Und wieder mal kräht kein Hahn
Eine der schönsten Stellen in der Heiligen Schrift ist jene, bevor dieser Hahn kräht.
Petrus, der, dessen späteren Job heute unser Landsmann Joseph Ratzinger erledigt, hat gerade den Heiland zum zweiten Mal verleugnet, da sagen einige Umstehende: “Wahrlich du bist auch einer von denen. Denn deine Sprache verrät dich” (Matthäus Kap. 26, Vers 73). Petrus versucht, sich noch einmal rauszuwinden. Und dann kräht jener Hahn. Das ist schon dramatisch! Aber auch Klasse – wie einem dieses Buch so en passant Wahrheiten unter die Nase reibt: Sprache ist verräterisch! Und das gilt auch heute noch.
Wenn man etwa über das Web seinen Internet-Account umstellen möchte, dann teilt einem ein Unternehmen, das ansonsten mit dem Slogan “Hallo Zukunft” wirbt, ganz antiquiert mit: “Halten Sie Ihre X-Online Zugangsdaten bereit – X-Online-eMail Adresse und X-Online Passwort oder X-Online Nummer und persönliches Kennwort.”
Jene X-Online Nummer wiederum – das muss man natürlich wissen – ist Teil des Benutzernamens, mit dem man sich ins Internet einwählt, nebst, “Anschlusskennung” und “Mitbenutzernummer/Suffix”. Da merkt man doch gleich, dass man es mit einem Konzern zu tun hat, dessen Unternehmenskultur fest auf Aktenzeichen und Dienstanweisungen ruht.
Wer das mit den Nummern dennoch hinbekommen hat, der erhält dann einen Brief, in dem er aufgeklärt wird, dass es sich im Falle von “Ä” um eine “Änderungsart”, im Fall von “W” um den “Wegfall” und bei “Z” um einen “Zugang” handelt. Menschen, die sich kein “X” für ein “T” vormachen lassen, wissen spätestens jetzt, dass es sich unverändert um eine Fernmeldebehörde handelt, die da zugange ist.
Die graue Post eben, die sich jetzt pink gibt, was aber nichts nützt. Denn: “Deine Sprache verrät dich.”
Und so hält sie es auch bei den verschiedenen Berufsgruppen. Wer einem anständigen Broterwerb nachgeht und die Arbeitsstelle gewechselt hat, der wird vielleicht sagen: “Nö, in meinen alten Job geh’ ich nimmer.”
Aus einer anderen Berufsgruppe wird man einen so uneitel formulierten Satz nie hören. Dort teilt man, bei allem, was man von sich gibt, vor allem mit, was für ein konsequenter und charakterfester Typ man doch ist.
“Eine Rückkehr… wird’s mit mir nicht geben”, kleidete im letzten Jahr ein besonders typischer Vertreter jener Spezies diesen eigentlich doch schlichten Sachverhalt in starke Worte. Ex-Außenminister Joseph Fischer stellte damals gerade sein Buch vor und erklärte anlässlich dessen, dass er nicht mehr in die Politik geht.
Oder diese Woche: das Drei-Königs-Treffen der FDP. – Weil jene Partei sich immer zu diesem Termin versammelt, weiß man übrigens auch, warum es besser ist, die drei Astrologen, die seinerzeit Bethlehem aufsuchten, als “Könige” und nicht – wie es von der Sache her angemessener wäre – als “Weise” zu bezeichnen. Sonst müsste man ja auch vom Drei-Weisen-Treffen der FDP sprechen. Und würde ja überhaupt nicht passen.
Der ehemalige Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt nun hatte im Vorfeld des diesjährigen Treffens seinen Nachfolger Guido Westerwelle heftig kritisiert, und die Öffentlichkeit war gespannt, wie jener darauf reagieren würde. Westerwelle allerdings äußerte sich nicht. – Das aber nachdrücklich.
“Ich will das hier mal ausdrücklich sagen”, rief er bei seiner Parteitagsrede, “und zwar ausdrücklich, weil Wolfgang Gerhardt hier ist. Um es ganz klar hier jetzt zu sagen…” Und dann sagte er nichts. – Beziehungsweise: “Ich bin mal in die FDP eingetreten, weil man dort diskutieren kann.”
Ja, und? fragt man sich da doch. Warum tut er’s dann nicht? Das wäre doch auch für’s Publikum interessant, zu erfahren, warum einer aus einer liberalen Partei den militanten Arm des Bunds der Steuerzahler gemacht hat. Aber es hatte nicht sollen sein.
Daran kann man übrigens auch die politischen Parteien in Deutschland, die sich ansonsten immer ähnlicher werden, noch unterscheiden. Wenn der FDP-Vorsitzende nichts sagt, so geschieht dies – wie am Wochenende in Stuttgart “ausdrücklich” und “klar”.
Für die SPD wiederum war Alt-Bundeskanzler Schröder stilprägend. Auch der vermied es, sich in Reden und Interviews allzu konkret zu äußern, weil er sich damit ja bloß inhaltlich festgelegt hätte. Dafür aber fuhr er nach Nicht-Aussagen, die er für besonders gelungen hielt, gerne fort mit: “Ich sage es noch einmal…”
Etwas, was wiederholt wird, wirkt nämlich besonders glaubhaft. Das haben Psychologen der Virginia Tech in Blacksburg herausgefunden (Journal of Personality and Social Psychology, Bd. 92, 2007, Seite 821). In besagtem Fall allerdings war es dann wohl doch anders.
Und der unangefochtene Meister der Bekräftigung ist natürlich Ganz-Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Der sagte während seiner Amtszeit alles und nichts – vor allem letzteres – mit “Entschlossenheit”, “Entschiedenheit” und “Stolz”.
Ach ja, man fühlt sich halt immer ein wenig verraten und verkauft, wenn man diesen Leuten zuhört. Oder besser: veräppelt. Eigentlich könnte da ruhig mal dieses Federvieh lautgeben.
Nicht so, wenn man ob seiner Zugangsdaten und der Formschreiben seines Internet-Service-Providers verzweifelt. Denn das ist so “klar”, dass man es nicht einmal “ausdrücklich” sagen muss: Nach Kunden, die schon unterschrieben haben, kräht nun mal wirklich kein Hahn mehr.