Dabei liegt das Problem meist weniger in der Sache selbst, die nicht mehr erhältlich ist oder existiert. Vielmehr ist man in solchen Fällen häufig quasi pars pro toto bestürzt – und trauert um eine abgelaufene Ära.
Nur so ist ja auch die Ostalgie erklärbar, die in jenem Teil der Republik grassiert, der erst vor ein paar Jahren dazugekommen ist. Oder welchen Grund könnte es sonst geben, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen Club-Cola und Rotkäppchen-Sekt zu kaufen? Darauf kann man doch eigentlich getrost verzichten. Sollte man wenigstens meinen.
Und verzichten kann man natürlich auch auf die Stasi, den antiimperialistischen Schutzwall, die SED und die freiwillige Planübererfüllung. Aber Kinderkrippen und sichere Arbeitsplätze – das hatte schon was. Und da heißt’s heute eben oft: Gibt’s nicht. Bei der Frage nach einer offenen Stelle im Osten sogar noch häufiger als im Westen.
Und deshalb möchte der Ostdeutsche sich das nicht auch noch anhören müssen, wenn’s um gewohnte Genussmittel geht. Obwohl er ja grundsätzlich im Vergleich zum Westler viel härter ist im Nehmen – beziehungsweise im Nicht-Nehmen und Nicht-Bekommen.
Im Westen hat man sich schließlich über Jahrzehnte hinweg an die Omnipotenz und Kaufkraft der D-Mark gewöhnt. “Gibt’s nicht” gibt’s da nicht. Reicht nicht, schon. Das gibt’s relativ oft. Immer öfter sogar. Vieles ist unbezahlbar. Aber erhältlich ist alles. Da muss schon wirklich was passiert sein, wenn’s heißt: “Gibt’s nicht.”
Deshalb ist man ja auch richtig verstört, wenn man sowas hört. Und man hört’s – vor übervollen Regalen. Wenn man in einem dieser Computer-Megastores heute nach einem schlichten SCSI-Kabel fragt – 68 auf 68. “Gibt’s nicht mehr!” muss man sich dann von so einem arroganten Schnösel von Verkäufer aus der Plug-and-Play-Generation sagen lassen. Und nur die Anschlussfrage, ob er vielleicht einen alten Mann veräppeln will, wird er unter Umständen einiger Maßen höflich verneinen – in der Hoffnung, selbigem eventuell doch noch etwas anderes verkaufen zu können.
USB, Firewire, ATA, WLAN, Bluetooth, GSM, GPRS, DSL … sämtliche Verbindungs- und Netz-Techniken werden in diesen modernen IT-Supermärkten angeboten. Aber SCSI – gibt’s nicht mehr!
Welch Menetekel! SCSI – der Name sagt’s schon – Small Computer System Interface – das war einmal der ESCON-Kanal des kleinen Mannes. Des Powerusers. Desjenigen, der seine Maschine beherrscht hat.
Plug and Play und andere Lauheiten waren damals noch nicht erfunden. Und wenn sie’s gewesen wären, dann hätte niemand, der was auf sich gehalten hat, derartiges angefasst. Weil sich sowas einfach nicht gehört hat. Früher.
Da hat man noch händisch die IDs gejumpert, sorgfältig den Treiber für den Host-Adapter installiert und die Endgeräte ordentlich terminiert. Und wenn man einen Fehler gemacht hat, dann hat’s nicht funktioniert. Und wenn’s nicht funktioniert hat, dann war klar, dass man einen Fehler gemacht hatte. Nichts passiert schließlich ohne Grund. Das gilt auch in der IT. Damals zumindest hat das noch gegolten. Heute ist das ja anders.
Standardmäßig über einen SCSI-Anschluß haben früher auch nur die richtig guten Rechner verfügt – Workstations, Macs oder Marken-PCs. Die von Compaq beispielsweise. Gibt’s ja auch nicht mehr.
Na ja. “Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub.” (Prediger, Kapitel 3, Vers 20).
Und der PC ist aus dem Elektronik-Bastlerladen gekommen. Und er wird wieder zum Elektronik-Bastlerladen zurückkehren. Dort findet man denn auch – wenn man Glück hat – heute noch das gesuchte SCSI-Kabel. Manchmal ist es schon etwas älter. Und die Preisauszeichnung in Euro ist über die in D-Mark geklebt. (Die gibt’s ja auch nicht mehr.)
Aber immerhin. Im Reservat für Blicker und Löter kann man noch fündig werden. Ansonsten heißt’s überall: “Gibt’s nicht mehr.” Erschütternd!
Obwohl. Es sind auch Anfragen denkbar, auf die das eine sehr schöne Antwort wäre. Am besten stellt man sich dazu einen Angehörigen der weitverbreiteten Spezies der liebedienerischen Journalisten vor. Der Leute also, die ihren Interviewpartnern als Stichworte die Parolen geben, die jene selbst in die Welt gesetzt haben.
Beispielsweise könnte ein derartiger Journalist – seiner Bedeutung und der seines Interviewpartners bewusst – so zu einer Frage anheben: “Bill” – bedeutende Journalisten nennen ihre bedeutenden Interview-Partner immer beim Vornamen. Also: “Bill, der immense Schaden, der jährlich durch Raubkopien entsteht …”
Da wäre es doch wunderbar, wenn als Antwort käme: “Gibt’s nicht mehr. Wir wollen endlich auch mal ein gutes Stück Software herausbringen. Deswegen lassen wir erst einmal die Community drüberschauen. Und deshalb haben wir entschieden, unsere Produkte künftig unter der GNU-Public-License zu vertreiben.”
Oder noch besser wäre das: “Herr Bundeskanzler, die dringend notwendige Reform des Gesundheitswesens …” – “Gibt’s nicht mehr. Das haben wir doch nur so gesagt, bevor wir uns an die Ärzte-Honorare und die Gewinne der Pharma-Industrie herangetraut haben. Jetzt lassen wir den Leuten doch lieber ihre Medikamente, ihre dritten Zähne und das Krankengeld. Basta!”
Allerliebst wäre auch: “Mr. President, die Achse des Bösen …” – “Gibt’s nicht mehr. Wissen Sie, ein Hollywood-Studio. So eines, das Fantasy-Filme produziert. Das hat mir meinen Redenschreiber abgeworben. Der war’s ja, der sich solche tollen Dinge immer ausgedacht hat. Seitdem müssen wir uns halt mit der grauen Wirklichkeit befassen. Na ja, und da stellen wir eben fest, dass es in sehr vielen Staaten noch demokratische Defizite gibt, im Iran, Nord-Korea, in Kuwait, Saudi-Arabien, Liechtenstein …”
Aber: Das gibt’s wahrscheinlich nicht mehr.
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