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Noch ein Ruck

Halt, doch! Ein neuer Bitkom-Präsident war’s, der heuer sein und der Branche Leid geklagt hat: der neuerliche Bildungsnotstand, wie er sich in der Pisa-Studie manifestiert, die fehlenden Ingenieure, das Arbeitsrecht … über was man halt so jammert als Verbandsvertreter.
Ist aber ein ganz ein innovativer, der neue Präsident. Willi Berchthold heißt er. Und zu einer Innovationsoffensive aufgerufen hat er auch gleich. Eine “Ein-Ruck-muss-durch-Deutschland-gehen”-Rede. Die werden ja sehr gerne gehalten in Zeiten wie diesen.

Was einen beim Ruckeln dann aber doch etwas wundert: Die 40-Stunden-Woche will er wieder einführen, der Präsident. Ob das jetzt gar so innovativ ist? Gut, wenn die Leute beschäftigt sind, hat er sich vielleicht gedacht, der Präsident, dann kommen sie auf keine dummen Gedanken. Man kennt das ja: Müßiggang ist aller Laster Anfang.

Allerdings: Müßiggang kommt von Muse. Und die Musen – das weiß man, wenn man es geschafft hat, vor der Pisa-Studie sein Abitur zu machen – das sind die griechischen Göttinnen der Kunst. Nun hat’s der Präsident damit ja nicht so. Im Gegenteil: Er hat bitter beklagt, dass 40 Prozent der Abiturienten Künstler werden wollten. Anstatt was Vernünftiges, Ingenieur halt oder Wissenschaftler.

Andererseits haben’s die Griechen damit auch nicht so genau genommen. War damals eben ‘State of the Art’ – die fehlende Unterscheidung zwischen Kunst und Wissenschaft. Urania war die Muse der Astronomie und Klio die der Heldendichtung, also quasi die der historischen Forschung.

Na ja, und in den großen Labors der IT-Konzerne hat man auch nicht gerade den Eindruck, als würden die dort Beschäftigten beim Ertönen einer Werkssirene Compiler und Tool-Kit fallen lassen und ausstempeln. Während Verbandsvertreter aller Branchen laut darüber schwadronieren, wie sehr die 35-Stunden-Woche die Volkswirtschaft ruiniert, arbeitet mancher in den Labors 50 Stunden und länger, ohne viel Aufhebens davon zu machen.

Und was den – bei Youngstern augenscheinlich so verbreiteten – Wunsch anbelangt, Künstler zu werden, ist der ja eigentlich so schlimm auch wieder nicht. Im Gegenteil: So was lässt doch richtig hoffen auf Innovationen ‘Made in Germany’.

Weil: Das gab’s ja schon mal – ein Heranwachsender, der meinte, von so einer Muse geküsst worden zu sein. Und deshalb wollte er Bauingenieur werden. Wegen kühner architektonischer Entwürfe und so.

Was sich dann als äußerst schicksalhaft herausgestellt hat. Weil: Bauingenieure müssen, was der Youngster seinerzeit nun wirklich nicht wollte: rechnen, rechnen und nochmals rechnen. Und das war damals ein äußerst mühseliges Geschäft. Einen Studienfachwechsel aber erlaubte der sehr preußische Papa des verhinderten Schöngeistes nicht.

Deshalb setzte jener sich denn auch erst einmal hin und versuchte, sich des Problems mechanisch zu entledigen, was nicht funktionierte. Dann probierte er’s auf elektromechanischem Weg. Und das führte dann zur Z3, zu Konrad Zuses erstem funktionierenden Computer, dem ersten überhaupt.

So was bekommen Abiturienten zustande, die Künstler werden wollen. Und ein Bitkom-Präsident, der einen solchen fruchtbaren Wunsch geißelt, der bekommt dafür auch noch Beifall. Während einer Pressekonferenz! Jedenfalls melden die Agenturen das – dass die Schreiberlinge applaudiert hätten. Obwohl man doch in jedem anständigen Volontariat eigentlich lernen müsste, dass wer klatscht, keine Hand mehr zum Schreiben frei hat, das Schreiben aber der Job des Journalisten ist.

Zumindest durch die Journaille scheint ja der Ruck gegangen zu sein. Ach ja, die Zeiten sind verkommen. “IT-Fachjournalisten gegen Konrad Zuse” wär’ doch ne klasse Headline. Oder: “Und sie wissen nicht … was sie da beklatschen”. Ist schon schlimm dieser Bildungsnotstand heute.

Silicon-Redaktion

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