Die IT-Zukunft ist ein Meer von Devices

Nicholas Negroponte, Gründer und Direktor des renommierten MIT Media Lab (Massachusetts Institute of Technology) und Professor für Media Technology am MIT, hat neue Prognosen für die Entwicklung der Informationstechnik und ihre Geschäftsmodelle gestellt. Dabei sieht er im Mittelpunkt intelligente Chips, die in verschiedenen Geräten zuhause sein können. Jeder Anwender, so die Essenz von Negropontes Äußerungen, wird künftig über eine Vielzahl miteinander drahtlos verknüpfter Geräte verfügen und diese privat und geschäftlich einsetzen.
“Jeder Mensch wird in etwa fünf Jahren fünf bis zehn SIM-Karten haben – eine davon zum Beispiel im Hunde-Halsband, eine im Kühlschrank, eine in diesem oder in jenem Endgerät”, sagte Negroponte auf einer Konferenz in Paris. Dabei setzte er die beiden meist verbreiteten US-Standards für mobile Übertragung, CDMA und TSDMA, gegen die in Europa üblichen GSM-Techniken, die mit personalisierter SIM-Karte arbeiten. Diese Karten könnten künftig – versehen mit sämtlichen personalisierten Informationen und Einstellungen – auch von Gerät zu Gerät wandern und mehrfach eingesetzt werden.

Demnach würde Europa in einer Welt mit mehreren Endgeräten im SIM-Kartenmodus, also auch bei einigen Spielarten von Pervasive Computing, einen klaren Vorteil erhalten. Er selbst, so der Professor, trage jetzt schon 20 Prepaid SIM-Karten auf Reisen mit sich herum. Er verwende sie anstelle von Bargeld in verschiedenen Währungen für seine Zahlungen in den einzelnen Ländern. GSM, so sagte er, sei dafür hervorragend ausgelegt und er halte die weitere Verbreitung solcher Karten für einen “gangbaren Weg”.

Die Praktikabilität stehe dabei aber im Vordergrund. So forderte er mehr Innovation von den Handy-Herstellern. Als Beispiel führte er sich selbst an: “Die Unterstützer des Media Lab aus der Industrie beschweren sich schon bei mir, ich sei immer noch nicht verrückt genug, das Lab sollte ausgeflippter arbeiten.” Und so rät er den Herstellern, ihre Endgeräte nicht so eingefahren auf die Funktion zu fokussieren, sondern den Alltag der Menschen im Auge zu behalten. Ein Handy in Form eines Stiftes und mit dessen Funktionen ausgestattet sei denkbar, da die Länge vom Ohr zum Mund reiche und die Form geradezu selbst eine Antenne sei. Handschrifterkennung bei jeder Niederschrift einer Telefonnummer oder eines Symbols mache eine Tastatur überflüssig, schwärmt Negroponte. Und die Idee, ein Handy in Form eines Spazierstocks zu bauen, sei für ältere Mitbürger attraktiv und diene gleich mehreren Bedürfnissen. Der Visionär: “Ich hasse es, mein Handy herumzutragen und darauf aufzupassen.”

Ferner schlägt er vor, dass die altmodischen Handbücher bei elektronischen Geräten durch eine “Selbst-Erklärung” ersetzt würden. Beim Einschalten soll auf dem Bildschirm eine Einführung abgespielt werden. Er fordert auch mehr Kreativität bei der Energie-Ausstattung und hält die derzeitige Versorgung per Akku für überholt: “Das Eingeben einer Telefonnummer auf der Tastatur sollte genug Energie für ein Gespräch erzeugen.”

Mit großem Bedauern blickt er in die UMTS-Landschaft. Diese Technik für die Datenübertragung der dritten Generation in Europa zu verwenden, bezeichnet er gegenüber dem von ihm gegründeten Magazin Wired als “kleine Katastrophe”. Der Standard verspreche zu vieles in zu kurzer Zeit. Die Mitspieler würden dies so nach und nach erkennen und den Zug einer nach dem anderen verlassen. Die gesamte TK-Industrie aber müsse sich aus der “wirtschaftlichen Eiszeit” befreien, indem sie ihre festgefahrenen Geschäftsmodelle aufgebe. Die Art, wie Werte zu Umsatz werden, müsse sich ändern. Negroponte: “Bisher denken die TK-Firmen immer noch in Kategorien von Umsatz pro User über ein einziges Endgerät.” Die neue Zeit der vielen Endgeräte mit ihren intelligenten Chips brauche aber Kommunikationsdienste ganz anderer Art. Festnetz- und Mobilfunk sieht er wieder zusammenwachsen, weil sich so die Netze viel leichter verwalten und betreiben ließen.

Negroponte wagt einen noch tieferen Blick in die Kristallkugel: Für Straßenlaternen hat er beispielsweise eine ganz besondere neue Aufgabe parat. Warum eigentlich, so fragt er, seien diese nicht WiFi-Sende- und Empfangsstationen, die die Öffentlichkeit im Peer-to-Peer-Verfahren mit Datendiensten versorgen?

Wer das alles bezahlen soll und wie die Kosten verteilt werden, ist für den Mann, der für das fremdfinanzierte Media Lab wieder neue Geldgeber in der Industrie sucht, noch nicht erwiesen. Als Vordenker der IT sieht der Buchautor des Renners “Being Digital” auch darin nicht seine Hauptaufgabe. Aber gerade in Hinblick auf knappe Kalkulationen bei den Vorreitern der IT fordert er dringlichst einen offenen Geist: “Innovation in einem strengen wirtschaftlichen Klima schließt mit ein, dass man neues Terrain beschreitet und unerwartete Wege geht.”

Silicon-Redaktion

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