Ferien von der IT – Teil II
Die Hölle, das ist: unerträgliche Hitze, und überall liegen halbnackte, (teilweise) furchtbar anzuschauende Leiber herum. Und für jeden der Schmorenden ist mit satanischer Bosheit eine speziell auf ihn zugeschnittene Qual erdacht worden.
Die Hölle des Schwaben, das ist: Urlaub. Und die Tortur, die der Teufel für ihn ausgesucht hat, besteht darin, ihm sein Lebenselixir vorzuenthalten, die Arbeit.
Die Dimension dieses Problems ist leicht zu erkennen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich beim Schwaben um die Referenz-Implementierung des Menschen im Internet-Zeitalter handelt.
Der Schwabe ist so, wie die Apologeten der New Economy sich die Leute gewünscht haben. Innovativ: Baden-Württemberg weist die höchste Patentzahl pro Kopf der Bevölkerung auf. Geschäftstüchtig: Über die Hälfte der deutschen mittelständischen Werkzeugmacher ist hier daheim. Und vor allem: Der Schwabe hat nur eins im Kopf – Arbeit. (Und für all das hat er die New Economy selbstverständlich nun überhaupt nicht gebraucht.)
In Baden-Württemberg haben die beiden weltgrößten IT-Konzerne, IBM und Hewlett-Packard, ihre deutschen Niederlassungen. Und da wird nicht nur – wie ansonsten in hiesigen IT-Dependancen üblich – verkauft, sondern auch produziert, entwickelt und geforscht.
IBMs aktuelle Mainframes wurden hier entwickelt. Und Linux erzielte hier seinen Durchbruch, weil es auf eben jene Mainframes portiert wurde.
Aus diesem Paradies nun, in dem getüftelt und geschafft wird, vertreibt sich der Schwabe jedes Jahr für mehrere Tage – wozu auch Werktage gehören! – um den härtesten aller ihm denkbaren Bußgänge zu gehen, den Müßiggang.
Gottseidank sind aber wegen des Gebots der christlichen Nächstenliebe allerhand Linderungen für Kasteiungen, die der Bußfertige sich auferlegt, erdacht worden. Man soll ja seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Und Kirchenmänner nehmen es traditionell mit dem zweiten Teil dieses Gebots sehr genau.
Deshalb haben die Mönche im Mittelalter das Bier erfunden, um die Fastenzeit ertragen zu können. Und für den Schwaben gibt’s für die Zeit während er sich der regel- und übermäßigen, also der normalen, Arbeit enthalten muss, den PDA.
Für mehr Diesseitsorientierte: Der PDA ist das Methadon des Workaholic. Und das Erstaunliche daran: Es funktioniert beides: sowohl das Gadget als auch die Therapie.
Das Gadget: Nur wenig über 100 Gramm wiegt es. Die zugehörigen Handbücher gut ein Kilo. Hinzu kommt, dass zwar jede Menge Software-Fitzelchen installiert und dokumentiert sind. Aber nicht die, die man braucht, um damit wirklich arbeiten zu können.
Von deren Existenz erfährt man im Internet auf den Foren von sektenähnlichen Hardcore-Anwender-Gruppen. Die Manuals gibt’s als PDF-Files. Und ausgedruckt würden sie ebenfalls wiederum eine Aktentasche gut füllen.
Alles in allem erreicht die Dokumentation zu einem PDA locker den Umfang der Heiligen Schrift. (Für Diesseitsorientierte: von Karl Marx und Friedrich Engels: Das Kapital, MEW Bd. 23-25).
Kein Mensch liest sich das durch. Und eben deshalb ist so ein PDA auch ein richtiger Computer. Er funktioniert, wie alle IT funktioniert: irgendwie halt. (Beim Kapitalismus ist das anders. Er funktioniert, obwohl Karl Marx und Friedrich Engels beschrieben haben, dass es mit ihm auf Dauer nicht gut gehen kann. Aber auch das hat ja kaum jemand gelesen.)
Und die Therapie klappt ebenfalls: der PDA als Suchtmittelersatz des Workaholic – als Substitut für PC, Korrespondenz und Terminkalender. Mit so einem Gadget kann man das alles – muss man aber nicht. Nicht zu müssen, eines der schönsten Gefühle, die es gibt!
Erstaunlich, wie schnell man clean ist. Man sieht die Welt mit völlig anderen Augen. Vielleicht handelt es sich beim Urlaub doch nicht um die Hölle. Vielleicht sogar um’s Paradies.
Die Hitze ist eigentlich ja gar keine, sondern eher wohlige Wärme. Und nicht alle Leiber sehen furchtbar aus. Einige sind sogar ausgesprochen schön, vor allem der, der neben einem liegt.
Die Hölle – und zwar ohne Interpretationsmöglichkeiten – erlebt man allerdings dann, wenn man nicht mit der allergrößten Sorgfalt den – völlig aus der Luft gegriffenen – Eindruck vermeidet, man fände auch andere als die Neben-einem-Liegende schön. In jedem Paradies lauern halt Gefahren, wie man seit der Geschichte mit dem Apfel und der Schlange weiß.
Um aber auf die technische Infrastruktur des modernen Garten Eden zurückzukommen, den über Infrarot, GSM und den örtlichen ISP an den Cyberspace angebundenen PDA: Die Versuchung ist manchmal schon groß, mehr als das absolut Nötige zu arbeiten (im Fall von Schreiberlingen mehr als die regelmäßigen Kolumnen zu verfassen). Schließlich ist Workaholismus – die schwäbische Krankheit – ja eine schlimme Sucht.
Man könnte beispielsweise mal die ganzen Mails abarbeiten, den Terminkalender checken, ein paar Meetings für die Zeit nach dem Urlaub vereinbaren, Kontakte pflegen …
Am besten behandelt man derartige Rückfälle durch das orale Applizieren von reichlich Cabernet Sauvignon. Schließlich ist so ein Sündenfall schnell passiert. Und bestraft wird so was bekanntermaßen durch Mühe und Last – in besonders schweren Fällen in Baden-Württemberg.