Eine Entscheidung der EU-Parlamentarier zu den Software-Patenten steht noch im September an. Doch die Debatte über mögliche Auswirkungen der Richtlinie hat jetzt erst wirklich angefangen. Vielen Software-Entwicklern, vor allem in mittelständischen Firmen, sind die Konsequenzen der Patentierung von Software erst jetzt richtig klar geworden. Panik macht sich in der Industrie breit. Die Gesellschaft für Informatik hat für ihre knapp 20.000 Mitglieder ein öffentliches Forum auf ihrer Website eingerichtet. In der Diskussion werden vor allem die Existenzängste kleinerer Software-Firmen deutlich. “Ich habe mich vor vier Jahren selbständig gemacht,” schreibt ein Freelancer. “Ich schufte über zehn Stunden am Tag an meinen Programmen. Es war harte Arbeit, meine eigene Existenz aufzubauen. Und nun soll auf einmal alles hinfällig sein? Da soll plötzlich jemand sagen, dass er eine Idee schon vorher hatte und mir verbieten, meine eigenen Programme zu benutzen? Ich soll bei Zuwiderhandlung auch noch in den Knast gehen? Das ist ja wohl hirnrissig!”
Jörg Maas, einer der Geschäftsführer der GI, versucht die Debatte zu entschärfen. Immerhin hatte sich das Präsidium der GI grundsätzlich für eine Patentierung von Software ausgesprochen. “Wir sehen es positiv, dass die Diskussion um solche Richtlinien zugenommen hat. Es liegt an den Mitgliedern, getroffene Entscheidungen in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu revidieren. Dazu ist aber keine Hexenjagd notwendig.” Allerdings muss er zugeben, dass die Kritik derzeit mit etwa 80 zu 20 Zuschriften im Forum überwiegt und überlegt, wie er von jetzt an verfahren soll. “Die Mitglieder müssen nun überlegen, ob sie vielleicht eine neue Arbeitsgruppe Software-Patente im GI zur Willensbildung gründen möchten. “
Andreas Stöckigt, Vizepräsident der GI, ergänzt: “Wir haben entgegen der immer wieder kolportierten Meinung nicht als Einzelpersonen, sondern als 45-köpfiges Präsidium unsere Stellung bezogen, dass wir das, was man gemeinhin als Software-Patente bezeichnet grundsätzlich befürworten. Derzeit wird diese Frage nicht seriös diskutiert. Die Open-Source-Leute, und ich rede hier nicht von Linux und IBM als der entscheidenden Kraft dahinter, befürchten Probleme mit Lizenzgebühren.”
Worum es geht
Fest steht, dass bei vielen Teilnehmern der Diskussion Software-Patente an sich etwas Nebulöses sind. Ein Patentanwalt aus Düsseldorf versucht im Forum etwas Klarheit in die hitzige Diskussion zu bringen: “Man hat immer den Eindruck, es gehe um die Einführung oder Nichteinführung von Patenten auf Software. Diese geistige Nebelkerze wurden von interessierter Seite im Rahmen der Diskussion um den Richtlinienentwurf gezündet. Dem ist aber mitnichten so. Schon der Begriff Software-Patente ist falsch!” Vielmehr gehe es in der Richtlinie um technische Schutzrechte, die Gegenstände betreffen, welche auch mit Hilfe von Software realisiert werden können. Derartige Schutzrechte würden auch in der Vergangenheit angemeldet, oft auch erteilt, und wenn es sein musste gerichtlich durchgesetzt.
Ihm liegt es eher daran, dass die richtigen Dinge patentiert werden: “Es stellt sich die Frage, ob ein selbst untechnischer Gegenstand wie etwa eine Geschäftsmethode allein dadurch, dass sie mithilfe von Software realisiert wird, die auf einem Computer abläuft und somit in Gesamtschau prima facie ein technisches System realisiert, selbst in den Genuss eines Patentschutzes kommen kann – ein Problemfeld, auf dem etwa 95 Prozent der Schwierigkeiten des Patentrechts im Zusammenhang mit Software liegen.” Der Richtlinienentwurf der EU grenze in Artikel 4a des Entwurfs aber ganz klar nicht technische Gegenstände von technischen als nicht patentfähig ab.
Er warnt deswegen vor einer Nichtverabschiedung der Richtlinie, denn dies würde seiner Ansicht nach bewirken, dass es der Rechtsprechung im Einzelfall überlassen bleibt, diese Abgrenzung vorzunehmen. Das wäre eine Situation, die selbst Juristen wie der oft als ‘Abmahnanwalt’ bezeichnete Günter Freiherr von Gravenreuth nicht gerade begrüßen. Dennoch sieht er sein Revier durch die neue Richtlinie nicht gefährdet und verteidigt die Haltung der Gesellschaft für Informatik: “Man kann für Patente in diesem Bereich sein und gleichzeitig in einem konkreten Einzelfall die Erteilung mit neuen Druckschriften angreifen.”
