Tablet-PC: Rohrkrepierer und Statussymbol
Dem Markt für Mobile Computing wollte der Tablet-PC das Fürchten beibringen. Doch die auserwählte Zielgruppe weiß noch nicht so recht, was sie mit dem Gerät anfangen soll.
Der typische Tablet-PC-Nutzer ist smart. Ein Manager, der in Meetings auf der digitalen Oberfläche Wichtiges notiert, statt auf einem Block Strichmännchen zu malen. So hätten es die Initiatoren des neuen Pen-Computings gerne. Doch noch handelt es sich dabei um ein Traumbild. Zunächst einmal floppt der Tablet-PC.
Während in Europa der Absatz von Notebooks im vergangenen Vierteljahr um rekordverdächtige 39 Prozent zugenommen hat, sanken die Verkaufszahlen der Tablet-PCs in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 31 Prozent. Im abgelaufenen Quartal fiel der Anteil am gesamten Notebook-Markt in Europa, Mittleren Osten und Afrika (EMEA) sogar unter 1 Prozent. Die Zahlen Vom August dieses Jahres stammen vom Marktforschungsunternehmen IDC.
Nach den Angaben der Marktforscher von Canalys wurden im Juli rund 27.000 Stück verkauft. Davon konnte HP die meisten Pen-Computer absetzen, laut IDC mehr als 7500 Stück, Fujitsu-Siemens Computers (FSC) rund 3200, Toshiba und Acer jeweils rund 2900. Der Rest entfällt auf andere Hersteller wie zum Beispiel Viewsonic und Paceblade.
Die Wiederentdeckung des Stifts
Die Erwartungen zu Beginn dieses Jahres sahen jedoch ganz anders aus. Sie waren verknüpft mit dem Erscheinen der Tablet-PC-Edition des Microsoft-Betriebssystems Windows XP am 7. November des vergangenen Jahres. Denn damit sind Kernanwendungen verknüpft, die es zuvor bei Pen-Computern nur vergleichsweise rudimentär gab: Handschriftenerkennung und Office-Funktionen. Zudem kann das zumeist 10,4 oder 12,1 Zoll große Display mehr Informationen aufnehmen und wiedergeben als die vergleichsweise kleinen Bildschirme eines Handhelds. Die Batterielaufzeit übertrifft in vielen Fällen die eines Notebooks.
Zum Teil lassen sich die Displays getrennt vom eigentlichen Rechner verwenden. Das macht sie flach und handlich. Beim Koppeln des Displays mit einem zugehörigen Rechner stehen dem Anwender dann wieder alle gewohnten Programme, Dateien und Funktionen zur Verfügung, und die handschriftlichen oder gezeichneten Informationen lassen sich in die Datenverarbeitung des Unternehmens einarbeiten.
Damit sollte das Pen-Computing, das es für einen Nischenmarkt schon seit langem gibt, genügend Potenzial haben, um den Massenmarkt zu erreichen. Während die Hersteller und Software-Lieferant Microsoft eine rosige Zukunft für den Tablet-PC weissagten, blieben Analysten von Anfang an eher unterkühlt. IDC prophezeite für das Jahr 2003 einen Marktanteil von 1 Prozent. Toshiba und HP aber berichteten in diesem Frühjahr noch über Verkäufe, die über den Erwartungen lagen. Rund 500.000 Stück wollten alle Microsoft-Partner in diesem und 1 Million im kommenden Jahr verkaufen.
Ein Spielzeug für Angeber
Alexander Kubsch, Berater beim Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus TechConsult, begründet noch einmal die positiven Erwartungen: “Der Tablet-PC ist chic und neu. Ich kann ihn mit in Besprechungen nehmen und andere Leute in den Bildschirm hineinschauen lassen, was mit einem Notebook nur sehr eingeschränkt möglich ist.“ Doch sei auch TechConsult schon immer davon ausgegangen, dass es “ein bisschen dauern“ werde, bis sich das neue Device durchsetzt.
Derzeit interessieren sich laut Kubsch hauptsächlich zwei Zielgruppen für die stiftbasierten Systeme: Manager, für die das Gerät ein Statussymbol darstelle, und die IT-Abteilungen in großen Unternehmen, die die Geräte jetzt testen. Bis diese sich entschieden, gehe noch etwa ein Dreivierteljahr ins Land. Dann erst seien die ersten größeren Rollouts zu erwarten. Die zeitliche Verzögerung begründet Kubsch damit, dass ein Gerätewechsel vermutlich häufig im Rahmen einer XP-Migration stattfinden dürfte. Immerhin achteten die Firmen heutzutage auf Einheitlichkeit der Systeme, vor allem was die Betriebssysteme angehe, aber auch in Bezug auf den Lieferanten. Beispielsweise müsse die neue Produktlinie Tablet-PC erst in entsprechende Verträge eingebaut werden.
So gesehen handelt es sich für den TechConsult-Berater bei der gegenwärtigen Absatzflaute im Tablet-PC-Markt nur um eine vorübergehende. Schließlich lasse sich mit den Office-Anwendungen ein dramatisch größerer Markt erschließen, als das mit bisherigen Pen-Computern der Fall war. Hier seien vor allem proprietäre Applikationen zum Einsatz gekommen. “Jetzt ist der Pen-Computer ein vollwertiges Office-Gerät, der dem Notebook Marktanteile kosten wird,“ so Kubsch.
Pen-Computing fristet ein Nischen-Dasein
Zu den Firmen, die schon seit mehr als fünf Jahren stiftbasierte Endgeräte für Stromableser, Krankenhausmitarbeiter und sonstige mobile Außendienstler anbieten, gehört FSC. “Pen-Computer, die wir nun bereits in der 18. Generation herausbringen, waren für uns bisher ein erfolgreiches Nischenprodukt,“ bestätigt Jens Uwe Behnke, Business Manager Mobility bei FSC. Kennzeichen für die Anwendungsgebiete seien sehr spezielle Aufgabenstellungen gewesen, sowie viele Software-seitige Eigenentwicklungen der Kunden.
