Die Linux-Landschaft zeigt sich seit vergangener Woche dramatisch verändert. Aber während einzelne Anwender schreckerstarrt “das Ende von Open Source” durch die Übernahme von Suse Linux durch die amerikanische Novell befürchten, treiben die Analysten zur Eile. Jetzt sei es allerhöchste Zeit, sich mit dem Thema offener Betriebssysteme zu beschäftigen, raten sie den CIOs. Andernfalls würden die IT-Leiter und ihre Unternehmen den Anschluss verpassen – darin sind sich europäische Marktforscher einig.
Gary Barnett, Research Director bei dem europäischen ITK-Marktforscher Ovum, bewertet die Übernahme und ihre Folgen so: “Diese Nachricht ist für den gesamten Linux-Bereich und dabei vor allem für die Anwender sehr wichtig, da die Firma Suse sich nunmehr in einer Liga mit den Großen der Branche bewegt. Und damit meine ich die kommerziellen Anbieter. Was Suses Innovationsfähigkeit und Kundenfreundlichkeit betrifft, stellt der Distri nunmehr im Kampf um die Marktführerschaft einen ernsthaften und ernst zu nehmenden Rivalen für den US-Linuxanbieter Red Hat dar – wovon die Kunden beider Unternehmen in Zukunft profitieren werden.” Preis und Produktinnovation sind üblicherweise die ersten Stellschrauben, die in einem solchen Fall angezogen werden, und darauf bezieht sich augenscheinlich auch Barnett.
Die Analysten von Berlecon Research betrachten den Zukauf als Signal für die Kunden. Open-Source-Software (OSS) sollte spätestens jetzt stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, so die Marktforscher. Die verantwortlichen CIOs sollten sich intensiv mit dem Open-Source-Phänomen auseinandersetzen, um fundierte strategische Entscheidungen über die Rolle von OSS in ihrer IT-Architektur treffen zu können.
“IT-Entscheider dürfen ihre Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Open-Source-Software in ihrem Unternehmen nicht auf Vorurteile oder Mythen stützen”, so Thorsten Wichmann, Geschäftsführer von Berlecon Research. “Open-Source-Software wie Linux ist nicht pauschal besser oder schlechter als proprietäre Software. Es kommt deshalb darauf an, die Bereiche im eigenen Unternehmen zu identifizieren, für die Open-Source-Software geeignet ist und niedrigere Kosten oder höhere Flexibilität verspricht.”
Doch bei allem Lob, das die Nürnberger vor der Übernahme für sich verbuchen konnten – in der Praxis gibt es, glaubt man IT-Profi Nico K., der bei einem ostdeutschen Mittelständler eine Suse-Linux-Installation pflegt, auch einige Stolpersteine. Er beklagt sich in einem Leserbrief: “Mich zwang der häufige Versionswechsel, die damit verbunden Schwierigkeiten bei Updatesprüngen über mehr als zwei Versionen und die steigende Desktop-Nähe des OS dazu, mich nach servernahen Distributionen umzuschauen.”
Und dabei machte er die Entdeckung, dass die Preisunterschiede marginal sind. Kritik übt er daran, dass “immer ein Supportvertrag an den Preis gekoppelt ist”. Zwar habe er Verständnis für diese Politik. “Aber was mich ärgert und erschüttert, ist die Tatsache, dass man Softwarekorrekturen, Updates und sonstige Softwareänderung des gekauften Produkts nur mit gültigem Wartungsvertrag bekommt”, so der Anwender weiter. Er präzisiert, dass beileibe nicht nur Upgrades, sondern sogar Servicepacks, Bugfixes von Sicherheitslücken und anderes somit an langfristige Verträge gebunden seien.
Dagegen erscheint ihm sogar der Gates-Konzern harmlos: “Selbst der so in den einschlägigen IT-Medien gescholtene MS-Konzern verteilt seine Eingeständnisse von Programmfehlern frei. Soll nicht heißen, dass ich mit der restlichen Politik des Fenster-Konzerns einverstanden bin, aber dieses Beispiel zeigt mir, dass diverse Server-Distributoren auf Linux-Basis es gekonnt verstehen, die Meinung von Sysadmins im KMU-Bereich extrem zu verschlechtern und sich selber auf Stufe von Microsoft, SCO und Co. zu stellen.”
Er merkt schließlich zu der erfolgten Übernahme an, dass der Schritt zu erwarten gewesen sei – wenn er ihn auch als bedauerlich betrachtet und nichts Gutes erwartet: “Die Übernahme von Suse durch Novell bestärkt meine Meinung noch, dass der Linux-Markt nur durch eine weltweite Entwicklergemeinde und nicht durch wenige kommerzielle Distributoren dahin gebracht worden ist, wo er jetzt sich befindet. Alle Bestrebungen dieser Art zu kommerzialisieren wird jedoch Enttäuschung bei denen hervorrufen, die diese ‘Welt’ erschaffen haben.”
Für die Mittelständler, die von Microsoft genug haben, bietet jedoch unabhängig von Anwenderkritik und den Sorgen der Entwicklergemeinde sogar die EU schon eine handfeste Hilfe an. Migrationspläne in mittelständischen Unternehmen können fortan auch mit Hilfe der ‘IDA Open Source Migration Guidelines’ bewältigt werden. Diese Richtlinien, die von einer internationalen Expertengruppe angefertigt wurden, sollen beim Umsteigen auf freie Betriebssysteme für Büroanwendungen, Mail-Programme, Kalenderfunktionen und ähnliches helfen. Bislang liegen die Entscheidungshilfen für Dänemark, Finnland, Italien, Deutschland, die Niederlande, Schweden, Spanien, die Türkei und den EU-Aspiranten Malta vor.
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