Trivial ist nicht egal
Andreas Stöckigt vom GI-Vorstand soll selbst einmal gegen Patente gewesen sein und hat sich in dieser Frage aufgrund seiner Erfahrungen “vom Saulus zum Paulus” gewandelt. Er steckt tief in der Materie, sieht sie aber aus der Sicht des Informatikers und erklärt seine Position: “Wir sind für Patente auf Software und Hardware, aber nicht für Trivialpatente und solche auf Geschäftsmethoden. Deshalb wenden wir uns so stark gegen die Amazon-Patentanmeldung.” Die Patentämter folgten zwar derzeit der Linie, die seit 1968 in Deutschland gilt und besagt, dass Programme nicht patentierbar sind. Dieser Leitsatz sollte seiner Meinung nach auch bleiben.
“Aber dennoch”, so gibt er zu bedenken, “patentieren sie derzeit alles, was technisch auf einem Rechner laufen kann, also auch Geschäftsmethoden. Derzeit gibt es schließlich beim Europäischen Patentamt, also europaweit, an die 20.000 Patente, die unter ‘Software-Patent’ laufen und so ziemlich alles beinhalten, was eben auf einem Rechner laufen kann. Jetzt soll also entscheiden werden, wie Technizitäten von Geschäftsmethoden unterschieden werden können, damit Technik geschützt werden kann. Hier erhoffen wir am 22. September eine Entscheidung, die eine praxisnahe und praktikable Formulierung enthält, die auch benutzt werden kann.” Nach einem zweijährigen Herumbasteln an der Richtlinie sei es endlich an der Zeit.
Wer soll das bezahlen?
Die mittelständische Industrie, so wird es in der Diskussion deutlich, befürchtet aber mehr Unklarheiten als Klarheit durch das neue Gesetz, und dadurch mehr Konflikte. Der Schutz davor, also die Patentierung, sei nicht weniger teuer und aufwändig. Ein Mittelständler, der sich seine Meinung ebenso fundiert gebildet haben mag wie Andreas Stöckigt, rechnet nüchtern vor, dass ein Software-Patent der EU bis zur Bewilligung ungefähr 50.000 Euro kosten dürfte. “Und da sind die Folgekosten für die laufende Überwachung, ob es auch nicht verletzt wird, nicht enthalten und schon gar nicht die Kosten für eine eventuell notwendige Patentklage,” sagt der Unternehmer.
Stöckigt sieht die heiß diskutierte Geldfrage etwas gelassener. “Selbstverständlich kostet ein Patent Geld, aber das ist in jedem Wirtschaftssektor auch so. Denken Sie an Chemiker oder Biologen: die lernen schon im Studium den Umgang mit Patenten. Dass der Prozess bis zur Bewilligung dauern kann, ist auch klar. In der Diskussion wird aber gerne vergessen, dass ein Patent bereits vollen Schutz bietet, sobald es eingereicht ist.” Und schließlich gebe es auch das Wirtschaftsministerium, das die Erstanmeldung von Patenten fördert.
Angst um den Mittelstand
Ein GI-Mitglied, das von seinem Vorstand eine andere Haltung zu Software-Patenten fordert und mit Austritt droht, sieht durch die Richtlinie seine gesamte Zunft bedroht: So würden Software-Patente eine erhebliche Benachteiligung der europäischen Software-Industrie gegenüber monopolistischen Großstrukturen bedeuten. Profiteure von Software-Patenten seien die juristische ‘Industrie’ und Großfirmen, die sich juristische Abteilungen leisten können. “Entscheidend für den Markterfolg wäre dann nicht mehr das bessere Softwareprodukt sondern das Auftreten von Juristen,” führt er aus. “Das Kostenrisiko und vor allem die Erosion jeder Planbarkeit eines Projekts sind zu hoch. Folgemärkte wie IT-Integration, IT-Dienstleistung, TK-Dienstleistungen im Internet-Umfeld haben dann darunter zu leiden.”
Ein anderer macht auf die begrenzten Mittel des Mittelstands aufmerksam: “Kleine und mittlere Unternehmen können sich eine ausgiebige Patenrecherche nicht leisten, genauso wenig wie aufwändige Patenschutzverfahren samt teuren Lizenzen. Sie bewegen sich damit in einem Minenfeld, das jederzeit zugunsten von großen Firmen mit entsprechenden Potenzial hoch gehen kann. Die Einzigen, die meiner Meinung nach neben den großen Unternehmen davon profitieren werden, sind die auf Software-Patente spezialisierten Anwälte oder im Intellectual-Property-Management tätigen Personen. Das aber erzeugt in mir die Vorstellung eines Wasserkopfes, den niemand braucht.”
Der Vizepräsident der GI sieht das freilich anders. “Das Szenario, das in den USA herrscht, wo sich die großen Unternehmen nicht mehr im Marktgeschehen, sondern deren Anwaltsstäbe vor Gericht messen, befürchte ich in Europa in dieser Form nicht.” Allerdings gesteht er ein, dass gewisse Praktiken im Business ausschließlich Sache der Konzerne ist und appelliert an sie, die Kirche im Dorf zu lassen. Immerhin könnten Patentrechtsklagen, wie im Fall Rambus, oft den Ruin zur Folge haben.
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