In einem Chat(!) hat der GDL-Vorsitzende Manfred Schell Sonntagnacht ein Gesprächsangebot des Bahn-Vorstands Margret Suckale angenommen, das die ihm zuvor in einer Talk-Show(!) unterbreitet hatte: Lohnfindung als Infotainment.
Die Wochen davor war’s nicht so unterhaltsam zugegangen. Da hatte die Bahn angekündigt, die Lokführer auf Schadenersatz in Millionenhöhe zu verklagen. Und des Spruchs eines Landesarbeitsgerichts hatte es bedurft, um festzuhalten, dass Streiks in Deutschland wirklich zulässig sind. Aber bei Anne Will plauderte es sich dann doch ganz locker.
Wie sie denn ihr eigenes hohes Gehalt rechtfertigen könne, wo sie doch bei den Lokführern so knauserig sei, wollte die Moderatorin vom Bahn-Personalvorstand Suckale wissen. Ihr Einkommen bestünde zu einem Großteil aus flexiblen, leistungsbezogenen Komponenten, plapperte sich jene über die Frage hinweg, die einem feinfühligen Menschen hätte peinlich sein können. Und derartiges wolle sie auch für die gesamte Belegschaft.
Das darf man jetzt aber nicht fehlinterpretieren: Margret Suckale (Jahreseinkommen laut Bahn-Geschäftsbericht: 1,716 Millionen Euro) will die 31-prozentige Lohnforderung der Lokführer (durchschnittliches Jahreseinkommen laut Bahn-Gutachten: rund 32.000 Euro) keineswegs mit einem 5200-prozentigen Angebot kontern.
Arbeiten, die so einfach sind, dass ihre Nützlichkeit sich unmittelbar einem jeden erschließt, wie das Fahren von Lokomotiven oder das Zustellen von Briefen, werden heute schließlich generell nicht mehr so gut entlohnt. Wer viel verdienen will, der muss schon in der Lage sein, wahre Kunststückchen hinzulegen – wie Margret Suckale.
Die sprachliche Hütchenspielerin hat aber auch alle Tricks drauf. Virtuos jongliert sie mit den beiden Zauberwörtern, die man zur Beschwörung des Zeitgeists braucht: Flexibilität und Leistung. Und schon schwirrt dem Zuschauer so der Kopf, dass er ob der geschmeidig formulierten Weigerung zu antworten, die Frage vergessen hat.
Ja, wer so etwas kann, der verdient heute viel mehr als ein Lokführer. So viel, wie Suckale bekommt, war früher für einen Bahn-Bediensteten nicht drin. Und Suckales Chef Hartmut Mehdorn bekommt mit 3,184 Millionen Euro im letzten Jahr sogar das Hundertfache von einem, der es bloß mit Lokomotiven und Fahrgästen zu tun hat. Und irgendwo muss dieses Geld halt herkommen.
Deswegen gehört es auch zu den am besten bezahlten Jobs heutzutage, als jemand, der viel verdient, anderen, die wenig verdienen, zu erklären, dass das am besten so für sie ist. Und dass es allenfalls ein klein wenig besser für sie sein könnte, wenn sie noch weniger bekommen würden.
Der unangefochtene Meister in dieser – der Königsdisziplin des lohnpolitischen Hütchenspiels ist Florian Gerster. Der ist noch besser als Margret Suckale. Und er kennt natürlich ebenfalls die beiden zeitgeistigen Zauberwörter Flexibilität und Leistung.
Bekannt geworden ist er als Chef der Nürnberger BA. Dort war er der erste, der sich flexibel, also nicht nach Beamtenrecht, bezahlen ließ. Will sagen: Er leistete sich in etwa das doppelte Gehalt seines Vorgängers.
Heute dürfte er noch etwas mehr verdienen, weil sein neuer Job darin besteht, ein ganz besonderes Kunststückchen zu vollbringen. Als Präsident des AGV neue BUZ (Arbeitgeberverband neue Brief- und Zustelldienste) erklärt der ehemalige oberste Bundesarbeitsagent den Leuten aus dem baffen Prekariat, warum Mindestlöhne schlimm für sie wären.
Damit ist er durchaus erfolgreich. Am 11. Oktober kündigte er es in der Bild-Zeitung an: “Nicht auszuschließen, dass es dieser Tage zu einer Gewerkschaftsgründung kommt.” Und am nächsten Tag gründete sie sich dann tatsächlich, die GNBZ (Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste). Deren wichtigste Forderung lautet: “bezahlbare Löhne”.
Die besten Geschichten schreibt halt das Leben. Und das gilt nicht nur für die Sach-, sondern auch für die Lachgeschichten.
Und heute Abend geht das Infotainment weiter: Auf der Internet-Plattform Dol2Day gibt’s einen Chat zum Thema Mindestlohn.
Das ist übrigens eine sehr klug gemachte Site. Um was es dort geht, nennt sich ‘Bimbes‘.
Die Betreiber erläutern auch, was sich dahinter verbirgt: “Bimbes (ein Begriff, den manche Politiker als Synonym für Geld benutzen) ist die Währung bei Dol2Day. Du verdienst Bimbes, indem du dich aktiv am Spiel beteiligst.”
Stimmt! Nur so kommt man zu Bimbes: indem man das Spiel macht. Nicht, indem man Lokomotiven fährt oder Briefe austrägt.
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