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Linux-Migration: Die Krux sind die Fachanwendungen

Es kommt nicht so häufig vor, dass der öffentlichen Hand eine Vorreiterrolle zukommt. Beim Umstieg auf Linux ist es aber so. IT-Verantwortliche in Städten und Gemeinden denken intensiv über die Frage nach, was technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. “Auch Banken befassen sich mit dem Thema Linux auf dem Desktop, aber der öffentliche Sektor hat sicherlich eine Schrittmacherfunktion”, sagt Jörg Ludwig, IBMs Linux-Verantwortlicher für den europäischen Markt. In der Regel wollten die Städte und Gemeinden einen kompletten Migrationspfad aufgezeigt bekommen. Man analysiere dabei, was technisch machbar sei, ob es performant laufe und wie die Kostenseite aussehe, so Ludwig weiter.
Dass der öffentliche Sektor besonders experimentierfreudig in Sachen Linux ist, hat für die Anbieter und Integratoren Vor- und Nachteile: Vorteile, weil vor allem kleinere Kommunen viele Anwendungen von kommunalen Rechenzentren bereitgestellt bekommen, was eine relativ zentralisierte IT-Landschaft zur Folge hat, die eine Migration von Anwendungen erleichtert; Nachteile, weil viele spezialisierte Fachanwendungen von Nischenanbietern stammen, die weder die Personalkapazitäten noch die Marktmacht haben, um im Client-Bereich neben der Microsoft-Welt noch ein zweites Betriebssystem unterstützen zu können. “Oft sind diese Softwarefirmen voll und ganz damit beschäftigt, die ständigen gesetzlichen Änderungen in ihre Anwendungen einzupflegen”, sagt ein Branchenkenner.

Keine Portierung von Fachanwendungen

Einer der bekanntesten kommunalen Linux-Protagonisten, die Stadt Schwäbisch Hall, gibt an, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der eigenen Softwarelieferanten bislang keine Pläne habe, ihre Fachanwendungen auf Linux zu portieren. Beispiele hierfür sind Produkte, die im Gewerbe- und Standesamt zum Einsatz kommen. “Dort stellen wir die Anwendungen weiter über einen Microsoft-Terminalserver zur Verfügung”, sagt der Schwäbisch Haller DV-Chef Horst Bräuner.

Auch die Stadt München, die sich im kommenden Sommer für ein Hersteller-Konsortium entscheiden will, das die 14.000 Rechner der Stadtverwaltung auf Open-Source-Software umstellen soll, steht vor dem Problem, dass rund die Hälfte der eigenen Lieferanten von Fachapplikationen bislang keine Portierung auf Linux plant. Bei Großstädten kann die Zahl der Fachanwendungen schnell die Zahl von 200 bis 300 erreichen, die nicht von einem kommunalen Rechenzentrum zur Verfügung gestellt werden. “In vielen Fällen stellen Fachanwendungen als Regelschnittstelle lediglich das Word-Format zur Verfügung, um eine schnelle und individuelle Druckausgabe zu ermöglichen”, sagt der eher Linux-skeptische IT-Chef einer kreisfreien Stadt. Da falle es dann schwer, “einfach mal so” zu Linux zu migrieren.

Aber selbst Linux-Skeptiker in der öffentlichen Verwaltung sehen mit Freude die Linux-Aktivitäten ihrer IT-Kollegen und der Anbieter. Das mache Microsoft so richtig Feuer unterm Hintern, hat ein IT-Verantwortlicher beobachtet: “Seit einigen Monaten hagelt es Fortbildungsgutscheine und Vergünstigungen.”

Problematik wird von Stadträten nicht verstanden

Die Problematik der Fachanwendungen im Linux-Umfeld technisch nicht versierten Vertretern aus dem Gemeinderat und der Verwaltung klar zu machen, fällt nicht immer leicht. “Da sagen dann Ratsmitglieder, dass ihr Sohn daheim Linux habe, dass das nichts koste und warum denn das die Stadt oder Gemeinde nicht auch nutze”, veranschaulicht Markus Donsbach die Situation. Donsbach ist Referent beim Städtetag Rheinland-Pfalz, unter dessen Obhut sich eine Open-Source-Gruppe gebildet hat, in der IT-Verantwortliche rheinland-pfälzischer Städte zusammenarbeiten.

