ASPs bekommen ihren zweiten Frühling
Der ASP-Markt ist tot – es lebe der ASP-Markt! Es gibt offensichtlich Nischen, in denen sich das
Vermieten von Anwendungen lohnt. Und das Mieten wohl auch.
Diejenigen, die den Niedergang der ersten ASP-Welle überlebt und daraus gelernt haben, blicken
zuversichtlich in die Zukunft. Salesforce.com, Anbieter einer Lösung für das Customer Relationship
Management (CRM), prahlt mittlerweile mit mehr als 1000 Kunden. Die Stuttgarter Onventis GmbH,
die eine Lösung für die elektronische Beschaffung offeriert, erhielt erst vor kurzem eine
Kapitalerhöhung. Anteilseigner wie SAP AG und 3i GmbH stockten ihr Investment auf und zugleich
gewannen die Württemberger neue Gesellschafter wie die Landesbank Baden-Württemberg und Seed
Ventures.
Dennoch kündigt sich längst kein neuer Boom an. Im Gegenteil: Erst dürften noch mehr
ASP-Anbieter vom Markt verschwinden. Davon ist selbst Werner Grohmann, Geschäftsführer von
H.K.P. Consulting überzeugt. Er gehört zu den Initiatoren des deutschen ASP-Konsortiums, das
Anfang 2000 gegründet wurde.
Es gibt eine zweite ASP-Welle
Im April dieses Jahres veröffentlichte H.K.P. Consulting eine Marktstudie, in der 130
verschiedene ASP-Lösungen aufgelistet sind. Zugleich befragte das Beratungshaus die Anbieter nach
den Zukunftsaussichten. Zu 87 Prozent schätzen sie den ASP-Anteil bezogen auf ihren Gesamtumsatz
in drei Jahren auf unter 50 Prozent. Die Angaben reichen aber offenbar, um Grohmann zumindest
von einer “zweiten ASP-Welle” sprechen zu lassen.
Doch beim zweiten ASP-Anlauf vollzieht sich eine Wandlung. Während in der Hype-Phase jedes
und alle Unternehmen als ASP-Kandidaten gesehen wurde, seien heute die Anbieter erfolgreich, die
entweder über Branchenkenntnis verfügten oder Dienste anböten, die die Kernprozesse eines
Anwenderunternehmens erweiterten, so Grohmann. Zu den ersten zählt der Experte, die AFB
Application Services AG in München. Das Unternehmen bietet Leasing-Leistungen, speziell für
Autobanken. Die Kunden sollen ständig Zugriff auf die Software-Anwendungen haben, ohne sich mit
den Details der Technik auseinander setzen zu müssen. Zur zweiten Gattung zählt er die Anbieter
Salesforce.com und Onventis. Seine Thesen untermauert Grohman mit der Studie aus dem eigenen
Haus. Hiernach besteht das ASP-Angebot zu 60 bis 70 Prozent aus Spezial- und
Branchenanwendungen.
ASP-Marketing ist Missionarsarbeit
Als das größte Hindernis im Wettbewerb um die Kunden nennen die von der Studie befragten
ASP-Anbieter “Vetrieb und Vermarktung”. Tatsächlich bestätigt auch Raimund Schlotmann,
Vorsitzender der Onventis-Geschäftsführung, er müsse zumeist “Missionarsarbeit” leisten. Die
Entscheider in den Firmen wollen zunächst grundsätzlich vom ASP-Modell überzeugt werden, dann
erst spiele Funktionalität eine Rolle.
So kann Schlotmann mit den Erfahrungen seiner Kunden belegen, dass sich eine ASP-Lösung
rechnet. Bei einer Laufzeit von fünf Jahren, 150 Benutzern und rund 5000 Bestellungen pro Jahr über
ein eigenes Beschaffungssystem koste ein Vorgang 34 Euro. Im ASP-Modus von Onventis liegt der
Betrag bei nur 12 Euro. Einbezogen in die Kalkulation sind Installation, Integration und
Inbetriebnahme der Software, die Lizenzkosten beziehungsweise die Miete, die Wartungskosten, die
Aufwendungen für die Hardware, sowie die Prozess- und Systemanbindung der Lieferanten. Selbst
wenn die Benutzerzahl auf 500 steigt und der Berechnung rund 20.000 Bestellungen im Jahr zu
Grunde liegen, schneidet das ASP-Modell im Vergleich gut ab. In einer lokalen Installation würde der
Vorgang mit 16 Euro zu Buche schlagen, im ASP-Modus mit 5 Euro.
