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IT-Fachkräfte: Quereinsteiger haben einen schweren Stand

Auf dem IT-Arbeitsmarkt hat die wirtschaftliche Flaute tiefe Wunden geschlagen. Während noch vor ein paar Jahren Arbeitskräfte von der Universität weg engagiert wurden, oft sogar noch vor Abschluss ihres Studiums, ist heute vor allem eine ausreichende Qualifikation gefragt. Schlechte Zeiten also vor allem für Quereinsteiger, die sich in der IT-Branche neue Zukunftsperspektiven erhofften. Immerhin bis zu 80 Prozent der IT-Fachkräfte in Deutschland sind nach Berechnungen des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, kurz Bitkom, eben solche Quereinsteiger, meist ehemalige Informatikstudenten, die ihr Studium abgebrochen haben und die nun Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Dabei ist der Bedarf an qualifizierten Fachkräften nach wie vor gegeben. “Informationstechnologien durchdringen zunehmend mittelständische Unternehmen und auch den öffentlichen Sektor”, analysiert der deutsche Multimedia-Verband (dmmv) die Lage. “Dabei spielen vor allem die Bereiche Sicherheit und IT-Dienstleistungen eine wichtige Rolle.” Gefragt ist zudem nicht mehr nur reines Fachwissen: “Daneben sind auch zunehmend betriebswirtschaftliche Kenntnisse und kommunikatives Verhandlungs- und Abstimmungsgeschick von großer Bedeutung.”

<b>Hohe Anforderungen</b>

Berufseinsteiger müssen also einiges bieten, um auf dem Markt reüssieren zu können. Das ist den meisten von ihnen auch durchaus bewusst, wie der VDE in einer Studie im Mai ermittelt hat. 260 Berufseinsteiger in Unternehmen und Institutionen wurden vom Verband zu ihren Vorstellungen befragt – und das Ergebnis zeigt, dass die Anforderungen der jungen IT-Experten an sich selbst gestiegen sind. Vor allem setzen sie auf lebenslanges Lernen, nicht nur hinsichtlich des reinen Fachwissens. Auch so genannte ‘Skills’, wie etwa Rhetorik, Verhandlungsführung oder Business-Englisch werden von den Berufseinsteigern als unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg angesehen.

Die Universitäten schneiden dabei als Vermittler des notwendigen Wissens eher schlecht ab – vor allem, wenn es um praktische Fähigkeiten geht. Fazit: Weiterbildung ist Pflicht – nicht nur in reinen IT-Disziplinen, sondern auch hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung oder der Teamfähigkeit. Durchschnittlich sieben Stunden investieren die Befragten pro Monat in die eigene Fortbildung, wobei die Möglichkeiten der unternehmensinternen mit der externen Weiterbildung verknüpft werden.

<b>…und lebenslanges Lernen</b>

“Der Standort Deutschland ist derzeit hinsichtlich seiner IT-Kompetenz wesentlich beeinträchtigt”, zeichnet der Leiter des Fraunhofer Instituts für Software- und Systemtechnik, Herbert Weber, ein düsteres Bild der Lage. “Heute wird der internationale Wettbewerb darüber ausgetragen, dass ausreichend Fachkräfte mit guter Qualifikation verfügbar sind.” Tatsächlich sehen auch die vom VDE befragten IT-Berufseinsteiger Deutschland nicht eben als ideales Pflaster für die IT: Gerade mal 28 Prozent beurteilten das Klima in Deutschland als günstig, während immerhin 43 Prozent die USA hinsichtlich der Voraussetzungen für Fortschritt und Innovation auf Platz 1 stellten.

Webers Conclusio: “Wir benötigen neue Formen der Weiterbildung, die den heutigen Anforderungen gerecht werden. Es geht um das lebenslange Lernen.” Ähnlich sieht es auch Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des Bitkom: “Wir müssen eine Alternative zum Hochschulstudium schaffen.” Schließlich erwartet Rohleder für das Jahr 2007 wieder einen Lehrstellenmangel auf dem IT-Sektor.

<b>Neue Zertifizierungen</b>

Weber und Rohleder wollen daher der IT-Ausbildung einen kräftigen Schubs nach vorn geben – mit Hilfe einer neuen Zertifizierungsstelle. Cert-IT wurde erst vor kurzem in Berlin offiziell präsentiert, als Alternative zu den zahlreichen herstellergebundenen Zertifikaten. So gut wie jedes Unternehmen verleiht heute eigene Zertifikate nach einer innerbetrieblichen Weiterbildung, Microsoft ebenso wie HP oder Novel. “Wir wollen die inflationäre Ausbreitung von Titeln und Berufsbezeichnungen verhindern”, begründet Weber die Initiative. “Es geht uns um mehr Klarheit und Transparenz.” IG-Metall-Vorstand Michael Ehrke geht noch einen Schritt weiter: “Produktgebundene Zertifikate haben keine Zukunft. Sie dienen nur als Marketinginstrumente für die Kundenbindung. Wer redet heute noch vom Novell-Zertifikat?”

Neben dem Fraunhofer-Institut und dem Bitkom sind auch der ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie), die Gesellschaft für Informatik, die IG Metall und Ver.di maßgeblich an der Entstehung von Cert-IT beteiligt. “Das ist das erste privatwirtschaftlich organisierte Weiterbildungssystem”, freut sich Bitkom-Geschäftsführer Rohleder. “Schließlich brauchen wir quer durch die Wirtschaft IT-Kompetenz, etwa auch in der öffentlichen Verwaltung oder in den Redaktionen.”

