18. Denn 18 Prozent sind das Ziel der FDP bei(m) Bundestagswahlkampf.”

Die FDP ist ja die Partei der Freiheit. Jeder soll die ihm zustehende bekommen – Steuerfreiheit für die einen, Tarif- und Sozialversicherungsfreiheit für die anderen. Weil aber die einen nicht so viele sind und deshalb auch die anderen diese Partei wählen sollen, darf sie bei der Wahl ihrer Argumente nicht zimperlich sein.

Ach ja, wenn man sich anschaut, wozu man mit diesem alten Trick sonst noch verleitet werden soll, dann kommt man zu dem Schluss: Eigentlich ist dieser Captcha Breaker doch ziemlich harmloses Stück digitales Ungeziefer.

Silicon-Redaktion

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