Bierzelt und Rechenzentrum
Und dann sieht man überall, was da eigentlich gar nicht hingehört: Muster aus der Computerei.
Und dann sieht man überall, was da eigentlich gar nicht hingehört: Muster aus der Computerei. Im Bierzelt! Derartige Lokalitäten aufzusuchen, hatte man dieser Tage ja ausgiebig Gelegenheit. Am Sonntag ist die Wies’n zu Ende gegangen – mit dem Rekord-Benchmark von 6,1 MM (MegaMaß). Und deren Emulation in der schwäbischen Systemumgebung – auf’m Was’n – die läuft noch bis zum Wochenende.
Was man nun im Bierzelt wie im Rechenzentrum gleichermaßen merkt: Die Hardware ist ausgereift, die Software ein Problem und der Service meist sehr eigenartig.
Die gängige Hardware in der IT: der Pentium 4. Er bringt es auf die zehnfache Leistung einer Cray 1. 50 Millionen Transistoren hat er, mehr als früher ein Mainframe.
Die gängige Hardware im Bierzelt: ein formschöner Krug, in dem sich – nicht immer, aber immer öfter – ein ganzer Liter Bier befindet. Die diesbezügliche Spezifikation ist heuer auf der Wies’n ja genauer gefasst worden: Nur noch 15 statt bisher 20 Millimeter Unterschank waren erlaubt.
Der Henkel des Kruges bietet ausreichend Platz auch für eine breite Männerhand, die – mit der dem Bier zugewandten Innenfläche – das System sehr stabil hochzufahren in der Lage ist. Der geübte User beschreibt dabei fast die Ideallinie, nämlich einen 90-Grad-Bogen. Funktionalität und Ästhetik! Seit besagter Cray 1 weiß man ja, dass das zusammengehört.
Bevor Henkel und Körper des Kruges sich oben wieder vereinigen, beruhigt eine Sollbruchstelle den Security-bewussten Trinker – für den Fall, dass jemand in missbräuchlicher Absicht dieses wunderbare Gefäß nicht zum eigenen Munde, sondern zum Haupt des Tischnachbarn führen will. Das ist so wie bei einer ausfallsicheren Tandem-Maschine. Die erkennt ja auch eine Fehlfunktion sehr früh und bricht dann ab – wie der Henkel des Maßkrugs.
Also die Hardware ist sicher, mit Bedacht designt und wird laufend und ausgiebig getestet. Zu Komplikationen kommt’s meist wegen der Software. Manch törichter User kann da nämlich nicht genug bekommen und glaubt, je mehr Features er hat, desto besser, wobei der Grad dieser Fehleinschätzung mit der Anzahl der Features exponentiell wächst.
Deren schiere Menge übersteigt im Verlauf der Relation dann zwangsweise die Verarbeitungsfähigkeit der implementierten Intelligenz, der maschinellen oder der des Zechers. Und die Folge ist ein desaströser Systemabsturz: Deadlock!
Nach einem solchen im Bierzelt tut das Alt+Crtl+Del am nächsten Morgen sehr, sehr weh. In ganz schlimmen Fällen gelingt nicht einmal ein vorständiges Recovery. Und ein Teil der Daten ist für immer verloren, was peinlich ist, zumal sich meist auch äußerst kritische darunter befinden.
Die größten Eigenartigkeiten aber weisen IT und organisierte Trinkerei beim Service auf. Deutlich wird das beispielsweise, wenn man eine Hotline anruft. Häufig muss man dann der Gegenseite deren eigenes Produkt erklären, um zu erläutern, was für ein Problem man hat, und um schließlich zu erfahren, dass einem da jetzt auch nicht weitergeholfen werden könne.
Hinzu kommt, dass das meist über eine kostenpflichtige Rufnummer geschieht. Knowledge-Management, ganz im Sinne der IT-Industrie! Der einzige Fall, in dem derjenige zur Kasse gebeten wird, der einem ganz offenkundig Unwilligen mühevoll etwas erklären muss. Das Verständnis auf der Gegenseite ist jedenfalls meist minimal.
Und auch das Service-Personal, i.e. die Musikkapellen in den Bierzelten, die werden ja nicht für Denken bezahlt, sondern eher dafür, selbiges bei den Besuchern auszuschalten. Mit sehr bewährten Methoden, nämlich mit militärischen. Die Stücke, die sie spielen, sind entweder dem Liedgut der Armeen dieser Welt entlehnt, oder es sind deutsche Schlager.
Heuer wieder sehr beliebt: Wolfgang Petry: “Hölle! Hölle! Hölle!” Wenn das eine vom Bier und vom Gemeinschaftsgefühl euphorisierte Masse im Chor ruft, dann darf man nicht an den einschlägigen Angler-Gruß denken, sonst bekommt man Angst.
Ansonsten jedoch erinnert die Sprache im Bierzelt vor allem an die auf dem Kasernenhof. Jeweils seltsam artikulierte Befehle. Hier: “Die Krüüüge … hoch!” Da: “Liiinks … um!” “Links, zwo, drei, vier…” und “Oans, zwoa, g’suffa!” Das Kommando mit dem vorgestellten Adverb gehört zum Instruction-Set der Kaserne, das mit dem nachgestellten Partizip Perfekt zu dem des Bierzelts.
Und das alles steckt tief in der Systemlogik: die Hilfe, die man in Bierzelten beim Trinken bekommt, warum die so ist und dass sie ganz offenkundig funktioniert. Die 6,1 MM belegen das ja. Und auch, dass die Hilfe bei Computerproblemen nicht funktioniert, ist systembedingt.
Wie sollte das auch gehen? Da steckt der Fehler doch schon im Ansatz. Service kommt schließlich vom lateinischen servus, was Sklave heißt. Das waren die, die einen Eisenring um den Hals trugen und an ihren Arbeitsplatz gekettet waren. Jenen mitsamt der Galeere, auf dem er sich häufig befand, trieben sie dann mit kräftigen Ruderschlägen übers Meer. Und am Bug stand ein Trommler und gab den Takt vor. Fies war das, aber es hat wohl funktioniert.
Moderne Service-Mitarbeiter sind die, die ein Headset auf dem Kopf tragen und mit ihrem Arbeitsgerät per Bluetooth verbunden sind. Und die Betriebskostenrechnung gibt den Takt vor. Ist auch fies, und es funktioniert nicht einmal. Rudern ist halt einfach was anderes als Nachdenken.
Ach ja, auf was man im Bierzelt doch so alles kommt. Und wenn man dann noch auf Kommandos schon aus Prinzip nicht reagiert – da vergisst man glatt das Trinken.