<b>Praxis statt Theorie</b>

Vor allem die Praxisnähe soll das neue Zertifikat hervorheben. “Es geht um Handlungskompetenz”, sagt Fraunhofer-Vertreter Weber knapp. Und Rohleder ergänzt: “Viele Arbeitgeber haben es versäumt, ihre Mitarbeiter einzulernen. Unser System soll das dauerhafte Vorhandensein von IT-Spezialisten in Deutschland sichern.”

Rund 300 verschiedene IT-Abschlüsse gibt es derzeit hierzulande. “Undurchschaubar und nicht einschätzbar”, urteilt Rohleder. Cert-IT kennt nur mehr 29 Spezialistenprofile in sechs Funktionsgruppen wie etwa Software Developer, Coordinator oder Technicians. Die Ausbildung soll dabei vor allem im Unternehmen stattfinden, in dem der Interessent arbeitet – eine Chance also gerade für den Mittelstand, der bislang kaum Möglichkeiten der betriebsinternen Weiterbildung hatte. “90 Prozent der rund 40.000 IT-Unternehmen in Deutschland sind Mittelständler”, so IG-Metall-Vorstand Ehrke. “Diese Betriebe sollen künftig besser eingebunden werden.”

<b>Straffer Ablauf</b>

Anhand eines laufenden und vom jeweiligen Kandidaten eigenständig abgeschlossenen Projekts im jeweiligen Unternehmen soll Cert-IT die Kompetenz der jeweiligen IT-Fachkräfte nach festgelegten Kriterien überprüfen. Rund 1000 Euro kostet die reine Zertifizierung von der Anmeldung bis zum Zertifikat. Die Spezialistenqualifizierung ist etwas teurer, da hier auch eine externe Unterstützung durch verschiedene Bildungsdienstleister vorgesehen ist. In diesem Fall muss der jeweilige Betrieb oder auch der Interessent selbst rund 4000 Euro berappen. Kann das Unternehmen die Weiterbildung selbst abwickeln, wird es etwas günstiger. Die Dauer der Ausbildung soll laut Cert-IT zwischen drei Monaten und einem Jahr betragen.

Praktische Erfahrungen mit dem neuen Zertifizierungssystem gibt es freilich noch nicht. Derzeit liegen laut Cert-IT-Geschäftsführer Stefan Grundwald erst einige Anmeldungen vor. Langfristig hat man jedoch große Pläne: Die Zertifikate sollen nicht nur deutschland-, sondern auch EU- und später sogar weltweite Gültigkeit haben und dann auch in den USA für eine umfassende und gründliche IT-Ausbildung stehen. “Wir müssen erst klein anfangen”, bremst Rohleder allzu große Erwartungen, “aber wir wollen über die Grenzen des Landes hinausgehen.”

<b>Unterschiedliche Erwartungen</b>

Die Reaktionen der Hersteller sind vorerst allerdings gebremst. Bei Siemens gibt man sich abwartend. Man wisse noch viel zuwenig über das System, heißt es dort, daher könne man nichts dazu sagen. Nicht einmal die allgemeine Lage auf dem IT-Arbeitsmarkt wollte Siemens kommentieren. Von Microsoft war keine Stellungnahme zu erhalten – kein Wunder, schließlich setzt der Konzern auf seine hauseigene Ausbildung, die, so heißt es stolz auf der Unternehmens-Webseite, weltweit anerkannt würde.

Auskunftsfreudiger ist der dmmv, der sich sehr für das neue Projekt interessiert. “Das IT-Weiterbildungsmodell und die vorgesehene Personalzertifizierung kann eine Möglichkeit sein, den Weiterbildungsmarkt in diesem Bereich für Teilnehmer, Unternehmen und Anbieter transparenter und überschaubarer zu machen”, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage von silicon.de. “Aus diesem Grund unterstützt der dmmv das Modell und hat eine Erweiterung um mögliche Multimedia-Spezialisten-Profile angeregt. Zurzeit finden Gespräche mit den beteiligten Sozialpartnern und Wissenschaftsorganisationen statt.”

<b>Ausbildung ist Erfolg</b>

Der Zeitpunkt für die Präsentation des neuen Zertifizierungssystems ist laut Bitkom-Geschäftsführer Rohleder kein Zufall: “Wir sehen einen dramatischen Arbeitsplatzabbau, aber das Beschäftigungsvolumen in der IT-Branche ist höher als im Boom-Jahr 1999.” Daher müsse man Quereinsteigern ohne Abschluss jetzt die Möglichkeit geben, durch eine Zertifizierung ihre Arbeitsplätze zu erhalten.”

Profitieren sollen davon Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen. Unternehmen hätten die Sicherheit, gut ausgebildete Spezialisten zu beschäftigen, sagte Fraunhofer-ISS-Leiter Weber. Für den Arbeitnehmer wiederum bedeute der erworbene Titel eine bessere Stellung auf dem Arbeitsmarkt: “Er wird besser bezahlt und hat mit der Qualifikation auch realistische Karrierechancen.” Ob Cert-IT hält, was es verspricht, oder nicht – sicher ist: Nur gut ausgebildete IT-Spezialisten haben in Zukunft eine Chance, auf dem harten Markt zu überleben. “Es ist vielleicht nicht das schlagzeilenträchtigste Thema”, sagt Weber bescheiden, “aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher eines der wichtigsten für die Branche.”

Silicon-Redaktion

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