Schott Glas – ein ehemaliger ASP-Kunde
Diese Referenzzahlen stammen aus dem Betrieb des Onventis-Kunden Schott Glas. Bei dem
Unternehmen ist die Lösung seit April 2002 im Einsatz. Seit März dieses Jahres vertraut Michael
Glaninger, Manager E-Procurement & E-Sourcing bei Schott Glas, zwar immer noch der
Onventis-Software, aber nun als Inhouse-Lösung im konzerneigenen Rechenzentrum. Der Manager
aus dem Bereich Global Purchasing begründet den Wechsel zum einen mit Performance-Schwächen
und zum anderen mit Sicherheitsbedenken. “Ab einer gewissen Quantität an sensiblen Daten wurde
dieser Schritt notwendig”, habe Schott entschieden.
Im ASP-Modell von Onventis liege in der Praxis die Betonung auf dem Ordering, also der
elektronischen Beschaffung, und zwar hauptsächlich auf die Beschaffung von geringwertigen
Wirtschaftsgütern. Hierfür ist bei Schott Glas für rund 800 Mitarbeiter aber bereits ein anderes
System seit drei Jahren im Einsatz. Die Onventis-Software dagegen werde momentan nur für das
E-Sourcing genutzt. Hierbei geht es um den Einkauf von strategischen Gütern wie Maschinen, Anlagen
und Dienstleistungen im Wert ab 50.000 Euro. Als Dienstleistungsbeispiel nennt Glaninger die
Luftfracht, die Schott jüngst für rund 2,5 Millionen Euro ausgeschrieben hat.
Somit werden beim E-Sourcing nicht nur teure Güter ausgeschrieben und beschafft, sondern
auch sehr sensible Daten in großem Volumen ausgetauscht. “Bei großen Ausschreibungsstrukturen
mit Hunderten von Positionen war die ASP-Performance nicht mehr ausreichend”, so Glaninger.
Darüber hinaus kontrolliert Schott die Daten lieber selbst. Die Verantwortlichen befürchten zum
Beispiel, dass wenn es beim ASP-Verfahren geblieben wäre, durch “irgendeinen dummen Zufall”
sensible Daten an Dritte gelangen könnten.
Auch Berater Grohmann weiß von den Ängsten in Anwenderunternehmen. “Was passiert mit
meinen sensiblen Daten und wer hat Zugriff darauf? Was passiert mit meinen Daten und
Geschäftsprozessen, wenn der ASP-Dienstleister Insolvenz anmelden muss?” Das seien
Überlegungen, die ihm häufig begegneten. Doch seien die Unternehmen solchen Unsicherheiten nicht
einfach ausgeliefert. Vieles lasse sich wie beim Outsourcing vertraglich regeln.
Für den Onventis-Chef sind Sicherheits-Bedenken ohnehin kaum nachvollziehbar. “Welche
Unternehmensleitung kennt schon jeden Administrator so genau, dass sie die Hand dafür ins Feuer
läge, dass kein Unfug mit den Daten betrieben wird? Das Restrisiko, das wir haben, besteht in den
Unternehmen selbst auch.” Zudem könnten und wollten sich insbesondere Mittelständler ein solches
Maß an Sicherheit, wie die ASP-Anbieter es zusicherten, nicht leisten, weiß Berater Grohmann.
ASP mindert Einstiegsrisiken
Für Schott-Manager Glaninger ist das ASP-Modell ein guter Einstieg gewesen, um praxisrelevante
Erfahrungen mit Onventis zu sammeln. Das Arrangement mit dem ASP-Anbieter sah vor, dass die
Software als Industriestandard so entwickelt wird, wie Schott Glas sie braucht. Und das habe auch
eins-zu-eins geklappt. Entwicklungskosten brauchte der Spezialglashersteller nicht zu zahlen. Und
statt Lizenzkosten entrichtet das Unternehmen auch heute noch die Miete, die im ASP-Vertrag
vereinbart wurde.