“Unser Ziel ist es, das Thema Open-Source-Software zu analysieren und in Pilotprojekten konkrete Erfahrungen zu sammeln”, erläutert Donsbach. Der Städtetag wolle seine Erfahrungen dann in einer Broschüre zusammenfassen. “Sie soll strategische Aussagen enthalten und wird sich an die Ratsmitglieder und andere Entscheider richten”, sagt Donsbach. “Der Städtetag will aber keine Empfehlung in Sachen Linux aussprechen.”

Von der IT-Öffentlichkeit relativ unbeachtet hat die bayerische Kleinstadt Treuchtlingen schon vor längerem auf Linux und Open-Source-Software umgestellt. “Dort, wo es möglich und sinnvoll war”, sagt Systemadministrator Heinz Graesing. 1999 wurde der erste Linux-Server eingeführt, und im Juni 2002 der letzte mögliche Arbeitsplatzrechner durch einen Thin Client ersetzt. Server-seitig kommt dabei Solaris zum Einsatz. Im Personalbüro und beim Bauamt laufen wegen der benötigten Anwendungen weiterhin Windows-Desktops. “Wir haben die KDE-Oberfläche der Clients sehr stark an Windows angepasst, so dass sich die Anwender nicht sonderlich umstellen mussten”, berichtet Graesing. Der Großteil der Fachanwendungen läuft auf VMWare-Systemen oder auf einem der beiden Terminalserver; für Intranet und Büroanwendungen kommt dagegen keine Microsoft-Software mehr zum Einsatz.

Gute Erfahrungen mit TCO und Stabilität

Laut Graesing ist die Total Cost of Ownership (TCO) für die Desktops auf unter 2000 Euro gesunken. “Gegenüber unserer vorherigen Lösung sparen wir uns, auf einen Zeitraum von vier Jahren gesehen, nachweislich 20 Prozent der Investitions- und Wartungskosten.” Allerdings werde die Treuchtlinger Infrastruktur von Kritikern immer wieder als “Bastellösung” bezeichnet, weil “wir eben keine schlüsselfertige Lösung von einem großen Anbieter bekommen haben”, sagt Graesing. Dieser Begriff sei auch häufig von Softwareherstellern zu hören, die sich weigerten, Treuchtlingen Support für den Betrieb ihrer Anwendungen zu gewähren. “Dabei laufen die Systeme wesentlich stabiler als früher”, stellt Graesing fest.

Ein weiterer Vorteil, von dem jeder Anwender in der Stadtverwaltung profitiert: Früher mussten die Mitarbeiter wegen der Abhängigkeiten einiger Fachanwendungen von bestimmten DLL-Dateiversionen zwei verschiedene Windows-Versionen parallel nutzen. Für den Wechsel von einer zu anderen Version war ein erneutes Booten fällig. Solche “Verrenkungen” sind nun Geschichte.

Wie Graesing sagt auch der Schwäbisch Haller DV-Chef Bräuner, dass die Übertragbarkeit des eigenen Falles auf andere Kommunen schwierig sei. Zu unterschiedlich gestalte sich die Ausgangslage. “Wenn jemand beispielsweise schon alle Anwendungen über eine Citrix-Server-Lösung auf Thin Clients zur Verfügung stellt, ist der Spareffekt beim Wechsel von Windows zu Linux sehr viel geringer als bei uns, da man eh nur noch für Updates bezahlen muss.”

Einen wichtigen Ansatzpunkt für künftige Entwicklungen im Linux-Umfeld sehen Kommunen wie Schwäbisch Hall und Treuchtlingen auch im Wissenstransfer in die Open-Source-Gemeinde. Manche Prozesse sähen in der öffentlichen Verwaltung anders aus, als in der Privatwirtschaft und oft fehle den Open-Source-Entwicklern dieses spezifische Wissen. “Es gibt auch viele kleine Applikationen, deren Entwicklung auf Open-Source-Basis sich für einen kommerziellen Anbieter nie lohnen würde”, sagt Systemadministrator Graesing. “Diesen Bedarf könnte man gezielt der Community erläutern.”

Silicon-Redaktion

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