Mobile Anwendungen brauchen viel Anlauf bis sie fliegen
Der Nutzen ist hoch, die Kosten und das nötige Know-how aber auch: Mobilität ist für Unternehmensanwendungen nur logisch eine Erweiterung, technisch ist sie Neuland.
Die Losung klingt vertraut bis abgenutzt: “Unternehmensanwendungen sollen mobil werden, und zwar als Bestandteil von Multikanalportalen.” Trotzdem sind Unternehmens-Sites, die mobile Mitarbeiter sowohl online wie offline mit der Firmen-DV arbeiten lassen oder Internet-Zugang und Datenabgleich bieten, sensationell rar.
Nach jüngsten Angaben des Marktforschungsunternehmens Meta Group setzen bis zum Jahr 2005/2006 etwa 65 bis 75 Prozent der weltweit größten Unternehmen mobile Applikationskomponenten ein. Der “Worldwide IT Benchmark Report” zeige unter anderem, dass schon im vergangenen Jahr 33 Prozent dieser Firmen ihre Ausgaben für Wireless Services gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöht hatten. Darüber hinaus erwartet die Meta Group größere Initiativen im mobilen Umfeld, wenn im nächsten und übernächsten Jahr die IT-Investitionen insgesamt steigen werden.
Die potentiellen Nutzer mobiler Lösungen sind sowohl die Mitarbeiter im Unternehmen als auch Kunden und Partner, die bevorzugten Einsatzgebiete Kunden- und Außendienst. Das mobile Büro stellt dann Funktionen für die Auftragserteilung bereit, für die Abfrage von Kunden- und Bestandsdaten sowie Spezialanwendungen für das Gesundheitswesen, die Telematik und die Erfassung von Messdaten. “Bei den meisten Komponenten wird es sich um Erweiterungen bestehender Systeme für Enterprise Ressource Planning (ERP), Vertrieb und Customer Relationship Management (CRM) handeln”, sagt Wolfram Funk, Senior Consultant bei der Meta Group.
<b>Der Nutzen kann hoch sein</b>
Nach der anfänglichen Euphorie über die Möglichkeiten dieser mobilen “Erweiterungen” macht sich allerdings Ernüchterung breit: Vielleicht handelt es sich hier doch nicht um bloße Erweiterungen sondern eher um eine ganz neue Gattung von Anwendungen. Und ein neuer Anwendungstyp kostet. “Die Firmen, die in mobile Lösungen investieren, müssen erst richtig Geld in die Hand nehmen”, bestätigen etwa Rudolf Mietzner und Arnim Liensberger, Business Consultants für Telekommunikation beim Münchner IT-Dienstleister Softlab.
Aber der große Aufwand wird unter Umständen mit viel Business-Nutzen belohnt. Können Service-Techniker oder Vertriebsmitarbeiter unterwegs ihre Routenplanung abrufen, optimieren sich nicht nur die Wege, sondern auch die Vorbereitung auf einen Termin. Lassen sich Bestellungen vor Ort aufgeben, Verträge abschließen und Terminpläne abstimmen, können Mitarbeiter wesentlich effektiver arbeiten. Letztlich sind Leistungen früher in Rechnung zu stellen und der Cashflow verschiebt sich zeitlich nach vorn.
Dazu ein Beispiel eines IBM-Partners in Hamburg: Für Signal Kontor habe IBM “eine kleine Pilotanwendung” für die Versicherungsbranche gemacht, erläutert Thorsten Gebhardt, IBM-Vertriebsbeauftragter für Wireless Software Solutions. Die Vertragsdaten für einen Versicherungsabschluss lassen sich in der Applikation offline per Handheld erfassen. Betätigt der Mitarbeiter den Button “weiter”, loggt sich der Kleinstcomputer mit Hilfe einer Telefon-Funkverbindung in das Unternehmensnetzwerk ein und überträgt die neu eingegebenen Daten. Dort kann die Versicherung etwa die Beiträge für diesen Kunden errechnen und an den Außendienst versenden. “Hier gilt die Devise: offline so lange wie möglich, online so oft wie nötig”, sagt Gebhardt. Immerhin seien die Übertragungsgebühren der Telekommunikationsanbieter derzeit noch erheblich.
<b>Mobilität fordert neue Applikationen</b>
Diese Art des formularbasierten Arbeitens zeige, dass mobile Endgeräte ein qualitativ anderes Arbeiten ermöglichen, aber auch neue Formen benötigt werden, wie der IBM-Vertriebler ausführt. Eine solche Handheld-Lösung eigne sich etwa für die Nebenerwerbsverkäufer, die nur gelegentlich Versicherungen anbieten. Davon stehen bei der Allianz rund 120.000 in der Datenbank, etwa 17.000 sind wirklich aktiv. Diese mit Laptops oder mit Tablet-PCs auszustatten, käme viel zu teuer.
Trotzdem ist für den IBM-Mann mobiles Computing primär eine Integrations- und damit eine Software- und Services-Frage, Hardware nur ein Aspekt. Zunächst müssen die richtigen Daten miteinander in Verbindung gebracht werden. So sammelt eine Sportschuhhändlerkette schon seit Jahren Handy-Nummern. Zugleich betreibt die Ladenkette ein Sportportal für Kunden, die sich dort etwa für Marathon-Wettbewerbe anmelden können. Kann die Handy-Nummer mit den Kundendaten der Interessierten verknüpft werden, ließen sich per SMS passend zum Event Angebote über neue Laufschuhe unterbreiten.
