IP-Telefonie: Vom ungeliebten Wunderkind zum Wirtschaftsfaktor?
Seit Jahren prophezeien Analysten der IP-Telefonie eine goldene Zukunft – die bislang nicht eingetreten ist. Eine inzwischen zuverlässige Technik und finanziell messbare Vorteile könnten das bald ändern.
Zufriedenheit statt Zurückhaltung
Ein Unternehmen, das sich vor zwei Jahren zur IP-Telefonie bekehren ließ, ist Japan Tobacco (JTI). Und das, obwohl man der Technologie am Anfang mehr als skeptisch gegenüberstand. “Cisco hat mich jahrelang beschworen, IP-Telefonie einzusetzen”, erinnert sich Gunter Hagendorf, JTI-Manager für globale Telekommunikation und Netzwerke. “Ich habe das immer abgelehnt, weil ich dachte, dass diese Technologie den traditionellen Sprachsystemen unterlegen sei.” Dazu komme dann noch die notwendige Infrastruktur: “Wenn man bedenkt, dass nicht nur IP-Telefone notwendig sind, sondern auch Call-Manager und Gateways, die konfiguriert werden müssen, würde ich heute noch sagen, dass dies ein großer Aufwand für ein Telefonsystem ist. Man benötigt mehr als nur ein bisschen technisches Know-how, um es richtig zu installieren.”
Trotzdem ließ sich Hagendorf schließlich überzeugen: “Equant versprach uns einen Rundum-Service. Damit war ich bereit, das Risiko zu wagen.” JTI-Filialen in 120 Ländern sollen nun per IP-Telefonie nach und nach miteinander verbunden werden. Ein genauer Zeitplan steht allerdings noch nicht fest. Hagendorf: “JTI ist auch in Gegenden vertreten, in denen es strikte Vorgaben für den Sprachverkehr gibt. Wir können also nicht immer so operieren, wie wir es gern wollen.”
Große Pläne
Ein Büro, das auf jeden Fall mit IP-Telefonie ausgestattet wird, ist ein neues JTI-Zentrum in Manchester. “Wir fanden es einfacher, dort IP-Telefone zu installieren”, sagt Manager Hagendorf. “Die Angestellten können bei einem Umzug das Telefon ebenso mitnehmen wie ihren PC. Außerdem braucht man keinen Mitarbeiter für eine Rekonfiguration.”
Geplant ist außerdem ein virtuelles Call Center mit einem 24-stündigen Service und Mitarbeitern in aller Welt, etwa in Montreal oder Kuala Lumpur. Eine echte Herausforderung für die IP-Infrastruktur. Hagenberg ist dennoch optimistisch: “Die Aufteilung der Anrufe erfolgt automatisch. Die einzelnen Mitarbeiter loggen sich ein, das Netzwerk erkennt, wo sie sind und welche Sprache sie sprechen, und verbindet die Anrufer zu den freien Agenten aus ihren Regionen.” Und das, so hofft Hagenberg, soll sich in “signifikanten Einsparungen” niederschlagen. Der JTI-Manager liebäugelt sogar schon mit kabellosen IP-Telefonen von Cisco: “Das wäre eine Möglichkeit, das DECT-System in unseren Büros zu ersetzen.”
Technisch ausgereift
Technische Schwierigkeiten sind bei der IP-Telefonie kaum mehr zu befürchten. Der Wechsel zwischen Daten- und Sprachtransfer läuft problemlos, die Bandbreite wird je nach Bedarf abgerufen. Das bedeutet, dass dem Kunden immer die gesamte Bandbreite zur Verfügung steht, die je nach der Nutzung aufgeteilt wird. Dabei hat das jeweilige Unternehmen auch die Möglichkeit, Prioritäten zu setzen. “Wenn SAP Priorität hat, werden eben 60 Prozent der Bandbreite SAP-Anwendungen zugewiesen”, so Equant-Manager Kühn.
Vermieden wird auch eine Überbuchung der Leitungen. “Wenn keine Verbindung frei ist, wird das Telefonat über das öffentliche Telefonnetz geführt”, erläutert Kühn. “Damit kommt es nicht zu Qualitätseinbußen.”
Noch ein paar Hürden…
Freilich stehen dem schnellen Boom der IP-Telefonie noch einige Hindernisse entgegen. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten zögern viele Unternehmen mit einem Umstieg, so lang die alten Telefonanlagen noch einwandfrei funktionieren. Allerdings wittert Equant auch hier bereits Morgenluft. “Einige große Hersteller beenden bereits die Produktion konventioneller Anlagen”, sagt Kühn. “Darum wird die IP-Telefonie in Zukunft auf jeden Fall wichtig.”
Auch die Siemens-Abteilung Strategie und Planung geht von hervorragenden Marktchancen aus – allerdings erst in drei oder vier Jahren. Derzeit sei die wirtschaftliche Lage zu unsicher, heißt es, auch würden Sicherheitsbedenken viele Unternehmen von einer sofortigen Umrüstung abhalten. Kühn gibt sich trotzdem zuversichtlich: “Viele TK-Verträge bei den Betrieben laufen demnächst aus. Dadurch kommt der Markt in Bewegung.” Und damit, so Kühn, werde der Umstieg auf die IP-Telefonie in den nächsten Jahren doch verhältnismäßig rasch vor sich gehen.