Alle reden davon, aber keiner macht es, so könnte man derzeit die Situation beim Desktop-Linux umschreiben. Die Medien stürzen sich förmlich auf jedes Thema, das irgendwas mit Open Source und Desktop zu hat. Und das ist in letzter Zeit eine ganze Menge: Suns Java Desktop System; IBMs massive Investitionen in Linux und ein internes Memorandum, in dem angeblich erwägt wurde, alle IBM-Desktops auf Linux umzuziehen; die ‘Wine’-Technologie bringt Windows-Applikationen auch auf Linux zum Laufen; eine Vielzahl kleinerer Distributionen wie Xandros oder Lindows macht den Umgang mit Linux für Nicht-Experten einfach. Intel bringt Linux-Treiber für den Centrino-Chipsatz – und die Liste ließe sich noch weiter fortsetzten.
All das und die Tatsache, dass Linux auf der Serverseite einen unglaublichen Push von Firmen wie HP, Dell, IBM oder Sun erfährt und auch gut verkauft, lässt erwarten, dass sich der Schwung in der nächsten Zeit auf den Desktop übertragen lassen wird. Doch die Realität sieht momentan noch etwas anders aus. Nur ein verschwindend geringer Anteil an der installierten PC-Basis läuft mit Linux, und im letzten Jahr war faktisch kein Wachstum zu verzeichnen.
Im Jahr 2002 machten Linux-Desktops weltweit 3 Prozent der installierten PCs aus. 2003 stieg diese Zahl auf 3,03. Bei Firmen über 500 Mitarbeitern liegt der Anteil etwas höher, bei 5 Prozent. “Das sind Peanuts”, so Carlo Velten, Berater bei der Marktforschungsfirma TechConsult, gegenüber silicon.de. Er glaubt auch, dass es 2004 die ersten Nachrichten über Misserfolge oder Rückzüge geben werde.
Wichtig sei ein kritische Masse von 10 bis 15 Prozent. Doch diese zu erreichen sei derzeit für Open-Source-Software, die auch immer mehr von ihrem “Heiligenschein” eingebüßt habe, sehr schwierig. Daran änderten auch Projekte wie das in München wenig, hätten aber eine äußerst wichtige Signalwirkung für den Markt. “Ein Scheitern dieses Projektes wäre für die Open-Source-Branche ein Katastrophe”, fügt Andreas Zilch, Managing Director bei TechConsult, an.
Dazu kommen widersprüchliche Meldungen vom Pilotprojekt der Stadt München, wo von IBM derzeit die Feinkonzeption für die Migration auf Linux vorgenommen wird. Immer wieder gibt es Gerüchte über Probleme. Diese dementierte gegenüber silicon.de neulich Hans-Joachim Schmid, Leiter Business Development bei Unilog, dem Beratungsunternehmen, das die Stadt München in der Open-Source-Frage beraten hatte. “Die Feinkonzeption läuft”, lautet sein kurzes Fazit. Man solle nicht in jede technische Hürde zuviel hineininterpretieren.
Allerdings ist ein derart radikaler Schritt zur Neuerung, wie ihn Münchens Stadtväter beschlossen, für die meisten Unternehmen kein gangbarer Weg. “Normalerweise startet ein Unternehmen ja nicht auf der Grünen Wiese”, sagt Carlo Velten. Wenn sich jetzt ein Unternehmen neu gründet, dann würde sich eine homogene Linux-Umgebung auf jeden Fall auszahlen. Doch für die meisten Unternehmen sieht die Realität anders aus. Hier gibt es eine meist ungeahnte Vielzahl von so genannten Legacy-Anwendungen, die auf Linux zu migrieren sich oft als sehr umfangreich erweist. Das Problem dabei sei, den Aufwand in Voraus richtig zu kalkulieren. Daher würden viele Firmen lieber von einem Umzug absehen, zumal Know-how und Referenzobjekte nicht vorhanden sind.
Außerdem fehle, trotz OpenOffice, die Kompatibilität zu den marktbeherrschenden Produkten von Microsoft. Über 90 Prozent der Clients laufen auf Windows. Erschwerend hinzu kommt, dass es noch zu wenige Open-Source-Anwendungen für den Desktop gibt. So kommt TechConsult zu dem Ergebnis, dass Linux auf dem Desktop derzeit keine Relevanz hat, weswegen sich an der installierten Basis auch keine Dynamik zeigt.
Doch auch Schmid betont, dass es für die Frage, ob Linux oder nicht, kein einfaches Pro oder Kontra gebe. Linux auf dem Desktop sei der “nächste Schritt”, und auch hier blieben, wie beim Einsatz im Server die Vor- oder Nachteile dieselben. Er hält Linux auf dem Desktop aber für eine echte Alternative. “Für den Benutzer ist das gut, für den Monopolisten schmerzlich”, so Schmid weiter, denn gerade der Fall München habe speziell bei Microsoft ein Umdenken provoziert. So richtet sich der Hersteller jetzt mit speziellen und günstigen Angeboten auch an kleinere Kommunen, die dadurch schon jetzt von dem Schock des Münchner Projekts profitierten.
Worauf die Linux-Gemeinde setzt, ist dass der Erfolg im Bereich Server künftig für Druck auf den Desktop sorgen wird. Laut einer Studie von TechConsult setzen derzeit rund 25 Prozent aller Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern Linux-Server ein. Bei Firmen über 500 Mitarbeitern liegt der Anteil bei 33 Prozent. “Bei den ganz kleinen Firmen kommen die Vorteile von Linux nicht zum Tragen”, erklärte Velten. So ließe sich eine Art Faustregel aufstellen, dass je kleiner das Unternehmen ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass hier ein Linux-Server eingesetzt werde. In vielen Firmen werde das als Bastelei auf alten Maschinen betrieben und meist nicht im unternehmenskritischen Umfeld.
Dennoch erkennen rund 50 Prozent der befragten IT-Entscheider bei Security und Web-Serving eine zentrale Rolle für das Open-Source-Betriebssystem an. Bei File und Print sehen immerhin noch 40 Prozent der CTOs in Linux eine Alternative. Das wichtigste Gegenargument für den Einsatz von Linux auf der Serverseite ist, dass es derzeit noch zu wenig Business-Anwendungen gibt. Auch fehlende Referenzprojekte und der schlecht kalkulierbare Administrationsaufwand wurde von CTOs als Hemmnis genannt, damit zusammenhängend natürlich auch Mangel an Know-how und Support, den aber HP oder IBM für Linux-Lösungen inzwischen anbieten.
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