Einen Auslöser wie einen Marathon oder andere Ereignisse, könnten auch Location Based Services (LBS) liefern. Schon längst sind Carrier in der Lage durch die Funksignale eines Handys zu erkennen, in welcher Funkzelle, also in der Nähe welches Funksendemastens, sich der Träger befindet. Ist einem Service-Anbieter sowohl die Position bekannt als auch der Service, den ein Kunde wünscht oder ein Mitarbeiter braucht, kann der Anbieter oder Arbeitgeber die passenden Informationen liefern: Sucht der Handy-Kunde eine bestimmte Straße oder ein Hotel in der Nähe, bekommt er eine Wegbeschreibung zum Ziel. Sucht der Fahrer eine Baustelle, den nächsten Kunden, das richtige Tor zum Werksgelände, bekommt er nicht nur Name und Adresse, sondern auch die Wegbeschreibung von seinem Standpunkt aus. Es wird der Mitarbeiter verständigt, der am nächsten zum Zielort ist; Umwege und lange Anfahrten lassen sich vermeiden.
<b>Die Endgerätevielfalt in den Griff bekommen</b>
Die Vielfalt der möglichen Endgeräte fällt für Gebhardt unter die Begriffe Flexibilität und Anpassung. Auf kleinen Displays lässt sich nicht soviel Information auf einmal darstellen wie im Browser eines PCs. Unter Umständen müssen Bilder und grafische Darstellungen entfernt werden, Texte dürfen sich nur noch hoch und runter, aber nicht seitwärts scrollen lassen.
Versuche, seitens des Arbeitgebers nur ein Endgerät festzulegen, sind von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Handys etwa altern sehr rasch, so dass sehr schnell verschiedene Versionen und Typen im Einsatz sind. Das Notebook ist häufig ein Statussymbol, das den Chef gegenüber den Mitarbeitern auszeichnet, die vielleicht nur Handhelds bekommen. Dazu kommen die neuen Endgeräte, zum Beispiel für Techniker, die ihr Endgerät immer am Körper tragen müssen.
Deshalb gilt es, die Eigenschaften aller eingesetzten Endgeräte festzuhalten und administrierbar zu machen. Das Transcoding der Informationen, die auf verschiedenen Devices bereitgestellt werden sollen, werden dann mit Regeln verknüpft. Festgelegt wird etwa ob monochrome oder farbige Darstellung, ob mit Bildern oder ohne, welche Pixelzahl, wie viel Inhalt und welche Anwendung auf welchem Endgerät.
Meldet sich der Nutzer online an, teilt er unbemerkt in einer Header-Zeile zugleich mit, welches Endgerät er benutzt: ein Smartphone, einen PC, ein Notebook oder einen Handheld. Die Portal-Applikation übernimmt den Regeln entsprechend das Rendering und Clipping. IBM bietet hierfür übrigens den “Websphere Transcoding Publisher” an, der allerdings ab August nur noch integriert in “Websphere Everyplace Access” zu haben ist.
Im Idealfall sieht der Anwender seine Applikationen auf jedem Endgerät anders aufbereitet. Dazu gehört auch, dass Informationen gesprochen übermittelt werden können. Sinnvoll erscheint diese Form der Aufbereitung für alle Nutzer, die Hände und Sichtfeld frei haben müssen, beim Fahren beispielsweise.
<b>Offene Fragen</b>
Das Device-Management muss aber auch Aspekte der Software-Verteilung und Wartung abdecken: Wie funktionieren die Erstinstallationen, Updates und das Asset-Management? Was passiert, wenn jemand sein Gerät im Taxi vergisst? Sollen beim nächsten Anmelden alle Applikationen und Daten gelöscht werden? Wie aufwendig ist eine Reparatur? Gibt es Ersatzgeräte? Wie hoch sind insgesamt die Folgekosten einer Anschaffung? Wie generell bei Portalen müssen Fragen der Authentifizierung und Autorisierung geklärt sein, um etwa ein Single-Sign-On zu ermöglichen.
Zu den Schwierigkeiten bei mobilen Anwendungen gehört auch die Befürchtung von Mitarbeitern, stärker kontrolliert und fremdbestimmt zu werden. Solche Ängste kennt auch die Software AG, Darmstadt. Sie hat etwa den Tabakwarenhändler Tobaccoland in Österreich mit einer mobilen Lösung ausgestattet und Pilotanwendungen für das Deutsche Rote Kreuz gestrickt.
Die positiven Aspekte führen dazu, dass vielleicht die Anzahl mobiler Applikationen steigen wird. Bis aber in größerem Umfang Multikanal-Portale entstehen, in denen die Anbindung mobiler Mitarbeiter selbstverständlich ist, kann es noch dauern. Die Softlab-Mitarbeiter Mietzner und Liensberger sehen vor allem drei Bereiche, in denen sich mobile Technik am ehesten etablieren wird: “Im Finanzumfeld – da ist Zeit Geld und Mobilität ist Zeitersparnis; im Gesundheitsbereich – da wird der Nutzen nicht nur monetär gemessen; schließlich beim technischen Außendienst. Vor allem Firmen, die für die Wartung und Betrieb von Anlagen Service-Level-Agreements eingehen, brauchen ihre Spezialisten nicht überall hinschicken. Es genügt oftmals, wenn der Techniker vor Ort eine Anbindung an das Spezialwissen hat.”
Die entsprechenden Techniken entwickelten sich jedenfalls rasch, konstatiert Meta-Group-Analyst Funk. Anwenderunternehmen müssten davon ausgehen, dass die jetzt eingesetzten Technologien in ungefähr drei Jahren das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben und dann zu ersetzen sind. “Daher sollte heute zwar ein strategischer Ansatz verfolgt werden,” fordert er, “die Projekte aber müssen zunächst selektiv angegangen werden.”