Nicht nur Glaninger sieht in solchen ASP-Übereinkünften eine geeignete Form des Einstiegs in
eine neue Technik oder für die Etablierung neuer Geschäftsprozesse. Das Vorgehen könnte durchaus
gängige Praxis werden. H.K.P.-Geschäftsführer Grohmann kann diesen Weg nur empfehlen. Derzeit
typisch dafür, ASP für eine Anfangsphase auszuwählen, seien das Dokumenten-Management, das
Content-Management und die Pflege von Kundenbeziehungen (CRM). Zugleich sind das aber auch die
Bereiche, in denen Mittelständler keine eigenen Ressourcen aufbauen wollen oder können, wo ASP
sinnvoll sein kann.
Es gibt allerdings auch Firmen wie die Heidelberger Hebetechnik, Hersteller von
elektromechanischen Scherenhubtischen und Hubsystemen, die ihre betriebswirtschaftliche
Standardsoftware im Unternehmen komplett ausgetauscht haben gegen eine R/3-Lösung im
ASP-Modus. Doch das scheint eher eine Ausnahme zu sein. So setzen ASP-Anbieter kaum noch
ausschließlich darauf, ihre Software oder auch die von SAP zu vermieten.
Neue Standard-Software mag keiner kaufen
Die Marktforscher der Aberdeen-Group stellen aber gerade herkömmlicher
‘Out-of-the-Box’-Software schlechte Karten aus. Im Zuge der immer engmaschigeren Vernetzung
von Unternehmen, die ihre Anwendungen miteinander sprechen lassen und Informationen teilen
müssen, geben sie vor allem den Applikationen eine Chance, die von Grund auf dafür entwickelt
wurden. Zudem gewinne Dienstleistung rund um Applikationen zunehmend an Bedeutung und damit
das ASP-Modell. Auch Web-Services sollten der Branche noch mehr Auftrieb geben, wenn die Technik
dafür irgendwann ausgereift ist.
Die Rolle der Software-Industrie werde sich zudem laut Aberdeen komplett wandeln und zwar in
der Weise, wie sie ihr Geschäft tätigt. Das Stichwort der Analysten lautet etwa ‘Application Hosting’.
Die Experten prophezeihen, dass einige der größten Hersteller diesen Service anbieten werden und
dass es eine Reihe neuer wichtiger Player geben wird. Bis jetzt eigneten sich die etablierten
Software-Pakete jedoch kaum dafür. So stehe zum Beispiel der Umbau von SAP-Software erst am
Anfang. Salesforce.com und Onventis zumindest weisen darauf hin, dass ihre Programme
ausschließlich für ASP geschaffen wurden.
Die Grohmann-These einer zweiten ASP-Welle und der Aberdeen-Ausblick auf eine
Umstrukturierung des Software-Markts bekommt unerwartete Unterstützung von Intershop-Vorstand
Stefan Schambach. Der Unternehmensgründer sieht, dass kaum noch ein Unternehmen
betriebswirtschaftliche Software kaufen will – wozu auch, wenn es sie für weniger Geld und Ärger zu
mieten gibt.
In der Vergangenheit gab es jedoch technische Probleme, ASP umzusetzen. Mit Hilfe von
Web-Services bestünden diese Schwierigkeiten schon bald nicht mehr. Das ASP der Zukunft werde
darin bestehen, Web-Services zur Verfügung zu stellen, etwa so: Einer der Intershop-Partner betreibt
einen Geschenke-Dienst und vermarktet ihn mitunter an Kaufhäuser, die diesen Dienst in ihren
Web-Auftritt einbinden können. Alle Arbeit rund um den Service, etwa der Vergleich neuster
Digitalkameras, übernimmt der Anbieter, und die Kaufhäuser mieten den kompletten Service an.
Schambach macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die Vermietung nicht nur für die
Kunden eine kostengünstige Alternative darstellen kann. Bei den meisten Software-Häusern fressen
die Vertriebskosten, dank langer und aufwendiger Verkaufszyklen, die Lizenzeinnahmen auf.
Gewinne machen sie hauptsächlich durch Nachfolgeprodukte, Services und Updates. Im Mietmodell
würden die umfangreichen Vertriebsaktivitäten entfallen.