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Besinnliches zum Crash

Bloß nicht die USB-Disk Nummer 2. Auf der ist ein mühevoll geschnittenes, 462 Gigabyte großes Filmarchiv abgespeichert. Dafür soll jetzt auf der USB-Disk 1 ein Backup angelegt werden, wozu jene erst einmal formatiert werden muss.

Also: ok. – Er formatiere die Disk 1, gibt der NAS-Server daraufhin kund. Und dieser Vorgang könne jetzt nicht mehr abgebrochen werden.

Von den Minuten, die jener Vorgang dauert, handelt dieser Wochenrückblick. Denn solche Minuten gehören zu den längsten und intellektuell reichsten, die im Leben eines Users existieren.

Ein wahres Stakkato von existentiellen Fragen und grundlegenden Erkenntnissen, die ihn aber derzeit allesamt überhaupt nicht interessieren, schafft sich in seinem Großhirn Raum.

Die erste Frage mag etwas vulgär formuliert erscheinen. Aber es ist die Frage aller Fragen. Sie löst jene Adrenalin-Sturmflut aus, die es dem User erlaubt, in kürzester Zeit in alle Gebiete einzudringen, auf denen der menschliche Geist Großes hervorgebracht hat: Philosophie, Literatur, Informatik.

Die Frage lautet: “Formatiert dieses blöde Ding jetzt wirklich die USB-Disk 1? Oder meint es mit ‘Disk 1’ etwa die interne Platte? – Dort sind Buchführungsdateien, O-Töne fürs Radio, fertig produzierte Sendungen, Artikel und etliche andere unersetzbare Files gespeichert.

Die Frage bleibt zunächst unbeantwortet. – Der NAS ist ja mit dem Formatieren noch nicht fertig. -Statt dessen trifft der User die Basis-Entscheidung allen Philosophierens: Optimist oder Pessimist?

Gottfried Wilhelm Leibniz war überzeugt davon, dass wir in “der besten aller möglichen Welten” leben. Arthur Schopenhauer wiederum hielt dem entgegen: “Alles Leben ist Leiden”.

Der User erkennt in diesen geistig so anregenden Minuten, dass er eher der schopenhauerschen Sicht der Dinge zuneigt. Zwei Monate liegt das letzte Backup zurück. All die Mühe, die er unterdessen für das Erstellen und Sortieren von Dateien verwandt hat, wäre demnach vergebens gewesen.

Es ist doch… Ja, schon, das auch. Aber es ist ebenfalls das zentrale Motiv barocker Lyrik: die Vanitas, die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens.

Sehr schön kommt dies in den Gedichten von Andreas Gryphius zum Ausdruck:
“Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz kein Marmorstein.”

Und erst recht keine ungesicherten Files. Dabei ist Datensicherung doch eigentlich ganz einfach. Nur die Konsequenzen aus vier entscheidenden Erkenntnissen gilt es dabei zu ziehen:

1. Dateien werden vorzugsweise dann gecrasht, wenn man versucht, welche zu sichern.

2. Der tatsächliche Zeitraum vom letzten Backup bis zur Gegenwart ist stets ein hohes Vielfaches desselben Zeitraums, wie er sich im Bewusstsein des Users darstellt.

3. Eine Backup-Strategie muss mit demselben Nachdruck umgesetzt werden wie dem, mit dem sie entwickelt wird. Letzteres geschieht stets in Zeiten, die den Minuten gleichen, während der gerade eine ungesicherte Festplatte formatiert wird.

4. Konsequenzen aus Datencrashes werden der Einfachheit halber ausschließlich in der Theorie gezogen.

Derweil ist die Formatierung abgeschlossen. Es war natürlich die interne Platte, die mit den ungesicherten Daten. Gryphius und Schopenhauer! Als User weiß man halt, dass nur ein dunkles Weltbild die Wahrheit bergen kann.

Wie viele User pro Tag sich wohl schwören, künftig ordentlich Backups zu fahren? – Exakt so viele wie jene, die diesen Vorsatz gleich wieder vergessen.

Auch dies ist ein philosophisches Paradigma:
Friedrich Nietzsche – die ewige Wiederkehr des Gleichen. Der große Denker bestritt, dass es sowas wie Fortschritt geben kann. Und zumindest was den User anbelangt, stimmt das ja.

Aber den treiben jetzt andere Gedanken um: Dutzende von Dateien müssen aus irgendwelchen Caches rekonstruiert, Buchungssätze nachgetragen, bereits veröffentlichte Artikel aus dem Internet herunter geladen werden.

Da stellt man sich halt schon die Frage nach dem Sinn des Ganzen, wenn sowas immer wieder passiert.

Und damit ist man dann bei den Existentialisten.

Albert Camus sieht den Sinn der menschlichen Existenz in der Bejahung von deren Tragik und der Überwindung selbiger durch Pflichterfüllung. Und im ‘Mythe de Sisyphe’ schreibt er über diese tragische Gestalt, die immer und immer wieder die gleiche, ganz offensichtlich unlösbare Aufgabe zu erledigen sucht: “Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.”

Noch ‘ne Erkenntnis: Dieser Camus, der hat nie einen Computer gehabt.

Silicon-Redaktion

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