Der IT-Konzern IBM soll wieder weltweit den Ton angeben. Dafür sollen vor allem die Angestellten sorgen. Und damit sie dies tun können, hat CEO Sam Palmisano einen internen Generalüberholungsplan zurecht gelegt, der vor allem ein strategisches Werkzeug in den Mittelpunkt stellt, das offenbar lange vernachlässigt wurde: die Unternehmenskultur bei Big Blue. Sie soll in den kommenden Jahren dazu führen, dass wieder weder Kunden noch Konkurrenten an IBM vorbeikommen, so wie einst in den 60er und 80er Jahren, dem ‘goldenen Zeitalter der IBM’.
In einem internen Memo, das auf den Vorschlägen von Angestellten aller Niederlassungen und Abteilungen beruht, will Palmisano für die nächsten Jahre die Segel setzen. Das sagte er gegenüber dem US-Medium E-Commerce Times. Auf der unternehmensinternen Website sollen die weltweit etwa 320.000 Angestellten zu Wochenanfang entnehmen können, wie sich die einstige IBM-Philosophie mit den neuen On-Demand-Visionen zu einem Programm für die Zukunft verknüpft. “Die Initiative soll das Beste von IBMs alter DNA mit dem Besten von der neuen DNA verschmelzen”, sagte der IBM-Veteran, der seit etwa 20 Monaten den Chefsessel besetzt.
Genau wie in der Zeit zwischen der Gründung der Firma in den Dreißiger bis hin zu den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts soll IBM, so Palmisano, intern und extern wieder als etwas Besonderes erscheinen. Genau wie in den Tagen der Lochkartenmaschinen oder der Mainframes müsse IBM für die Technikindustrie den Ton angeben. Denn: “Die Welt wird ein Unternehmen nicht großartig nennen, solange es nichts tut, außer viel Geld zu verdienen; besonders jetzt nach dem Platzen der Dotcom-Blase – das kann man vergessen.”
Vielmehr komme es jetzt darauf an, deutlich zu sagen, worin die Trends der Zukunft bestehen werden und wie IBM diese Schritte setzen will. Die Tatsache, dass die Aktionäre ihre Auszahlungen erhalten, sei mittlerweile schließlich nicht mehr so entscheidend.
Seine Vorgänger, von Firmengründer Thomas Watson Sr. über seinen (Gerüchten zufolge) täglich mit dem Motorrad zur Arbeit fahrenden Sohn, Thomas Watson Jr., bis hin zu John Opel in IBMs goldenen 80er Jahren hatten die CEOs der Firma schließlich ein ganz besonderes IBM-Flair im Auge gehabt, das die Firma hervorheben sollte. Erst mit dem Zusammenbruch der Firmenbilanzen und dem ersten dicken Verlust von acht Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 1993, der in die Ägide von John Akers gefallen war, waren demnach Fragen der Kultur in den Hintergrund getreten. Lou Gerstner, so heißt es nun, sei daraufhin angeheuert worden, um knallhart zu kalkulieren und den Bewegungsfreiraum für die Firma so wieder herzustellen – und zwar auf Heller und Pfennig.
Doch in seiner Biographie beschrieb auch dieser IBM-Chef die Unternehmenskultur als wichtig. Dort heißt es unter dem vielsagenden Titel ‘Wer sagt, dass Elefanten nicht tanzen können?’: “Ich habe in meiner Zeit bei IBM verstanden, dass die Unternehmenskultur nicht nur ein Teilaspekt ist, sondern das Spiel selbst.”
Diese traditionell starke Transformationskraft will nun auch Palmisano für sich nutzen. Dazu gehört der Meldung zufolge einerseits die Anknüpfung an riskante Neuerungen, sogar Visionen, wie die Investition von 10 Milliarden Dollar in die On-Demand-Idee, die ja nun die Labors bis heute nicht verlassen hat – andererseits trennt er sich von alten Zöpfen wie der strengen Hierarchie. Palmisano gilt als CEO, der sich selbst informiert und gern genau weiß, was wie wo gemacht wird.
