Durch Big Blues Einstieg in das Schweizer Futurelife-Projekt gewinnt “Intelligentes Wohnen” eine neue Bedeutung. Alles wirkt so normal. Das ist das Erstaunlichste bei einem Besuch im Haus der Zukunft. Doch die von außen unauffällige Doppelhaushälfte der Familie Steiner im schweizerischen Hünenberg am Zuger See ist gespickt voll mit IT und anderen Hightech-Innovationen. Nun hat IBM ein Konzept entwickelt, mit dem Futurelife in jedes Haus einziehen kann – wenn die Telekoms mitziehen.
Auf dem Rasen hinter dem Haus mäht ein solarbetriebener Roboter den Rasen. Der ist in dieser Hitze auffällig grün. Das ist kein Wunder, denn er wird automatisch bewässert. Dafür fahren wie durch Zauberhand kleine Rasensprenger aus dem Boden. Sensoren sorgen dafür, dass das Grillfest oder das Toben der beiden acht- und 14-jährigen Kinder der Familie nicht durch eine kalten Schauer abgebrochen wird. Die Energie für den Rasensprenger liefert eine unauffällige, türgroße Solaranlage.
Einkaufen ist kein Thema mehr
Der Plattenweg vom Garten zur Haustür führt an einer Klappe vorbei, hinter der sich ein Kühlschrank und eine Ablage befindet. Zu Öffnen ist sie mit einer Transponderkarte oder per Nummerncode und sie dient der Anlieferung der über das Internet bestellten Waren. Der Vorteil: Die Hausbewohner müssen nicht zuhause sein und der Lieferant kann seine Touren nach eigenen Optimierungskriterien planen. “Das”, erläutert der Hausherr Daniel Steiner, “gibt uns die Freiheit, nur noch das selbst einzukaufen, für das wir Zeit und Muße aufwenden wollen.”
Die Haustür lässt sich ebenfalls mit einem Nummerncode, berührungslos per Chipkarte und für den Notfall mit dem Schlüssel öffnen. Wie lange die Tür geöffnet bleibt, ist programmierbar.
Die Innenräume sind wie alles in der Schweiz: klein, aufgeräumt und gemütlich. Wiederum nur auf den zweiten Blick offenbart sich die technische Intelligenz der Ausstattung. Der Beamer in der Decke wirft eine Oberfläche an die Wand, die zugleich das Surfen im Internet, Video- und Fernsehen zulässt. In Griffnähe die Fernbedienung und der Tablet-PC. Hierauf findet sich neben Internet-Anschluss auch die Haussteuerung für die Lampen, die Heizung, die elektronische Sicherung der Fenster und Türen, der Ofen, die Waschmaschine und der elektronische Einkaufszettel. Dieselbe Oberfläche findet sich unter anderem auch beim Touchscreen zwischen Kühlschrank, Vorratsschrank und Ofen, im Office und im 7er BMW vor der Haustür.
Seit März 2002 steht der Familie auch der online-fähige Fahrzeugprototyp zur Verfügung. So lässt sich das Haus auch aus dem Auto kontrollieren, aber auch per WAP-Handy und jedem Internet-fähigen Arbeitsplatz.
Während Ingenieur Steiner erzählt, wie dem Ofen ein Kochprogramm mitgeteilt wird, reicht seine Frau Ursi Erfrischungen. Glaubhaft versichert die Lehrerin, dass es keinesfalls nervt, dass durch ihr Heim immer wieder ganze Gruppen Neugieriger wandert. “Nein”, zuckt sie die Schultern. “Wir haben jetzt schon 17 000 Leute hier durchgeschleust,” setzt sie sichtlich stolz hinzu.
Die Zeit ist reif für Intelligentes Wohnen
Das Futurelife-Haus ist bereits seit November 2002 bewohnt. Existent ist es allerdings seit Beginn 2001. Zunächst hat die Familie, die in einem Fernsehwettbewerb durch Zuschauerabstimmung ausgewählt wurde, nebenan gewohnt. Doch zogen sie das Wohnen in der Hightech-Fassung des Doppelhauses vor.
IBM gehört erst seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres zu den Futurelife-Partnern. Das Haus ist zunächst ein Projekt der Futurelife Beisheim Holding, von Otto Beisheim ins Leben gerufen. Der deutsche Unternehmer, der unter anderem schon die Handelsketten Metro und Mediamarkt gegründet hat, wohnt ebenfalls in der Steueroase Zug. Ende des Jahres wird er voraussichtlich aus dem Futurelife-Projekt aussteigen.
