“Der Markt für Web Content Management hört auf zu existieren”
Interview mit dem Vignette-Chefstrategen Leif Pedersen.
Eigentlich wollte Michael Crosno, Executive Vice President von Vignette und vormals President und CEO des letzten Dezember übernommenen Portalanbieters Epicentric, den Standpunkt seines Unternehmens gegenüber silicon.de verdeutlichen. Denn der Markt für Content-Management-Systeme ist durch jüngste Fusionen – Opentext kauft Gauss Interprise und Ixos, EMC verleibt sich Documentum ein – ins Schwanken geraten. Doch Crosno hat zwischenzeitlich gekündigt. “Machtgerangel” flüstert die Branche. Patti Jones ist zur Nachfolgerin bestimmt. Die Positionsbestimmung aber nahm der gebürtige Däne Leif Pedersen vor, Vice President of Worldwide Marketing and Market Strategy.
<b>silicon.de:</b> Der Markt für Lösungen im Bereich Content-Management (CM) definiert sich neu. Welche Strategie verfolgt Vignette?
<b>Pedersen:</b> Vignette bietet Lösungen für alle Belange an, die Web-Content betreffen, sowohl für das Internet als auch für das Extra- und Intranet. Wir sprechen von Enterprise Web Applications.
<b>silicon.de:</b> Wollen das nicht alle anderen CM-Anbieter auch abdecken?
<b>Pedersen:</b> Firmen wie Vignette oder Plumtree bieten eher Applikationen an; Gartner-Analysten sprechen von ‘Smart Enterprise Suites’ (SES). Andere Unternehmen positionieren sich eher als Infrastruktur-Lieferanten, die die Vorraussetzungen bieten, auf denen Anwendungen und CM-Lösungen laufen. Dazu gehört EMC. In diesem Sinne sind Vignette und EMC keine direkten Konkurrenten. Vielmehr steht EMC im Wettbewerb mit IBM. Der Markt für Web Content Management aber hört auf zu existieren.
<b>silicon.de:</b> Was verstehen Sie unter CM-Applikationen und -Infrastruktur?
<b>Pedersen:</b> Bei Infrastruktur-Angeboten geht es mehr um die Speicherung und das Management von Content, weniger um den Kontext, in dem Inhalte verstanden und benötigt werden – ‘Application Platform Services’ (APS) nennen es Gartner-Berater. SES-Angebote dagegen fokussieren darauf, mit Hilfe von integrierten Komponenten möglichst schnell Applikationen aufbauen zu können, ‘out of the box’ sozusagen. Documentum war zwar auch in diesem Geschäft, wegen des Aufkaufs durch EMC aber haben wir jetzt einen Konkurrenten weniger.
<b>silicon.de:</b> Sie haben in der jüngsten Vergangenheit auch zugekauft – den Portalanbieter Epicentric im vergangenen Jahr und jüngst Intraspect, Hersteller von Collaboration-Tools. Das muss Vignette erst einmal verdauen.
<b>Pedersen:</b> Wir kaufen nicht wahllos ein und vermeiden schon bei der Kandidatenwahl Integrationsprobleme. Um zu uns zu passen, muss die Produktpalette auf offenen Standards basieren, eine J2EE-Grundlage haben und somit auf Applikationsservern laufen können. Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass die Lösungen skalierbar sein müssen und ein breites Funktionsspektrum abdecken sollten, das sich mit unserem bisherigen Angebot vereinen lässt. Schließlich ist es unabdingbar, dass es sich um Applikationen handelt, die schnell und einfach für den Kunden zu implementieren sind. Dann passt es.
Darüber hinaus haben wir tatsächlich Cash in der Kasse. Um unsere Vorstellung von einem SES-Portfolio schnell umsetzen zu können, werden wir dieses Kapital sicher für weitere Akquisitionen einsetzen.
<b>silicon.de:</b> Um welche Funktionen wollen Sie Ihr Produkt ergänzen? Business Process Management (BPM) beispielsweise?
<b>Pedersen:</b> Das wäre sicher keine schlechte Idee. Der BPM-Markt wächst überdurchschnittlich und wie Analysten sagen, brauchen Infrastruktur- und Applikationsanbieter zukünftig BPM-Funktionen.
<b>silicon.de:</b> Als Applikationsanbieter begibt sich Vignette in Konkurrenz zu den Anbietern von Systemen für Supply Chain Management (SCM), Customer Relationship Management (CRM) oder auch Enterprise Ressource Planning (ERP).
<b>Pedersen:</b> Der Unterschied von einem SAP-Portal zu unsrem besteht darin, dass wir die Schweiz der Portalanbieter sind. SAP konzentriert sich auf die Präsentation ihrer eigenen Applikationen. Aber mit der Zeit entwickeln sich die Walldorfer tatsächlich zu einem starken CM-Wettbewerber. Zur Zeit aber können wir eine Menge Funktionen vorweisen, die andere längst noch nicht haben. Schließlich sind in den vergangenen drei Jahren rund 200 Millionen Dollar in die Entwicklung geflossen, die Investitionen unserer Zukäufe eingeschlossen.
<b>silicon.de:</b> Wie steht es denn insgesamt um Ihre Finanzen? Die Preise für CM-Systeme sind doch erheblich gesunken?
<b>Pedersen:</b> Sie wollen wissen, wie wir trotz geringerer Margen mehr Umsatz und Gewinn erzielen wollen. Derzeit stehen wir kurz vor dem Break-Even-Point.
<b>silicon.de:</b> Sie schließen das Geschäftsjahr mit positivem Ergebnis ab?
<b>Pedersen:</b> Die Aussage bezieht sich auf das laufende Quartal. Aber vorausgegangen sind steigende Umsätze in den vergangenen fünf Quartalen. Und der Trend setzt sich auch im kommenden Jahr fort. Außerdem hat sich unsere Aktie erholt. Der Wert beträgt nun das Dreifache des Tiefstpreises vom vergangenen Jahr. Zudem können wir auf größere Abschlüsse verweisen, sie liegen jetzt im Schnitt bei 350.000 Dollar. Schließlich gehen wir verstärkt eine neue Kundengruppe an. Bis jetzt stammt unsere Klientel aus den weltweit 2500 größten Unternehmen. Mit unserer Produktversion V7, die 2002 auf den Markt kam, haben wir aber auch Kunden aus den etwas kleineren Firmen gewinnen können.
<b>silicon.de:</b> In welcher Größenordung?
<b>Pedersen:</b> Das macht etwa 8 Prozent unserer Neukunden aus.