Nach seiner Ansicht muss aber gerade die neue Firmenkultur von den Mitarbeitern kommen, nicht von oben. Es sei nicht so wichtig, was deren Inhalt sei als vielmehr, dass sie wirklich “ihre Kultur” sei. Palmisano hat dafür sogar einen Live-Chat über 72 Stunden hinweg mit allen Mitarbeitern gestartet, um die wichtigsten Gedanken zu sammeln. Die wichtigsten Punkte seien bislang: “Kundenfokussierung, wie sie nur IBM schaffen kann”. So gehe IBM ab von dem Schema ‘Erfinden – Bauen – Verkaufen’ und hin zu einem Ansatz, der ‘Hinausgehen, Zuhören, Probleme lösen, Erschaffen der Technik’ umfassen soll.
Dabei soll die Forschungsabteilung die größte Rolle spielen. Und hier, so heißt es weiter, kämen auch die neuen Kollegen von der im letzten Jahr übernommenen Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers ins Spiel. Deren ‘Geschäftsprozessberatung’ ergänze sich nun mit der eigenen Beratungsabteilung, die dies vorher nicht so umfassend bewältigen konnte.
Als wichtigsten Eckpfeiler der angestrebten neuen Firmenkultur beschreibt Palmisano aber praktizierte Innovation. Trotzdem die Firma in den vergangenen zehn Jahren jeweils mit den meisten Patenten in der IT-Industrie aufwarten konnte, sei dies noch nicht der Weisheit letzter Schluss. “In Zukunft geht es weniger um Entwicklungen und Erfindungen denn um Innovationen.” Der Unterschied bestehe darin, dass Innovationen so etwas wie die praktische Umsetzung von Erfindungen und Neuentwicklungen sei, also eine neue Methode für den Einsatz der Technik. Palmisano: “Es geht um die Anwendung von Erfindungen.”
Nicht überraschend ist der dritte vom CEO formulierte Punkt. Das Image der Firma soll durch mehr Vertrauen von Mitarbeitern und Kunden wieder aufpoliert werden. Dieses Vertrauens soll sich IBM nun mit vereinten Anstrengungen aller Angestellten wieder würdig erweisen. Die öffentliche Meinung von IBM ist schließlich derzeit bestimmt durch die aufsehenerregenden Klagen von krebskranken Mitarbeitern, die mangelnde Arbeitsschutzmaßnahmen bei IBM für ihr Leiden verantwortlich machen. Für den CEO bedeutet ein besseres Image schlussendlich auch bessere Geschäfte.
Dieser visionäre Ansatz, der sich nicht mehr akribisch an die erreichten Einsparziele hält und mit Zahlen jongliert, dürfte vor allem bei anderen CEOs aufmerksam verfolgt werden. Sollte die Umwandlung von IBM zur Innovationsmaschine nämlich gut funktionieren, so hieße dies auch für andere IT-Firmen, wieder mehr zu forschen und zu wagen, neue Technologien und Methoden zu testen. Dieser Überzeugung sind US-Industrieanalysten, die sich seit Jahren mit IBM beschäftigen.
Doch auch kritische Stimmen melden sich zu Wort. So äußerte sich der langjährige IBM-Manager Jim Steele dahingehend, dass die angekündigten Neuerungen “nicht mehr als ein Feintuning” darstellten und gerade langjährigen Mitarbeitern schwer vermittelbar sein dürften.
Alter Wein in neuen Schläuchen also? Mitnichten, sagt Steven Milunovich, Industrieanalyst für IBM bei der Investmentbank Merrill Lynch. “Palmisano wird genau differenzieren müssen zwischen dem, was aus IBMs Vergangenheit gut ist und dem, was sich ändern muss.” Er findet aber, dass IBM derzeit weit größere und andere Probleme bearbeiten sollte, als sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt um seine Unternehmenskultur zu kümmern. Das verneint aber der IBM-Veteran und selbsternannte Palmisano-Kenner John Patrick: “Wer Sam kennt, weiß, dass es keinen ‘Plan B’ gibt.”
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