Laut Ralf Baral, Practice Leader Integrated Home Solutions bei IBM, hat mit der Partnerschaft von Big Blue eine neue Stufe in der Entwicklung des Marktes für intelligentes Wohnen begonnen. Die Zeit sei reif und die Technologie vorhanden, um mit der Internet-Anbindung einfache und beliebig multiplizierbare Lösungen anzubieten. Aus Futurelife ist nach seiner Darstellung ein Referenzprojekt für den globalen Markt geworden.
Alles ist vernetzt
Doch noch stehen im Keller des Steiner-Hauses riesige Rechnerschränke. Einer davon, leicht erkennbar, ist für die Vernetzung im Haus verantwortlich. Denn es sind etliche Kilometer Kabel verlegt. Das ist für Baral schon Technik von gestern. In Zukunft wird drahtlos oder via Stromleitungen vernetzt und die Computer durch ein auf dem OSGI-Standard basierenden Residential Service Gateway (RSG) ersetzt. (OSGI steht für Open Service Gateway Initiative und ist ein Standard für die Verbindung und Verwaltung von Assets, etwa Haushaltsgeräten.) Das Gateway selbst ist eine Box etwa in der Größe einer halben Pizzaschachtel, in die sich Stecker in der Größe von Telefon-Anschlüssen stecken lassen.
Familie Steiner nutzt unter anderem die Waschmaschine Adora SLX von V-ZUG mit Internet-Anschluss. Dieser erlaubt beispielsweise die Berechnung der effektiven Nutzung des Gerätes und die Ferndiagnose durch Servicetechniker. Neue Anwendungsprogramme können bei Bedarf geladen werden. Familie Steiner kann nahezu von überall her die Waschmaschine starten und die Waschgänge verfolgen. Im IBM-Labor von Rüschlikon in der Nähe von Zürich steht aber auch eine Miele mit seriellem Anschluss zu einem RSG.
Die Verbindung der Geräte innerhalb des Haushalts sieht das IBM-Konzept Power Line Communcation vor. Bei dieser Technik gehen die Daten nicht über getrennte Datenkabel, sondern werden über die Stromleitungen weitergeleitet. Somit lassen sich Endgeräte einfach ans Stromnetz anstecken und sind sogleich online.
Das RSG kommuniziert in sichereren Verbindungen mit einem Access Gateway, einem intelligenten Hub. Über diesen stellen die Gerätehersteller ihre Dienstleistungen zur Verfügung. Von dort rufen die Bewohner über ein individuelles Portal Informationen ab, etwa über den Fortgang des Wäschewaschens, verriegeln Fenster und Türen oder programmieren den Videorecorder.
Die Telcos müssen mitziehen
Für diese Maschinen, auf die sowohl die verschiedenen Gerätelieferanten als auch die Benutzer zugreifen, sieht das IBM-Konzept Provider vor, die diese Gateways mit kundenspezifischen Dienstleistungen betreiben: E-Mail, Kalender, Adressbücher, Sicherheits- und Alarmdienste, Multimedia-Entertainment sowie die Integration der Internet-fähigen Hausgeräte.
Im Prinzip käme für diesen Service laut Baral jedes beliebige Rechenzentrum in Frage, doch für die Telekommunikationsanbieter sei es ein geradezu natürlicher Schritt zum Dienstleister. “Leider, ” beklagt Baral, “tun sich die Telekommunikationsgesellschaften schwer mit dem Servicegedanken. Da liegt noch ein schweres Stück Überzeugungsarbeit vor uns.” Anbieter für RSGs allerdings gibt es bereits: IDT, Ciao Lab, Orinoco, und Emness zum Beispiel. Die Kistchen kosten etwa 400 Euro.
In Tinker Creek, USA, stattet IBM übrigens ein neu entstandenes Dorf auf individuellen Wunsch der Hausbesitzer mit einer End-to-end-Lösung für rund 3500 Dollar aus. Darin enthalten ist IBM-Software wie Websphere Everyplace Embedded Edition, Portal Express 1.0, eine Thermostat-Lösung sowie Sicherheitssensoren, die mit der Gateway-Software von IBM arbeiten, dem Open Service Gateway System Management Framework.
Wozu das alles? Für ein bisschen mehr Komfort? Mag sich so mancher Technikskeptiker fragen. Das Zukunftshaus ist vielleicht nur etwas für IT-versessene Spinner. Jedoch: “Für uns”, sagt Daniel Steiner, “bedeutet all die Technik schlichtweg eine bessere Lebensqualität.”
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