Obwohl auch er sich vom Tablet-PC erwartet, dass damit das Pen-Computing aus seinen angestammten Teilmärkten heraus katapultiert wird, stelle sich die Nischenvergangenheit als Vorteil für FSC und zum Nachteil anderer Anbieter heraus. “Wir adressieren nicht wie andere so sehr den Consumer-Markt, sondern Geschäftskunden. Und diesen Markt, wo sich auch nach Analystenerkenntnissen der Tablet-PC in den kommenden Jahren etablieren wird, kennen wir,“ erläutert Behnke. Außerdem habe mit dem XP-Release für den Tablet-PC zwar ein Elefantenrennen und eine Produktschwemme eingesetzt, doch die für die Kunden wichtigen Portierungen ihrer Applikationen fehlten. Insbesondere hapere es mit der Unterstützung für Außendienstmitarbeiter. “Da müssen die Microsoft-Partner noch einiges leisten,“ sagt Behnke. Der FSC-Manager rechnet mit einem Ausgleich des Mangels, dennoch sei maximal mit einem zirka sechsprozentigem Anteil der Tablet-PCs am Verkauf mobiler Computer zu rechnen.
Der Tablet-PC im Außendienst bei Hipp
Derzeit nehmen FSC-Kunden im Schnitt 60 bis 100 Tablet-PCs auf einmal ab. Da liegt der Lebensmittelfabrikant Hipp im Trend. Laut Gerald Milicka aus der Fachabteilungs-IT des Unternehmens arbeiten mittlerweile 80 ‘Mitarbeiter im Feld‘ mit dem neuen Gerät. Der Pfaffenhofener Babynahrungshersteller hat schon seit mehr als sechs Jahren Erfahrungen mit Pen-Tops beziehungsweise Pen-Books, wie die Vorläufer des Tablet-PCs hießen.
Damals allerdings sei die technische Spezifikation für die Stift-Computer eine ganz andere gewesen. Früher sei es um die Verarbeitung von Einzelbuchstaben in der Auftragserfassung gegangen. Heute lägen der Schrifterkennung Wörterbucher und Kurvenfunktionen zugrunde. Die ehemals im Einsatz befindliche Vertriebsapplikation gibt es auch heute noch, wenn auch in der dritten Version. So mussten die Mitarbeiter sich keiner speziellen Schulung beim Umstieg auf den Tablet-PC unterziehen.
Zugunsten des Tablet-PCs spricht laut Milicka, dass er mit einer Hand bedienbar sei und die Hipp-Mitarbeiter vor einem Regal stehend Daten in die Vertriebsapplikation eintragen könnten. Ein Notebook mit Tastatur wäre dafür ungeeignet. Aber auch Handhelds stellten keine Alternative dar. Das Display wäre zu klein, um etwa ein Regal-Layout erfassen zu können.
Als Nachteil registrieren die Vertriebsmitarbeiter von Hipp, dass die nunmehr passiven Stifte, die zum Tablet-PC gehören, ein so präzises Arbeiten wie zuvor mit aktiven Stiften unmöglich machen. Denn die Anwendung verlangt etwa das Ausfüllen von Feldern und nicht zwangsläufig das Erkennen von handschriftlich erfassten, längeren Texten. “Hier ist Nachbesserung nötig!“ mahnt Milicka.
Dass Hipp dennoch bereits den kompletten Außendienst mit Tablet-PCs ausgestattet hat, hängt eher mit Investitionszyklus des Unternehmens zusammen. Die Firma hätte ohnehin neue Geräte gebraucht. So lieh sie sich schon vor dem offiziellen Microsoft-Launch ein FSC-Gerät zum Test aus.
Referenzen für den Stift-Computer
Darüber hinaus aber bestätigt sich die FSC-These, dass Applikationen fehlten. Office-Anwendungen scheinen nur die halbe Miete zu sein. Die Anwender brauchen betriebswirtschaftliche und branchenspezifische Programme. Das offenbaren auch Beispiele von Referenzkunden. So setzt das Klinikum Chemnitz seit November 2002 den Pen Tablet PC 3500 von FSC mit der Bildverteilungssoftware Magic Web/ Acom.web für die Visite und die Befunddemonstration im Feldtest ein. Hersteller Viewsonic nennt einen Rettungsdienst als Referenz. Dort machen die Mitarbeiter während ihrer Einsatzflüge handschriftliche Notizen.
Und den vielzitierten smarten Manager? Den gibt es auch – allerdings vorerst nur auf einer Website von Microsoft. Das Pharma-Unternehmen Merck & Co. stellt unter anderem seinen leitenden Angestellten mit Tablet-PCs der Marke Acer TrevelMate zur Verfügung. Nun dauert, wenn man dem Anwenderbericht glauben will, eine Top-Manager-Konferenz nicht mehr wie zuvor fünf Stunden, sondern nur noch eineinhalb Stunden.
Die Zeitersparnis lässt sich angeblich auf die Verwendung der Pen-Computer in ad-hoc aufgesetzten Peer-to-peer-Netzkonferenzen zurückführen. “Das Potenzial und die Ideen waren früher schon da,“ zitiert der Bericht Jim Karkanias, Executive Director of Operations in der US-Abteilung Human Division von Merck. “Aber erst der Tablet-PC ermöglichte uns, wirkungsvoll zusammenzuarbeiten und unsere Ideen auszutauschen. Meine Kollegen waren hinterher noch euphorischer als ich.“